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Patriotismus und PC

Die Rechte macht mobil gegen Feminismus und multikulturalistische Konzepte

| Jens Petz Kastner

"Die Diktatur der politischen Korrektheit hatte die Niederlande jahrelang im Griff", schrieb die österreichische Tageszeitung Die Presse Mitte November anlässlich der anti-islamischen Anschläge, die im Anschluss an die Ermordung des rechtsliberalen und islamfeindlichen Filmemachers Theo Van Gogh verübt wurden.

Jetzt bräche also los, was jahrelang unterdrückt wurde von jener „Diktatur“, die dadurch offenbar selber ins Wanken gerät. Im selben Monat noch diskutierten Prominente in der prominentesten aller deutschen Talk Shows unter der betroffenen Anleitung von Sabine Christiansen über das „Ende der multikulturellen Gesellschaft“. Diese wiederum muss wohl etwas mit jenem totalitärem System gemein haben, auch sie will keine Pogrome gegen Moslems, und auch ihr Ableben wird immer häufiger herbeigeredet.

Glaubt man der rechten Presse, ist die Diktatur der political correctness aber keineswegs auf die Niederlande beschränkt, und wirklich überwunden ist sie längst nicht. An linken US-amerikanischen Universitäten ins Leben gerufen, lebt sie vielmehr seit Jahren international fort und bestimmt unser kulturelles Leben bis hin zur Nobelpreisverleihung. Als die größte Auszeichnung für Literatur an die linke österreichische Autorin Elfriede Jelinek ging (vgl. GWR 295), wurde das im Spiegel von Marcel Reich-Ranicki eiligst als Zugeständnis an den Feminismus interpretiert, also als eine inhaltlich nicht begründbare Entscheidung. Die schiere „politische Korrektheit“.

Multikulturalismus und Feminismus, zwei Labels mit vor allem linken Inhalten, zwei Konzepte, die aus vielen Kämpfen, Flügeln, Richtungen bestehen, sie werden als homogene Schulen gezeichnet, die sich unter der Flagge der politischen Korrektheit zu einem totalitären Herrschaftssystem vereinen.

Dass es weder jemals eine soziale Bewegung gab, die sich für PC-Forderungen stark gemacht hat, geschweige denn, dass sie eine der nationalsozialistischen, der stalinistischen oder anderen wirklichen Diktaturen vergleichbare Möglichkeit gehabt hätte, ihre Normen, Werte und Sprachregelungen durchzusetzen, spielt dabei kaum eine Rolle. Selbst wenn einige ihrer gemäßigten Forderungen mittlerweile hier und da durchgesetzt sind, von einer feministischen und/oder multikulturalistischen Hegemonie kann wohl ernsthaft nirgendwo die Rede sein.

Auch die Niederlande vor dem Mord an Van Gogh waren kein multikulturelles Paradies ohne rassistische Diskriminierung, ohne weiter wirkendes koloniales Erbe, ohne Rechtspopulismus, ohne restriktive Asylpolitik. Aber das ist auch ganz egal, denn PC ist von Anfang an als rechter Kampfbegriff konzipiert gewesen – Diedrich Diederichsen hat das in „Politische Korrekturen“ (1996), einem der wichtigsten und lustigsten politischen Bücher der 1990er Jahre, herausgearbeitet. Als Waffe kann er immer dann eingesetzt werden, wenn rechte Inhalte auf die politische, soziale und kulturelle Agenda gesetzt oder dort verstärkt werden sollen.

Der große Gegenbegriff zur politischen Korrektheit ist, strategisch wie inhaltlich, der Patriotismus.

Die Gegenüberstellung ist grundsätzlich: hier die gekünstelte, von Theorien geleitete Vision, die von der kollektiven Machbarkeit der Geschichte ausgeht, eine Art Marxismus-Dekonstruktivismus-Komplott, dort die natürliche, vom Lauf der Dinge getragene Doktrin, die den um sein Eigentum besorgten, in Familie und Nation gebetteten Einzelnen hofiert, sozusagen Schicksal meets Neoliberalismus. Als ließen sich nicht tatsächliche Gründe dafür anführen, in Deutschland dem Patriotismus gegenüber skeptisch zu sein, traten auch die UnionspolitikerInnen im Rahmen des CDU-Parteitages von Anfang Dezember 2004, der ganz im Zeichen der Vaterlandsliebe stand, mit Anti-PC-Pose auf.

Diese „wir durften nicht und wollen endlich auch“-Haltung setzt die wesentlichen gesellschafts- und kulturpolitischen Debatten der 1990er (Walser-Bubis, Leitkultur, Wehrmachtsausstellung, Deutschrockquote, u.v.a.) fort: Auch darin ging es um die Frage der Nation, zu der man sich als Deutsche/r angeblich nicht bekennen dürfe, beherrscht von einer bevormundenden Gesinnungspolizei, dem Tugendterror von einigen Frustrierten (die qua Zuschreibung meist Frauen sind) und „altem Denken“ Verhafteten (dem Denken von ’68), kurz: PC-Diktatoren.

Dass es gerade beim Einsatz der Wörter „Patriotismus“ und „Nation“ nicht um unbegründbare Knebelungen bzw. das Aufbegehren dagegen geht, wissen natürlich auch die Rechten. In Deutschland wie in Österreich steht die Interpretation der Vergangenheit, die Definitionsmacht über die Geschichte selbst auf dem Spiel. Und damit auch die über die möglichen Folgen daraus. Ein „selbstbewusster Patriotismus“ (Stoiber) kann in Deutschland nur ein selbstvergessener Patriotismus sein, der sich der Verantwortungen für die Zeit des Nationalsozialismus entledigt, um u.a. linke Hirngespinste wie den Multikulturalismus bekämpfen zu können.

Dass die radikal anti-patriarchale Haltung Jelineks als überholt zu gelten hat wie auch die Idee der multikulturellen Gesellschaft als gescheitert anzusehen sei, das war in diesen Wochen oft zu lesen. Wer hier also über kulturelle Hegemonie verfügt, und wo die Minderheiten sind, ist eigentlich nicht schwer zu erkennen. Wer noch zwei Beispiele braucht: Der liedermachende Althippie Hermann Van Veen gab als Gast von Frau Christiansen den reuigen Ex-Idealisten, indem er dem (ebenfalls ermordeten) Rechtspopulisten Pim Fortuyn recht gab mit seiner „Warnung“ vor dem Multikulturalismus.

Und die Literaturkritikerin Iris Radisch betitelte Elfriede Jelinek anlässlich der Nobelpreisverleihung in der liberalen Wochenzeitung Die Zeit abschätzig als „große Regionalschriftstellerin“.

Da bleibt gegen den verstummten Nationalismus und die geknebelten PatriotInnen wohl nur eins: PC-DiktatorInnen aller Länder, vereinigt euch!