antimilitarismus

Moderner Militarismus

Big-Band-Sound statt Heldentum

| Christian Axnick

Der Militarismus ist auch nicht mehr das, was er mal war. Die "Zivilgesellschaft" gegen das Militärsystem: das war einmal eine klare Frontstellung, etwa im Königreich Preußen, als die Werber der Armee oftmals auf handgreiflichen Widerstand beim Einfangen der Rekruten stießen.

Im Kaiserreich sorgte der allgemeine Kriegsdienstzwang, den Preußen-Deutschland im 19. Jahrhundert als einziges europäisches Land in Friedens- wie Kriegszeiten aufrechterhalten hatte, für eine einzigartige soziale Militarisierung. Aber immer blieb das Militär eine exklusive Gruppe; gerade die Heroisierung des Soldaten (wie erbärmlich das Kasernendasein auch sein mochte) erforderte die Aufrichtung von Schranken gegen die verdächtig-verächtlichen Zivilisten. Das Offizierskorps als Elite der Nation hielt auf einen strikten Ehrenkodex: ja, den preußischen Leutnant – denkt der Untertan Diederich Heßling bewundernd, als er sich, vor der Duellforderung kneifend, gedemütigt aus dem Zimmer ebendieses Leutnants schleicht – den macht uns eben doch keiner nach!

Kriegervereine und -denkmäler, Militärmusik, Fackelzüge – die Rituale des klassischen Militarismus machten das Militär zwar öffentlich unübersehbar, grenzten es aber auch von der bürgerlichen Gesellschaft ab.

Die war schlapp und verweichlicht; auf Olaf Gulbranssons Simplicissimus-Karikatur schnauzt der bullige Feldwebel unter der Pickelhaube den windschiefen Rekrutenhaufen an: „Aus euch werden wir erst mal Menschen machen!“

Die Werte und Verhaltensweisen des Militärs waren allgegenwärtig, aber nicht jedem erreichbar; und das paßte der Bourgeoisie im Grunde ganz gut: sie hatte nur Sinn für Heroismus auf Distanz: Heldenverehrung gerne, aber sich selber in den Schlamm schmeißen? Ich bitte Sie, man hat seine Leute. Entweder die armen Schlucker, die in eine Berufsarmee eintreten mußten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, oder die Kriegsdienstpflichtigen, denen unter der kulturellen Hegemonie des klassischen Militarismus die Erniedrigungen des Militärdienstes als unentbehrlicher Bestandteil einer männlichen Identität erschienen.

Einen in diesem Sinn militaristischen Staat gibt es unter den Staaten, die eine globale militärische Macht darstellen, den USA und der Europäischen Union, nicht mehr. Ihre Armeen kommen zunehmend zivil daher, und die Rituale des klassischen Militarismus machen immer mehr den Eindruck von Relikten einer vergangenen Zeit.

Die Rhetorik, mit der Bundeswehrvertreter, Verteidigungsexperten und Rüstungslobbyisten die Öffentlichkeit bearbeiten, ist weich und weicher geworden: keineswegs gehe es darum, Krieg zu führen, vielmehr um peace keeping – na, schlimmstenfalls peace enforcing … Keine Rede könne davon sein, daß wir eine Interventionsarmee hätten oder haben wollten (die US-Amerikaner schon); aber wir müßten bereit sein, international Verantwortung zu übernehmen und humanitäre Hilfe zu leisten!

Selbst da, wo sich nicht verschleiern läßt, daß gekämpft wird, handelt es sich scheinbar nicht um etwas so Übles wie Krieg: allenfalls werden Militärschläge, und zwar präzise, durchgeführt. Mit offen dargestelltem Heroismus ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen und keine Armee mehr zu rechtfertigen. Parallel dazu wird die Bundeswehr umgebaut: von einer sogenannten Verteidigungsarmee, deren Aufgabe es war, im Rahmen der Abschreckungsstrategie des Kalten Krieges die Fähigkeit zum Krieg zu demonstrieren und damit Gewalt anzudrohen, zu einer Armee im Einsatz, die Gewalt tatsächlich anwendet; da, wo es zur Durchsetzung der Interessen der Bundesrepublik erforderlich ist. Struktur und Ausrüstung werden diesen Erfordernissen seit Jahren angepaßt; die Ausbildung, die härter und einsatzorientiert zu sein hat, ebenfalls; auch wenn es da anfangs zu Mißverständnissen gekommen zu sein scheint.

Die Fähigkeit des Staates, Krieg zu führen, ist nicht mehr an das martialische Auftreten des klassischen Militarismus gebunden. Der Militarismus hat sich mit der Zeit gewandelt, er ist pragmatischer und ziviler geworden, er hat seine feudalen heroischen Anteile abgestoßen, um sich als Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft unauffällig, aber wirkungsvoll zu präsentieren. Eine Big Band tourt durch die Lande, gibt Benefizkonzerte, auf denen Geld für wohltätige Zwecke gesammelt wird; auf dem Programm steht Jazz, die Sängerin ist Afrikanerin, und die Musiker sind – Soldaten, denn es handelt sich um die Big Band der Bundeswehr. Was soll man denn dagegen haben? Schließlich wird hier doch keine Propaganda fürs Militär gemacht; Politik kommt gar nicht vor!

Eben. Die Bundeswehr, Träger des staatlichen Gewaltmonopols und eben dabei, sich für weltweite Kriegseinsätze auszurüsten, besetzt einen öffentlichen Raum, unübersehbar; und gleichzeitig macht sie jede Diskussion über sich und das, was sie tut, unmöglich. Man kann nicht während eines Big-Band-Konzerts diskutieren oder mit einer Big Band oder über den gemeinnützigen Zweck, für den sie Geld sammelt. Die Aufgabe und die Handlungen der Armee verschwinden unter einem Klangnebel aus Swing.

Wer Swing spielt, kann unmöglich militärische Haltung annehmen. Die Kasernenhofschindereien der kaiserlichen Armee wurden vom heroischen Ideal überdeckt; die Kriegsausbildung bei der Bundeswehr vom legeren Auftreten ihrer Musiker oder Sportler und dem menschenfreundlichen Engagement ihrer humanitären Helfer.

Kampftruppen gibt es aber auch? Das ist eben noch ein Job, den man bei der Bundeswehr machen kann. Die organisierte Gewaltanwendung des Militärs unterliegt nicht mehr den Zwängen eines feudalen Ehrenkodex, der für eine exklusive Gruppe von Kriegern verbindlich ist, sie ist ein Beruf wie jeder andere geworden: routiniert, effizient und ohne großartige Sperenzchen zu erledigen. Die Barrieren zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Militär sind gefallen, eines geht ins andere über: so wird das Militärische ziviler, das Zivile aber auch militärischer. Die Existenz des Militärs und sein Zweck werden von niemandem außer marginalen Gruppen in Frage gestellt (und in einem Aktionsbündnis die Forderung nach Asyl für Deserteure durchzusetzen, ist ein Kraftakt!), die Anwendung von kriegerischer Gewalt zur Erreichung politischer Ziele wird entweder nicht als Problem zur Kenntnis genommen oder akzeptiert. Es gibt eine Art von ideologischem dual use: die Bilder und Haltungen, die die Kulturindustrie verbreitet, passen ebenso gut in einen zivilen wie in einen militärischen Kontext; was auszuwechseln wäre, ist die Kleidung, alles andere funktioniert hier wie dort.

Der moderne Militarismus pflegt die alten Rituale vor allem im Interesse des Zusammenhaltes der Truppe selbst und nur noch begrenzt als Mittel der Außendarstellung – das läßt sich etwa an öffentlichen Gelöbnissen beobachten, deren Öffentlichkeit zum Teil eine sehr eingeschränkte ist, die aber einen Schlußpunkt unter die militärische Initiation der Rekruten setzen. Sie werden noch einmal symbolisch in das militärische Kollektiv einverleibt, damit dem Einzelnen klar wird: Jetzt gehörst du dazu! Darauf kann eine Organisation, die tödliche Gewalt anwenden soll, nicht verzichten. Aber aus der Beobachtung, daß diese Seite der Medaille nur noch relativ selten vorgezeigt wird, zu schließen, wir lebten in einer nachmilitärischen Gesellschaft, wäre sträflich naiv.