Die Abschaffung der Kettenduldungen ist nach Aussagen aller PolitikerInnen ein zentrales Ziel des Zuwanderungsgesetzes.
Nach 18 Monaten Duldung soll „in der Regel“ in Zukunft eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn das Abschiebungshindernis nicht selbst verschuldet und die freiwillige Ausreise nicht möglich ist. Ein eigenes Verschulden wird etwa dann angenommen, wenn der Betroffene nicht bei der Beschaffung von Ausreisepapieren mitwirkt oder falsche Angaben zur Identität macht. Durch diese Regelung soll angeblich einem Großteil der langjährig Geduldeten zu einem sicheren Aufenthaltsstatus verholfen werden.
Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD Bundestagsfraktion und Mitautor des Gesetzes, geht von „weit über 50 Prozent“ der bisher langjährig Geduldeten aus, die eine Aufenthaltserlaubnis erhalten würden.
Das Gegenteil ist der Fall. Bereits einen Monat nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes ist erkennbar, dass nur Einzelfälle in den Genuss der hochgelobten Regelung kommen werden. Für den Löwenanteil wird es nicht nur keine Verbesserungen geben. Im Gegenteil: Die Daumenschrauben werden angezogen. Und dafür kennt das Zuwanderungsgesetz wesentlich effizientere (und im Vergleich zur Abschiebung elegantere) Werkzeuge als zuvor: Ausreiselager, Arbeitsverbote, Aushungern.
Beispiel: Familie T. floh 1997 aus Togo nach Nordrhein-Westfalen. Herr T. war aktiv in der „Perspektive Togo“ die dem sympathischen (und vor wenigen Tagen verstorbenen) Diktator Gnassingbé Eyadéma ein Dorn im Auge war. Der Asylantrag wurde abgelehnt, obwohl Herr T. auch in Deutschland weiterhin politisch sehr aktiv war. Anfang Januar stellte die Familie einen Asylfolgeantrag für die in Deutschland geborene zweijährige Tochter, die bei einer Rückkehr akut von Genitalverstümmelung bedroht wäre. Über den Asylfolgeantrag ist noch nicht entschieden worden. Seit der Ablehnung des ersten Asylantrags lebt die Familie mit einer Duldung. Seit vier Jahren arbeitete Herr T. in der Kantine einer städtischen Sparkassenzentrale, die Familie erhielt keine Sozialhilfe. Anfang Februar wollte Familie T. ihre Duldung verlängern. Dabei erhielt Herr T. in seine Duldung einen Stempel: „Arbeitsaufnahme nicht gestattet“. Der Sachbearbeiter erklärte ihm, dies müsse er nun machen, weil Familie T. sich nicht um Passpapiere bei der togoischen Botschaft bemühe, ohne die eine Ausreise oder Abschiebung nicht möglich ist.
Auch Herrn T.s Arbeitgeber konnte mit einem Anruf bei der Ausländerbehörde das Arbeitsverbot nicht verhindern.
Die Folgen: Herr T. verliert von heute auf morgen seine Arbeit. Die Familie erhält kein Arbeitslosengeld, da Herr T. wegen seines Arbeitsverbots dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht. Die Familie erhält kein Arbeitslosengeld II (die frühere Arbeitslosenhilfe), da geduldete Ausländer von Leistungen nach Hartz IV ausgeschlossen sind. Familie T. wird also vom Er-werbseinkommen unmittelbar ins Asylbewerberleistungsgesetz fallen: Sie muss von Leistungen leben, die mehr als 30 Prozent unter den Regelsätzen des Arbeitslosengeld II liegen.
Familie T. ist kein Einzelfall. Seit dem 1. Januar verliert eine große Zahl Geduldeter die Arbeitserlaubnis. Eine Arbeitserlaubnis darf Geduldeten grundsätzlich nicht erteilt werden, wenn das Abschiebungshindernis selbstverschuldet ist. Also: mangelnde Mitwirkung bei der Passbeschaffung, falsche Identität, usw. Das war allerdings im vergangenen Jahr auch schon so. Aber damals waren mit dem Arbeitsamt, der Ausländerbehörde und dem Sozialamt mehrere Behörden an der Erteilung einer Arbeitserlaubnis beteiligt, und nun liegt die Entscheidung allein in der Hand der Ausländerbehörde.
Viele Ausländerbehörden scheinen nun nach dem internen Grundsatz zu handeln: Wer keinen Pass besitzt (unabhängig davon, ob er sich darum bemüht oder nicht), dem wird die Existenzgrundlage entzogen. Dass damit unnötigerweise hohe Kosten auf die Sozialämter zukommen, scheint dabei nicht zu stören. Schließlich ist diese Form des Aushungerns eine gut funktionierende Zermürbungsstrategie, mit der die Betroffenen dazu gezwungen werden können, ihre „freiwillige“ Ausreise zu organisieren – ganz ohne unschöne Abschiebungen und teure Ausreiselager.
Die Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, haben die Betroffenen damit nicht mehr – für einen Aufenthaltstitel ist in der Regel die Sozialhilfeunabhängigkeit eine Voraussetzung…
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheitert zusätzlich an einer weiteren Voraussetzung: Diese darf nur erteilt werden, wenn „eine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist“ (§ 25 Aufenthaltsgesetz). Es kommt also nicht darauf an, ob eine Abschiebung möglich ist, sondern auf die Möglichkeit der „freiwilligen“ Ausreise. Wenn man davon ausgeht, dass eine Ausreise prinzipiell immer möglich ist, kommt es in der Praxis häufig auf die Frage der „Zumutbarkeit“ an. Das sieht sogar das Bundesinnenministerium so: In den Anwendungshinweisen zu § 25 Aufenthaltsgesetz heißt es: „Ein Ausreisehindernis liegt nicht vor, wenn zwar eine Abschiebung nicht möglich ist, z.B. weil eine Begleitung durch Sicherheitsbeamte nicht durchgeführt werden kann, eine freiwillige Ausreise jedoch möglich und zumutbar ist.“
Wann ist eine Ausreise zumutbar?
Ist es Roma zumutbar, in den Kosovo zurückzukehren, obwohl Abschiebungen von der UNMIK strikt abgelehnt werden? Ist es den Eltern eines zweijährigen Mädchens zumutbar, in den Kongo zurückzukehren, obwohl erhebliche Gefahren für das Kind bestehen, an Malaria zu erkranken? Ist es einer Familie zumutbar, nach 15 Jahren Leben in Deutschland mit ihren Kindern in einen Staat zurückzukehren, den die Kinder nur aus Erzählungen kennen und dessen Sprache sie nicht sprechen? Ist es zumutbar, in Kriegsgebiete wie den Irak oder Afghanistan zurückzukehren?
Das hessische Innenministerium meint: „Die Frage der Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung bzw. der Unzumutbarkeit der Ausreise, wie dies teilweise dargestellt wird, ist (…) keine Frage der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 25 Abs 5 AufenthG (…). Insofern kommt es (…) nur auf die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise, nicht aber darauf an, ob diese – subjektiv – zumutbar ist.“ (Erlass vom 7. Februar 2005). Mit dieser zutiefst unmenschlichen Argumentation übertrifft das hessische Innenministerium sogar noch die ebenfalls restriktive Auslegung des Bundesinnenministers und widerspricht im Übrigen der Gesetzesbegründung.
Rheinland-Pfalz sieht die Sache anders: Nach Ansicht des Mainzer Innenministeriums „ist bei der Frage, ob eine Ausreisemöglichkeit besteht, ferner auch die subjektive Möglichkeit und damit implizit auch die Zumutbarkeit der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen.“ (Erlass vom 17. Dezember 2004). Insbesondere bei langjährigen Aufenthalten in Deutschland und bei hier geborenen Kindern sollen die Ausländerbehörden demzufolge positives Ermessen ausüben.
Nochmal kurz zusammengefasst
Nur sehr wenige Geduldete werden eine Aufenthaltserlaubnis erhalten (etwa bei anerkannten schweren Krankheiten).
Sehr viele werden unter wesentlich massiveren Sanktionen zu leiden haben als zuvor – Abschiebungen und „freiwillige“ Ausreisen werden bei ihnen viel leichter durchsetzbar und stark zunehmen. Und die Macher des Zuwanderungsgesetzes können sich freuen: „Ziel erreicht! Kettenduldungen abgeschafft!“
Der Autor
Claudius Voigt ist Mitarbeiter beim Flüchtlingsrat NRW.