Die US-Regierung und alle, die im Nachhinein durch Unterstützung der Besatzung noch einen Anteil am "Wiederaufbaukuchen" erhaschen wollen, feierten die Wahlen im Irak am 30. Januar 2005 als "Meilenstein des Demokratisierungsprozesses".
Die bürgerliche Presse reagierte fast gleichgeschaltet und jubelte mit. Die UNO, die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak durch Absegnung der Besatzungsherrschaft letztlich doch noch legitimiert hat, organisierte den Wahlgang und lobte gemeinsam mit Bush und Co. die Iraker, die sich durch die Stimmabgabe als „reif für die Demokratie“ erwiesen hätten.
Die nach außen demonstrierte Einigkeit in der Bewertung der Wahlen machte deutlich, dass sich die taktischen Differenzen zwischen den USA und einigen Nato-Staaten, die bezüglich des ersten Kriegsabschnittes bestanden, hinsichtlich der Unterstützung des Besatzungsregimes aufgelöst haben.
Gemeinsam geht es nun allen darum, politische Bedingungen im Irak zu schaffen, die langfristig die Durchsetzung der eigenen wirtschaftlichen und strategischen Interessen ermöglichen. Die Durchführung der Wahlen war denn auch ein wichtiger Schritt innerhalb der Strategie der Irakisierung der Besatzung. Es war und ist das Interesse der USA und ihrer alten und neuen Verbündeten, im Irak eine Regierung ins Amt zu bringen, die die Interessen der Besatzer zumindest in wesentlichen Fragen zu ihren eigenen macht.
Dies ist mit dem Wahlausgang, auch wenn er mit dem schlechten Abschneiden der Liste von Ministerpräsident Allawi mit 13,8% der Stimmen und 38 Sitzen im Parlament nicht ganz das von der US-Regierung erhoffte Ergebnis gebracht hat, sicherlich gegeben.
Auch die Vereinigte Irakische Allianz, auf deren Liste Vertreter aller großen schiitischen Parteien kandidiert haben, ist zu Zugeständnissen an die Besatzungsmächte bereit.
Der wahlwirksam geforderte Fahrplan für den Abzug der ausländischen Truppen steht nicht im Gegensatz zur Bereitschaft, den USA die Nutzung von Militärbasen zu überlassen und Verträge zur Absicherung der Ausbeutungsmöglichkeiten ausländischer Konzerne abzuschließen. Es geht den großen schiitischen Parteien vor allem darum, an die Schalthebel der Macht zu kommen und den Irak verfassungsrechtlich auf eine religiöse Basis zu stellen. Für dieses Ziel ist man auch zu Zugeständnissen an die Besatzer bereit.
Gewählt wurden 275 Mitglieder der Nationalversammlung, die Abgeordneten von 18 Provinzräten sowie 111 Abgeordnete des kurdischen Regionalparlaments. Hauptaufgabe der neu gewählten Nationalversammlung ist es, abschließend eine Verfassung zu erarbeiten, die dann entsprechend der bisherigen Planungen am 15. Oktober 2005 der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Gibt es eine Mehrheit für die Verfassung, soll dann bis spätestens 15.12.2005 erneut gewählt werden. Die aus diesem Wahlgang hervorgegangene Regierung soll dann bis Ende des Jahres 2005 die Amtsgeschäfte übernehmen. Die Problematik dieses Prozesses liegt schon darin, dass bereits ein Verfassungsentwurf existiert, der von den direkt von der Besatzungsmacht eingesetzten Behörden erarbeitet wurde. Dieser Entwurf dient als feststehende Grundorientierung für die Weiterentwicklung der Verfassungsdebatte.
Unabhängig davon wird auch die aus den Wahlen am 30. Januar sich herausbildende Regierung nur beschränkt handlungsfähig sein. Insbesondere die Verfügungsgewalt über die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes ist der Regierung weiter entzogen und verbleibt bei den Besatzungsbehörden.
Die Wahlen waren weder demokratisch noch frei. Dies ist grundsätzlich in einer Situation von Krieg und Besatzung nicht möglich. Der bereits von der eingesetzten irakischen Übergangsregierung verhängte Ausnahmezustand wurde während der Wahlphase noch weiter verschärft. Die Grenzen zum Ausland wurden geschlossen, die Reisemöglichkeiten eingeschränkt und die Wahllokale von starken Militäreinheiten gesichert. Bereits im Vorfeld der Wahlen wurde eine große Zahl von Kandidaten und Wahlhelfern ermordet. Ein wirklicher Wahlkampf, in dem alle Parteien öffentlich auftreten und für ihre Ziele werben können, war nicht möglich. Zugang zu den von den Besatzungsmächten überwiegend kontrollierten Medien hatten praktisch nur die Vereinigte Irakische Allianz, Kurdische Allianz und die Liste von Ministerpräsident Allawi. Geheim waren die Wahlen in sofern als viele Wahllokale bis zur Eröffnung praktisch geheim blieben, ebenso wie die Mehrheit der Kandidaten selbst, die aus Angst vor Anschlägen keine Offenlegung ihrer Identität wünschten. Auch welche Gruppierungen sich hinter den Wahlbündnissen und über 100 Kandidatenlisten verbargen, blieb mehrheitlich im Dunkeln.
In mehreren Städten konnte auf Grund der mangelnden Sicherheitslage gar nicht gewählt werden. Mehrere islamistische Gruppen hatten zuvor angekündigt, sie wollten die Durchführung der Wahlen durch Anschläge unmöglich machen. Gleichzeitig wurde gedroht, alle, die sich an der Wahl beteiligen, würden als Gegner betrachtet und müssten somit selbst damit rechnen, Opfer eines Anschlages zu werden. Auf diesem Hintergrund hat die größte sunnitische Partei gefordert, die Wahl zu verschieben, und hat nach Ablehnung der Forderung die Wahlbeteiligung zurückgezogen. Die Arbeiterkommunistische Partei des Irak hatte zum Boykott der Wahlen aufgerufen. Die Wahl, so die berechtigte Befürchtung der AKPI, schaffe und festige Verhältnisse, die eine fortschrittliche Entwicklung im Irak langfristig erschweren bzw. unmöglich machen. Die Organisation sah ihre Hauptaufgabe in der Aufklärung der Bevölkerung über die Funktion dieser Wahlen, die sie langfristig in der Etablierung eines „reaktionären, religiös und ethnozentristischen Marionettenstaates“ sieht.
Trotz dieser richtigen Ansatzpunkte greift eine Bewertung der Wahlen nur als Wahlfarce oder Besatzungsmanöver zu kurz. Dies zeigt die trotz aller Manipulationen und Sicherheitsprobleme hohe Wahlbeteiligung.
Die Mehrheit der irakischen Bevölkerung ist gegen die Fortdauer der Besatzung und für den Abzug der ausländischen Truppen. Mit der Durchführung der Wahl und Schaffung eigener irakischer politischer Strukturen verbinden breite Teile der irakischen Bevölkerung die Hoffnung, einen Ausweg aus der Zwangssituation zwischen Besatzung und Terroranschlägen zu finden. Die Kommunistische Partei Irak hat sich auf diesem Hintergrund mit einer Liste „Volksunion“ an den Wahlen beteiligt und verfügt über 2 Sitze im Parlament. Im Mittelpunkt ihrer Wahlkampagne stand die Wiederherstellung der vollen nationalen Souveränität des Irak und die Errichtung eines föderalen und säkularen Staates.
Das Wahlergebnis machte jedoch eher die derzeitige Schwäche der Partei deutlich und bindet sie weiter in einen politischen Entscheidungsprozeß ein, den sie selbst kaum beeinflussen kann, in dem sie aber die politische Verantwortung letztlich mitzutragen hat. Insgesamt haben die Wahlen den Spielraum der Linken nicht erhöht. Sie werden in Zukunft gegen drei Fronten zu kämpfen haben: Besatzungsregime, religiös-konservativ dominierte Parlamentsmehrheit und gegen den massenfeindlichen Terror im Lande.
Die Wahlen haben an den Problemen im Irak nichts geändert. Nur durch den konsequenten Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen, eine klare Absage an islamistische und nationalistische Strömungen und konsequente Verteidigung der sozialen Rechte und Freiheitsrechte wird letztlich eine Alternative sichtbar werden können. Für die Antikriegsbewegung besteht in der jetzigen Situation die Herausforderung vor allem darin, eine weltweite Bewegung zur Beendigung des Besatzungsregimes im Irak aufzubauen, die konsequent den Hauptgegner im eigenen Land sieht.
Jegliche Unterstützungsleistung für die Besatzer im Irak muss beendet werden. Nur so kann verhindert werden, dass die Wahlgewinner im Irak letztlich doch in Washington sitzen.
Anmerkungen
Brigitte Kiechle ist Rechtsanwältin und Publizistin. Die Autorin von "Irak - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Mit dem Maßstab der Freiheit" (Schmetterlingverlag 2003) lebt und arbeitet in Karlsruhe. Sie unterhält seit vielen Jahren politisch und beruflich Kontakt zu irakischen Oppositionellen verschiedenster politischer Strömungen und hat viele Flüchtlinge aus dem Irak anwaltlich vertreten. 1991 engagierte sie sich aktiv in der Bewegung gegen den 2. Golfkrieg. Seither referiert sie bei Veranstaltungen und Seminaren zum Thema Irak, wobei es ihr wichtig ist, u.a. auch auf frauenspezifische Aspekte hinzuweisen. Brigitte Kiechle hat zahlreiche Artikel zu unterschiedlichen Themenbereichen veröffentlicht, u.a. auch zur politischen Entwicklung in der Türkei, im Iran und in Afghanistan.
Siehe auch: William Wright: Befreiung des Irak? Mit wem?, in: GWR 279, Mai 2003