antiparlamentarismus

Die fetten Jahre sind vorbei

Ketzerische Positionen zur Bundestagswahl 2005

| Brother John

Seit Ende der siebziger Jahre, seit dem Ende des "fordistischen Produktionsregimes" (Hirsch /Roth) des Kapitalismus (so benannt nach einer speziellen, auf relativ hohem Lohnniveau basierenden industriellen Arbeitsteilung in Kombination mit der Umverteilung eines Teils der Profite durch den Sozialstaat), hat sich weltweit eine neoliberale Wirtschaftspolitik durchgesetzt.

Sie besteht einerseits in der Konzentration staatlicher Funktionen auf den Ausbau des sicherheitstechnischen und militärisch-industriellen Komplexes, teuer und vom Staatshaushalt finanziert (siehe vor allem die Rekordverschuldung der US-Regierung, aber nicht nur dort); andererseits in der Reduktion auf „Kernbelegschaften“ und im Abbau sozialer Sicherungssysteme für Flüchtlinge, Arbeitslose, RentnerInnen und andere Marginalisierte in den Industrieländern. Über den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank werden Kreditaufnahmen von Ländern der so genannten „Dritten Welt“ mit Auflagen wie Lohnstopps, Freihandelszonen oder Privatisierungen verknüpft, deren aktuelle Folgen z.B. in der Revolte gegen die Privatisierung der Gasvorkommen Boliviens zu besichtigen sind.

PionierInnen dieser Politik waren US-Präsident Ronald Reagan und die britische „eiserne Lady“ Margaret Thatcher in den achtziger Jahren. Sozialdemokraten wie Tony Blair oder Gerhard Schröder setzen heute deren Politik nur fort.

Parlamentarisch-kapitalistische Politik: immer wieder alles fürs Wachstum

Wer den Kapitalismus über parlamentarische Politik „reformieren“ will, ist schon an seine Existenzbedingungen gebunden. Und die sind: Um überhaupt etwas umverteilen zu können (also zum alten sozialstaatlich-fordistischen Modell zurückkehren zu können), muss profitabel produziert werden. Wachstum ist also für eine solche Politik absolut notwendig. Ohne Wachstum gibt es auch nichts umzuverteilen. Unter globalisierten Bedingungen zählen als Wachstumsfaktoren mehr denn je so genannte Standortbedingungen. Eine parlamentarische Politik, die nicht riskieren will, dass Konzerne in Billiglohnländer abwandern, muss geradezu Steuergeschenke für Unternehmen machen, kostengünstig Infrastruktur bereitstellen oder Gewerkschaften zur Durchlöcherung unflexibler Tarifbedingungen drängen. Wenn die Konjunktur nicht anzieht, ist jede sozialdemokratische Regierung dazu bereit, noch einen weiteren Einschnitt mehr durchzusetzen, notfalls auch noch weiter zu gehen als die Kohl-Regierung vor ihr, denn im Rahmen des Kapitalismus ist immer nur Wachstum die einzige Möglichkeit, überhaupt wieder – wenn auch in erdachter ferner Zukunft – sozialdemokratische Umverteilungspolitik betreiben zu können.

In den Jahren rot-grüner Regierung ist die Konjunktur in Deutschland nicht – wie von SPD und Grünen erhofft und erwartet – angesprungen, dagegen ist aufgrund der Wachstumsflaute ein bedrohliches Anwachsen der Massenarbeitslosigkeit entstanden. Selbst bei einem Konjunkturaufschwung wäre die Umverteilung nicht mehr garantiert. Bei Rekordumsätzen denken Konzerne und Banken nicht mehr daran, einzustellen, sondern sie bauen sogar auch dann noch Stellen ab.

Die Lehre, die die politische Klasse in Wahlkämpfen daraus zieht, ist immer wieder die Fortsetzung und Verschärfung des Neoliberalismus. So verkündet die im Umfragehoch sich befindliche neue CDU-FDP-Regierung in spe bereits jetzt neue Kürzungen (Pendlerpauschale, Nachtzuschlag für Krankenschwestern, Studium-Teilfinanzierung, Förderkurse für Arbeitslose, Mehrwertsteuer-Erhöhung, Kündigungsschutz-Abschaffung). Wenn sich die letzte neoliberale Reform, die letzte Kürzung im Sozialstaat als nicht wirksam erwiesen hat, wird nicht etwa der Neoliberalismus in Frage gestellt, sondern es wird behauptet, dass die „Reformen“ (ein inhaltsleer gewordener Begriff, von rechts längst angeeignet) nicht einschneidend, nicht „radikal genug“ waren. Der Neoliberalismus als derzeitiges „Regime“ des Kapitalismus in wachstumsschwachen Zeiten kann sich noch so blamieren, er bleibt im öffentlichen Diskurs als Ursache immer außen vor.

Dagegen wird jede soziale Bewegung von unten von der politischen Klasse bekämpft, weil sie die erhoffte profitable Produktion und damit neuerliches Wachstum gefährdet. Auf dem Boden des kapitalistischen Wirtschaftssystems unter globalen Bedingungen kann eine Arbeiterbewegung aus Sicht der politischen Klasse nur kontraproduktiv sein, weil sie zur Abwanderungstendenz der Unternehmen beiträgt.

Diese widersinnige Politik des Festhaltens am kapitalistischen Wachstum unter globalen Bedingungen wurde über Jahrzehnte im medialen Diskurs gefördert und als vernünftig beschrieben, weil sie vom ökonomischen Denken in Manager-Kategorien flankiert wurde. Der Manager einer Aktiengesellschaft hat im Neoliberalismus den altbackenen Familienunternehmer, der sich noch einen Rest an Verantwortung für seine langjährigen MitarbeiterInnen vor Ort vorbehielt, abgelöst. Ein Manager ist für seine Maßnahmen nicht mehr haftbar, er kann ein sinkendes Schiff entweder mit Rekordabfindungen oder für ein besseres Salär bei der Konkurrenz verlassen. Unternehmenskrisen „löst“ der extra herbeigeholte Krisen-Manager gewissenloser als der Altunternehmer, und zwar durch ein immergleiches Instrumentarium aus Sozialplänen, Gesundschrumpfen, Entlassungen, Lean Production, flexibilisierten Arbeitsbedingungen und multiplen, berufsfremden Aufgaben für immer weniger fest Beschäftigte. Da der Manager nicht an dem Ast sägen kann, auf dem er sitzt, begegnet er jeder erneuten Krise durch eine härtere Gangart: Wo erst noch ein – meist selbst im Managerleben gescheiterter – Coach beraten hat, wird nun McKinsey engagiert. Erfolgreiche Krisenmanager erhalten Traumgagen und die Anerkennung wenigstens ihres eigenen, selbstreferentiellen Milieus. Katastrophale Folgen dieser Ideologie, etwa das Platzen der Internet- und Neue-Markt-Bulle bei den vielen jung-aufstrebenden Start-Up-Firmen gegen Ende der neunziger Jahre, werden mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen und fortan ohne Kursänderung unter den Teppich gekehrt. Die Verabsolutierung des Management-Prinzips erreichte schließlich die Politik und verfestigte dort die angebliche Alternativlosigkeit neoliberalen Denkens und Handelns. Doch der dabei gesellschaftlich offenbar werdende Zynismus ist nun einigen BürgerInnen bewusst geworden, woraus sich ein Großteil der ach so beklagten „Politikverdrossenheit“ erklärt. Gleichwohl ist der Widersinn nicht auszuschließen, dass viele BürgerInnen mit der CDU nun gerade wieder die Fortsetzung und Verschärfung neoliberaler Politik wählen werden.

Die verloren gegangene Integrationsfunktion der Sozialdemokratie

Durch die Verabsolutierung neoliberalen Denkens und Handelns kam im politischen Betrieb jedoch scheinbar etwas abhanden, was zu jeder parlamentarischen Demokratie und deren Stabilität als Herrschaftssystem gehört: die parteipolitische Integration eines Großteils der Beherrschten ins System. Die nun als Wahlkampfköder noch schnell hingeworfene Forderung nach einer „Reichensteuer“, soll hier retten, was zu retten ist. Schon der „Spiegel“ hat sie bei Ankündigung belächelt: „Ohnehin rechnen Experten damit, dass die Millionärsteuer nur geringe Mehreinnahmen in die Kassen spült.“ (1) Was die SPD in sieben Regierungsjahren an neoliberalen Leistungen vorweisen kann, bezeugt ungewollt Saar-SPDler Heiko Maas: „Wenn die mit 250.000 Euro Jahreseinkommen nur fünf Prozent mehr bezahlen, ist das immer noch deutlich weniger als bei Helmut Kohl.“ (2)

Münteferings „Kapitalismuskritik“ plus Reichensteuer: Das ist symbolische Politik für die Massenintegration. Suggeriert wird von der SPD gegenüber den VerliererInnen ihrer eigenen Regierungspolitik: „Wir denken an euch!“ Nur: das glauben der SPD viele WählerInnen längst nicht mehr.

Wenn die SPD also nicht mehr ihre integrative Funktion für das parlamentarische System und damit für den Kapitalismus wahrnehmen und einlösen kann, wer dann?

Hier formieren sich die Erben einer angeblich „wirklich“ sozialdemokratischen Politik, die Gysis und Lafontaines. Und sie wissen, dass gerade die kritischen WählerInnen nur zu gern nach dem Strohhalm greifen, dass sie dabei vergessen, was aus der SPD nach den Beschlüssen von Bad Godesberg (1959) wurde; was aus den Grünen in nur 25 Jahren ihres Bestehens wurde; oder was aus der gewendeten PDS wurde, als sie begann, in Länderregierungen „Verantwortung“ zu übernehmen. Das Gedächtnis „der Linken“, besonders der parlamentarischen Linken und ihrer WählerInnen, ist so kurzzeitig wie das Zapping im neoliberalen Medienzeitalter. Der neu entdeckten sozialdemokratischen Illusion bei kritischen BürgerInnen und/oder Linken kann mensch als Libertäre/r und AntiparlamentarierIn mit historischen Erfahrungen nicht kommen. Jede Generation muss ihre Erfahrungen selber machen, auch auf die absehbare Gefahr hin, entweder sinnlos Energie zu vergeuden oder nur ein neues Sprungbrett zu bieten für diejenigen, die doch noch einmal mitregieren wollen und sich bis dahin mit dem Neoliberalismus schon noch versöhnen werden.

Ex-KommunistInnen gewinnen in Osteuropa, zuletzt in Bulgarien, als die „besseren“ SozialdemokratInnen Wahlen und zeigen sich als überzeugte EuropäerInnen, die der – momentan etwas kriselnden – kapitalistischen Wirtschaftsmacht Europa lieber heute als morgen beitreten wollen. In den osteuropäischen Ländern klappt es ja derzeit mit dem Wachstum. Nach deren Vorbild ist auch die PDS heute sozialdemokratischer als die SPD und für die letzten sozialdemokratischen Aufrechten wie Lafontaine sicher die richtige Ansprechpartnerin. Und dazu gehört auch Lafontaines Rede von den schädlichen „Fremdarbeitern“ (3), denn die SPD hat dem „Asylkompromiss“, der realen Abschaffung des Asylrechts, bereits 1993 zugestimmt, als sie noch mit Lafontaine in der Opposition stand.

Die von der „Demokratischen Linken“ (oder wie sie letztlich heißen mag) diskutierten Rezepte sind so altbacken und zigmal gescheitert, wie sie sozialdemokratisch sind: In der Hauptsache handelt es sich um diverse Varianten progressiver Besteuerung, mit der dann staatliche Beschäftigungsprogramme finanziert werden sollen, die für mehr Kaufkraft auf der Nachfrageseite, mehr Wachstum und mehr Beschäftigung im Privatsektor der Wirtschaft sorgen sollen.

Warum greift die sozialdemokratische Politik der progressiven Besteuerung nicht, warum hat sie noch nie gegriffen? Weil sie die grundsätzliche Funktionsweise kapitalistischen Wirtschaftens nicht angreift und den Konzernen dadurch viele Schlupflöcher öffnet: Heute, in den Zeiten entfesselter kapitalistischer Globalisierung, ist das natürlich vor allem die Produktionsverlagerung ins Billiglohn- und Billigsteuer-Ausland. Oft genügt im öffentlichen Diskurs schon die Drohung mit Delokalisierung, um „Reformdiskussionen“ in dieser Richtung abzumildern oder zu beenden. Zudem hat sich die Dimension progressiver Besteuerung bei jeder Regierungsübernahme einer sozialdemokratischen Partei bislang noch immer so weit reduziert, dass sie nur mehr „geringe Mehreinnahmen“ in die Kassen spült, was zur Finanzierung groß angelegter Beschäftigungsprogramme bei den heutigen Arbeitslosenzahlen kaum reichen wird.

Auffallend ist, wie die aktuelle Diskussion um progressive Besteuerung, etwa bei der WASG, im Vergleich zu früher immer noch ein Stück weniger anecken will. In den achtziger Jahren hätte ein Lafontaine z.B. öffentlich den damals weithin geteilten reformistischen Slogan unterschrieben, Beschäftigungsprogramme sollten mit Geldern aus dem Rüstungshaushalt gegenfinanziert werden. Selbst die primitivste Variante linksreformistischer Politik, die Finanzierung des Sozialstaats durch Kürzung des Rüstungsetats, wagt heute kaum mehr jemand in den Mund zu nehmen: Bundeswehr raus aus Afghanistan und Kosovo, Abschaffung der Wehrpflicht – und die leidige Frage um die Gegenfinanzierung wäre für jeden sozialdemokratischen Reformisten gelöst. Nicht einmal dazu ist der sozialdemokratische Diskurs heute in der Lage.

Ketzerische Positionen: Expropriation (Enteignung) wieder denkbar machen

Es wäre Aufgabe der AnarchistInnen vor den kommenden Bundestagswahlen und danach, die Kapitalismuskritik über ihren sozialdemokratisch beschränkten Horizont hinauszutreiben.

Das kann durch provokative, im Rahmen des Systems unerfüllbare Positionen geschehen. Nur so kann den auf neue Wahlillusionen mittels einer „Linkspartei“ fixierten kritischen WählerInnen, die in den letzten Monaten gegen die Kürzungen sozialer Absicherungen auf die Straße gegangen sind, mit einer neuen Art libertärem Realismus begegnet werden, der den BürgerInnen „reinen Wein“ einschenkt. Die Menschen müssen sich klar darüber werden, dass sie selbst es sind, die aktiv werden müssen, wenn sie etwas Wesentliches erreichen wollen; dass sie nie mehr auf PolitikerInnen und über den Staat vermittelte Politikkonzepte vertrauen können. Ich möchte dazu drei Vorschläge für libertäre Inhalte machen, die hier lediglich als subjektive Denkansätze dienen sollen, um die Richtung anzudeuten.

Erstens: Wenn Libertäre sich in den sozialpolitischen Diskussionen der letzten Jahre immer wieder für ein individuelles Mindesteinkommen stark gemacht haben, wie wäre es denn dann mit einem individuellen Höchsteinkommen? Jede/r, die/der über – sagen wir als groben Schätzwert und nur mal so für den Anfang – 200.000 Euro Jahreseinkommen „verdient“, muss alles darüber Hinausgehende abgeben, am besten direkt in die sozialen Sicherungssysteme.

Was wäre damit gewonnen? Ein gesellschaftlicher Diskurs, der das Denken, dass Expropriation gerechtfertigt ist, wieder möglich macht. Die Tendenz zur individuellen Bereicherung, auch Korruption genannt, ist heute schon so weit fortgeschritten, dass Bundestagsabgeordnete in ihrem Amt noch auf der Gehaltsliste von Konzernen stehen. Erst im Januar 2005 wurde öffentlich, dass etwa der CSU-Parlamentarier Frankenhauser parallel zu seiner Abgeordnetentätigkeit so genannte „Verkaufsschauen“ für DaimlerChrysler organisierte; noch bekannter wurde der Fall der SPD-Abgeordneten Hans-Jürgen Uhl und Jan-Peter Janssen, die von VW, angeblich ohne Gegenleistung, weiterbezahlt wurden. Janssen hatte fälschlicherweise angegeben, seit 1994 kein Gehalt mehr bezogen zu haben; in Wirklichkeit erhielt er monatlich Zahlungen bis Ende 2004, zusätzlich zu seinen üppigen Abgeordneten-Diäten. Als seine Lüge und sein jahrzehntelanger Doppelverdienst rauskamen, legte er sein Mandat nieder. (4) Die niedersächsischen SPD-Landtagsabgeordneten Ingolf Viereck und Hans-Hermann Wendhausen haben ebenfalls VW-Gehälter über zehn Jahre hinweg weiter bezogen. Sie wurden vom Landtag – erstmalig in der deutschen Parlamentsgeschichte – zur Rückzahlung von rund 750000 Euro aufgefordert. Dagegen klagen sie nun, was bereits viel über ihr „Rechtsbewusstsein“ aussagt. (5) Noch ein Skandal bei VW: Die SZ veröffentlichte jüngst Vorwürfe gegen VW-Manager Herbert Schuster und Klaus-Joachim Gebauer, Vertraute von VW-Personalchef Peter Hartz, sowie gegen Ex-Betriebsratschef Klaus Volkerts, Tarnfirmen – etwa in Indien – gegründet zu haben, um lukrative Aufträge von VW abzusahnen. Volkert soll für Reisen nach Brasilien zu dortigen Prostituierten Eigenbelege bis zu 30000 Euro gefertigt haben, die dann der VW-Vorstand abgezeichnet habe. So stellt VW seine Betriebsräte ruhig. Volkert tauchte nach Veröffentlichung der Vorwürfe ab, Schuster und Gebauer wurden gefeuert. (6) Parlamentarier, Manager, Betriebsräte: individuelle Bereicherung geht über alles – und ohne jedes schlechte Gewissen!

Solche Leute müssen aus libertärer Sicht expropriiert werden. Die „politikverdrossenen“ BürgerInnen müssen über die moralische Legitimität, individuelles Eigentum anzutasten, aufgeklärt und darin ermutigt werden. Die soziale Legitimation der Expropriation besteht darin, dass ein bestimmter Teil eines Einkommens – nach breit angelegten Maßstäben der öffentlichen Meinung – als gesellschaftlich und moralisch illegitim angesehen wird. Und weil solche Inhalte als Regierungsprogramm wohl kaum verwirklicht werden, können gewaltlose und anarchistische Gruppen hier gleich zur Tat schreiten: „Die fetten Jahre sind vorbei!“ (7) Es lebe die soziale Enteignung! Expropriation statt Repräsentation!

Management-Verantwortlichkeit und industrieller Antimilitarismus

Zweitens: Umkehrung des Verantwortungsprinzips im Management. AnarchistInnen müssten eine gesellschaftliche Diskussion darüber initiieren, dass die ManagerInnen mit ihren Entscheidungen nach den Maßstäben neoliberaler Ideologie verantwortlich dafür sind, wenn Firmen in Konkurs gehen. Bei Pleiten werden Stellen abgebaut, aber die für die Pleiten verantwortlichen ManagerInnen bleiben. Haben aber die Gekündigten bei den angewandten Strategien mitreden können? Wenn dem nicht so ist, muss sich auch das Verantwortungsprinzip umkehren. Es gilt wie im Umweltrecht das Verursacherprinzip.

Zuerst müssen bei absehbarem Misserfolg verantwortliche ManagerInnen gehen, fristlos und ohne Abfindung. Wenn ein solch konsequentes Denken weiter verbreitet wäre, würden Beschäftigte die Verantwortung ihrer ManagerInnen öfter einfordern und zum Thema von Arbeitskämpfen machen, mit der Option – wie bei der globalisierungskritischen Revolte in Argentinien durchaus üblich -, dass die Beschäftigten in Krisen ihre Firma in Eigenregie weiter bewirtschaften, auch um den manchmal notwendigen Preis einer situationsbedingten Konversion der bisherigen Produktion.

Drittens: Thematisierung der Rüstungsexportpolitik.

Deutschland ist unter Rot-Grün zum zweitgrößten Rüstungsexporteur der Welt aufgestiegen! Es ist ein Skandal, dass das selbst linke RegierungsgegnerInnen nicht mehr zum Thema machen. Es kann, gerade aus libertärer Sicht, nicht nur darum gehen, ob Arbeitsplätze entstehen und unter welcher Kontrolle produziert wird: Es geht immer auch darum, was produziert wird. Rüstungsproduktion (wie auch Atomenergieproduktion) ist selbst in Zeiten schlimmster Arbeitslosigkeit nicht zu rechtfertigen. Zudem ist bei Schröder/Fischer damit eine zynisch-nationalistische Außenpolitik verknüpft. Indem sich Schröder für eine Aufhebung des internationalen Rüstungsembargos gegen China stark macht, hofft er auf Chinas Unterstützung für einen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat der UN. Bis jetzt macht ihm China, das selbst eine streng nationalistische Weltmachtpolitik verfolgt, einen Strich durch die Rechnung. Das ist so augenfällig peinlich, sorgt aber beim nationalistisch bornierten Duo Schröder/Fischer nicht für einen Kurswechsel oder wenigstens ein zeitbedingtes Aussetzen der Forderung. (8) Es wäre Aufgabe von AnarchistInnen, ihre eigenen Traditionen eines industriellen Antimilitarismus wieder zu entdecken und Rot-Grün wie auch der nachfolgenden Regierung innenpolitisch in Sachen Rüstungsproduktion und -handel wieder Bremsklötze in den Weg zu legen.

Das sind nur drei tagespolitische und kurzfristig von Libertären propagierbare Denkansätze, die zeigen, wohin Kapitalismuskritik aus libertärer Sicht führen müsste und worin sie sich von sozialdemokratischer Politik unterscheidet. Hier wird die Kritik des Kapitalismus mit der Intention und einer Strategie grundsätzlicher Überwindung des Kapitalismus und des Aufbaus eines selbstorganisierten Sozialismus verbunden, der keinen Staat als Verteiler und Kontrolleur mehr benötigt und bei dem die direkten gewaltlosen Aktionen der Betroffenen gleichzeitig die Einübung direkter Formen der Demokratie ohne repräsentierende StellvertreterInnen sind. Wer den Kapitalismus wirksam bekämpfen will, dem/der muss das Ziel klar werden. Nur mit klaren und bewusst eingeforderten gesellschaftlichen Zielen können die neuen außerparlamentarischen Kämpfe, die nach der Wahl der CDU mit neoliberalem Programm schärfer denn je ausgetragen werden sollten, vernünftig und aussichtsreich geführt werden, ohne in staatsfixierte, irrationale oder gar rechte Gefilde zurück zu fallen.

((1)) zit. nach Spiegel 25/2005, S. 40.

((2)) zit. n. ebenda, S. 40.

((3)) vgl. Spiegel, ebenda, S. 39.

((4)) vgl. Diener zweier Herren, Spiegel 3/2005, S. 22ff.

((5)) Angaben nach Financial Times Deutschland, 25.5.2005.

((6)) vgl. Hans Leyendecker: VW-Vorstand soll Betriebsrat gekauft haben, in: Süddeutsche Zeitung, 5.7.2005, sowie: Karl-Heinz Büschemann: Fallstricke quer durch den Konzern, in: Süddeutsche Zeitung, 6.7.2005.

((7)) Die Anspielung auf den Kinofilm gleichen Namens ist gewollt, aber in unmissverständlichem Sinne: Diebstahl ja, Entführung nein!

((8)) vgl. Spiegel, ebenda, S. 49f.