libertäre buchseiten

Tierra y Libertad

Drama en cuatro Actos

| Valeri von und zu Wittgenstein

„Wenn es euch scheint, dass man die Freiheit nicht gehend erreicht, dann lauft.“ (RFM, S. 78)

Mir scheint, dass ich die Freiheit nicht sprechend erreiche, darum schreibe ich:

Und das von der Gruppe B.A.S.T.A. herausgegebene Buch „Tierra y Libertad“ ist es wert, dass mensch darüber schreibt. Eigentlich ist es kein Drama, sondern ein säuberlich zusammengetragenes Werk mit erstmals ins Deutsche übersetzten Texten des mexikanischen Anarchisten Ricardo Flores Magón. Es ist gespickt mit Zeichnungen, Drucken und Fotografien, welche Magón und engere Zeitgenossen portraitieren oder bildliche Darstellungen von damaligen Ereignissen und Zuständen zeigen.

Die Leserin merkt, dass dieses Werk von der Herausgeberin mit viel Liebe zum Detail und vor allem zum Thema gestaltet wurde. Der erste Teil besteht aus Hintergrundwissen zum eigentlichen Autor, wofür ich als Laiin der mexikanischen Geschichte dankbar bin. Hier werden Einzelheiten zu der mexikanischen Revolution, eine ausführliche Biographie (auch wenn ich persönlich anmerken will, dass ich ausführliche Biografien eher langweilig finde, und zu meiner Schande eingestehen muss, selbige nicht vollends gelesen zu haben) und eine Einführung in die Ideenwelt des Revoluzzers in die Hand gegeben.

Magón ist mitnichten, wie die Mehrheit seiner europäischen Zeitgenossen, ein reiner Theoretiker. Viele seiner Ideen zieht er nicht aus langen Überlegungen, sondern aus eigenen Erfahrungen, auch trägt er seine Erkenntnisse nicht in trockener Form vor, sondern in bildreicher Sprache, ausformulierten Beispielen und Gleichnissen. Diese Texte, welche hauptsächlich aus der von Magon gegründeten Zeitung „Regeneracion“ entnommen wurden, sind von der Herausgeberin bestimmt nicht zufällig ausgewählt worden. So halten sich politische und lyrische Texte die Waage, in denen Magón sowohl seine Ideologie argumentativ untermauert als auch propagiert.

Gleichzeitig verteilt er Handlungsanweisungen und Organisationsmöglichkeiten an Angehörige und Sympathisantinnen der „Liberalen Mexikanischen Partei“. Diese wurde von ihm mitgegründet, verfügte aber im Gegensatz zu anderen Parteien nicht über ein Oberhaupt, sondern über eine Organisationsjunta. Das heutige Verständnis von Parteien ist sicher irreführend, da diese nicht aus etwaigen Machtinteressen oder Ansprüchen heraus agierte, sondern als handlungsfähige Organisation. Was für viele heutige Anarchistinnen oder andere Sozialrevolutionäre wohl befremdlich klingen muss, ist, dass sich diese Partei ihre Ideologie nicht in Leuchtbuchstaben auf die Fahne schrieb, sondern Ideen und Handlungsgrundsätze hatte, bei denen es darauf ankam, selbige in der Praxis zu vertreten (dies war vielleicht sogar noch wichtiger, als sich im Diskurs darüber zu zergehen). So soll es sogar vorgekommen sein, dass die so genannten Magónistinnen mit den Zapatistas im Süden Mexikos sympathisierten, obwohl Letztgenannte gar keine „echten“ Anarchisten waren!

Magón, der sich selbst nur selten als Anarchist bezeichnete, ging es darum, mit dem und durch das mexikanische(n) Volk die Regierung sowie die besitzende Klasse zu stürzen. Er wollte weder eine neue Regierung einsetzen, denn: „Wann hat man schon mal gesehen, dass die Regierung den Hungrigen Brot und den Sklaven die Freiheit gegeben hat?“ (S. 150), noch war er gewillt, das enteignete Land neu zu verteilen, da für ihn das Recht auf Eigentum die eigentliche Wurzel allen Unheils und aller Ungerechtigkeit war. Also reicht es nicht, die Regierung zu ersetzen oder abzuschaffen, denn dies würde nicht genügen, um das Recht eines jeden Menschen, an den Vorzügen der modernen Gesellschaft teil zu haben (S. 102), zu gewährleisten.

Für ihn ist der Mensch erst frei, wenn er nicht mehr gezwungen ist, seine Arbeit zu vermieten oder sich alleine den Buckel krumm zu schuften, sondern wenn er sich mit anderen gemeinsam organisiert, dort arbeitet, wo seine Befähigungen liegen, und die so produzierten Güter nach den einzelnen Bedürfnissen aufgeteilt werden. Hieraus formuliert Magón den Aufruf „Tierra y Libertad“, den später auch Zapata aufgenommen hat.

Gilt dieses Grundrecht für alle? Auch für all die „Faulen“, die einfach nichts zum Wachstum des Bruttosozialproduktes beitragen wollen (ob es in einer solchen Gesellschaft wohl noch ein Bruttosozialprodukt geben wird?) wie jetzt bei uns z.B. die über 5 Millionen Arbeitslosen, die auch nach Hartz IV immer noch nicht arbeiten?

Magón hatte schon an Alte, Menschen mit Behinderungen und Kinder gedacht, die, auch wenn sie nicht arbeiten, das Recht auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse haben, allerdings hält er es da mit „arbeitsunwilligen“ Personen anders.

„Arbeitsunwillig“ sind nicht diejenigen, die ihren Buckel nicht für den Geldbeutel eines reichen Herren krumm machen wollen, „arbeitsunwillig“ gelten ihm die Mitglieder der „Dreieinigkeit“, wie Magón das Zusammenspiel von Staat, Kirche und Kapital bezeichnet. Denn: „Wenn der Arme lediglich für sich selbst und seine Familie arbeitete, was würde der Reiche dann essen? Woher würde der Reiche dann seinen Luxus beziehen, den er zur Schau stellt? Für das Wohlergehen der Reichen ist es unabdingbar, dass der Arme leidet.“ (S. 152) Damit baut er ein Feindbild auf, welches auch in seinen literarischen Texten durch eine Charakterisierung des guten Arbeiters und des bösen Kapitalisten verschärft wird. Diese gefärbte Darstellung ist bisweilen bedauerlich, da sie so wirkt, als ob Magón mit erhobenem Zeigefinger sein Volk im Umgang mit der Revolution unterrichte.

Gleichzeitig bietet er der Leserin interessante Denkanstöße, da er viele Themen, die immer noch von Relevanz sind, aus anderer Perspektive beleuchtet, als es in heutigen öffentlichen Diskussionen üblich ist. So heißt es über Krieg und Frieden in der bürgerlichen Gesellschaft: “ So lange es Arme und Reiche gibt, wird kein Frieden herrschen. Und dies ist auch nicht wünschenswert, weil dieser Frieden auf politische, wirtschaftliche und soziale Ungleichheit von Millionen Menschen gegründet sein würde.“ (S.110)

Die Lektüre von Magón regt an, wie auch die im Anhang befindlichen Interviews mit drei magónistischen Gruppen zeigen.

Ich finde die Konsequenz, mit der Magón seine Ideen in die Praxis umzusetzen versucht, beeindruckend. Von der Art, wie er mit anderen Zeitgenossen zusammenarbeitet, die abweichende Vorstellungen haben, könnten wir, die wir uns hauptsächlich über unterschiedliche Ideologien mit unterschiedlichen Tendenzen zerstreiten, eine Scheibe abschneiden. Am wichtigsten ist seine Kernaussage, dass keine Regierung das Elend abschaffen kann, denn das muss mensch selber erledigen, und dafür muss mensch das Eigentum abschaffen!

Gruppe B.A.S.T.A. (Hg.): Ricardo Flores Magón: Tierra y Libertad. Unrast Verlag, Münster 2005, Klassiker der Sozialrevolte 11, 180 Seiten, 13 Euro, ISBN 3-89881-908-8