Bloße Detailkritik an Einzelmaßnahmen des aktuellen Sozialraubes läuft schnell Gefahr, in reformistische Flickschusterei abzugleiten, und verliert den Blick auf die inneren Zusammenhänge und ursächlichen Antriebskräfte dieser Entwicklungen. Wer hingegen nur in der Lage ist, Missstände anzuprangern, und außer der Abschaffung des kapitalistischen Systems als Zielvorstellung nicht viel anbieten kann, wird zu Recht von den meisten Menschen links liegen gelassen.
Jede/r merkt, die inhaltliche Lücke ist zu groß.
Die alte trotzkistische Spezialität, den Sozialismus über ein mechanistisches Stufenmodell von Übergangsforderungen häppchenweise den Massen nahe zu bringen, erfreut zwar einige linke Ökonomen, ist aber von der Alltagsrealität der Bevölkerungsmehrheit meilenweit entfernt.
Die AutorInnen die Buches „Es geht anders! Alternativen zur Sozialdemontage“ suchen einen anderen Weg. Sie benennen im Hauptteil die Interessen und Akteure hinter der Sozialdemontage und gehen ausführlich auf die verschiedenen „Baustellen“ ein. Die komplexe Materie im Bereich der Sozialversicherungen, der Tarif- und Steuerpolitik wird auch für den Laien anschaulich und inhaltlich nachvollziehbar dargestellt. Wer sich bisher in sozialpolitischen Diskussionen nicht allzu fit gefühlt hat, erhält hier eine gut strukturierte, griffige Einführung und Argumentationshilfe. Forderungen, für die heute gekämpft werden sollte, werden organisch aus dem jeweiligen Sachverhalt heraus entwickelt.
Darüber hinaus ist der Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des Sozialstaates lehrreich. Arno Klönne zeigt, dass die politischen Eliten in den vergangenen zwei Jahrhunderten schon immer auf das Mittel „Zuckerbrot und Peitsche“ gesetzt haben, um oppositionellen Strömungen das Wasser abzugraben. Und wie sich in Sozialdemokratie und Gewerkschaften Staatsgläubigkeit und Sympathien für einen nationalkapitalistischen Sozialstaat herausbildeten.
Dennoch werden von den AutorInnen die Sozialversicherungen als „zivilisatorischer Fortschritt“ angesehen. Allerdings – und das ist eine der Stärken des Buches – wird immer wieder deutlich gemacht, dass diese Errungenschaften schon immer Zugeständnisse „auf Abruf“ waren. Aufgezeigt wird, dass in der langen Geschichte sozialer Kämpfe substanzielle Fortschritte nur dann erreicht worden sind, wenn die kapitalistische Ordnung energisch und grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Auch nach dem 2. Weltkrieg sind die „sozialen Wohltaten“ den Menschen nicht nur durch ein „Wirtschaftswunder“ in den Schoß gefallen, sondern mussten teilweise in heftigen Auseinandersetzungen erkämpft werden.
Bei den aktuellen Anti-Hartz-Mobilisierungen konnten wir ansatzweise beobachten, welche Kraft und Wirkung eine soziale Bewegung entwickelt. „Was können wir tun, damit es anders geht?“, fragt der gerade erst im letzten Jahr aus der SPD ausgetretene Arno Klönne. In dem furios geschriebenen Schlusskapitel des Buches greift er frontal die eingefahrenen Politikvorstellungen der traditionellen Linken an: „Eine starke soziale Bewegung wird nicht als wundersame Wiedererweckung und Erweiterung der alten politischen Linken entstehen. Sie wird ihre Kraft aus der Fähigkeit schöpfen, Menschen auch quer zu traditionellen Lagern, Kulturen und Traditionen zu gemeinsamer Einmischung über den Tag hinaus zusammen zu bringen.“
Die Ausrufung einer neuen Linkspartei löst seiner Meinung nach die Probleme nicht, sondern birgt die Gefahr in sich, dass Partei- und BewegungsaktivistInnen in Konkurrenz zueinander sich gegenseitig behindern und Wahlkämpfe in Bewegungsstrukturen hineingetragen werden. Neue Bewegungen benötigen seiner Meinung nach „ein hohes Maß an gesellschaftlicher Verankerung, zielklarer Entschlossenheit, Durchhaltevermögen und auch organisatorischer Beständigkeit“, um der neoliberalen Offensive etwas entgegenzusetzen. Der Ausblick der AutorInnen ist trotz dieser hohen Anforderungen durchaus optimistisch, wie der Vergleich von sozialer Bewegung mit einer Lawine zeigt: „Im Frost hängen die Schneemassen über Jahre reglos gefroren am Hang.
Doch schon eine geringfügige Änderung des Klimas kann dazu führen, dass eine kleine Bewegung im Schnee gewaltige Folgen zeitigt.“
Arno Klönne, Daniel Kreutz, Otto Meyer: Es geht anders! Alternativen zur Sozialdemontage. PapyRossa Verlag, 2005, 172 Seiten, 13,50 Euro