gewaltfreiheit / nachruf

Erinnerung an Rosa Parks

4.2.1913 - 24.10.2005

| Clayborne Carson

Beitragparks

Mit Rosa Parks ist eine prägende Figur der gewaltfreien Bürgerrechtsbewegung in den USA der fünfziger und sechziger Jahre gestorben. Clayborne Carson, Herausgeber der Schriften von Martin Luther King, Jr., erinnert sich an sie und beschreibt ihren politischen Hintergrund. (Red.)

Als ich Rosa Parks zum ersten Mal begegnet bin – das war vor fast zwei Jahrzehnten bei einem Abendessen der NAACP (National Association for the Advancement of Colored People; Nationale Vereinigung für den Fortschritt farbiger Menschen) -, machte sie den Eindruck einer zerbrechlichen Frau in ihren Siebzigern. Ihre Rede an diesem Abend sprach sie mit so sanfter Stimme, dass ich ihre Worte manchmal kaum entschlüsseln konnte. Aber die ZuhörerInnen kannten ihre Geschichte bereits, und viele kamen eher, um sie zu sehen (und später erzählen zu können, dass sie sie gesehen hätten), als ihre Rede zu hören.

In den achtziger Jahren war die öffentliche Bekanntheit von Rosa Parks bereits durch jenen Augenblick im Dezember 1955 bestimmt, als sie sich weigerte, den Sitzplatz in einem Bus für einen weißen Mann zu räumen. Als ich sie kennen lernte, verdiente sie sich mit rituellen öffentlichen Auftritten, bei denen sie ihren Widerstandsakt erzählte, ihren Lebensunterhalt.

Meine Freude darüber, ihr persönlich vorgestellt zu werden, wurde etwas durch meine Traurigkeit darüber getrübt, dass ihre Größe bedingt durch die Zwänge des Alters nicht mehr richtig zum Ausdruck kam. Sie war berühmt geworden als diejenige Frau, deren Verhaftung den Busboykott von Montgomery ins Rollen brachte, aber ich wusste, dass über sie so viel mehr zu erzählen war. Ich war weniger an dem Heldentum interessiert, das sie spontan in diesem Bus unter Beweis stellte, als an der mutigen Einstellung, die sie ihr gesamtes Leben hindurch zeigte.

Von Scottsboro nach Montgomery

Am meisten bewunderte ich sie für ihre Ausdauer beim Kampf um die Freiheit der African Americans (1). Die Gebrechlichkeit der Rosa Parks, die ich kennen lernte, verdeckte ihre essentielle Vitalität – und die lag in ihrem langjährigen Kampf gegen Rassismus.

Schon in den dreißiger Jahren liefen sie und ihr Ehemann Raymond Gefahr, zum Opfer gewaltsamer Rachekampagnen weißer Rassisten zu werden, als sie die umstrittene Kampagne zur Verteidigung der Angeklagten von Scottsboro unterstützten.

Neun schwarze Teenager wurden durch diese Kampagne vor dem Todesurteil gerettet, das ihnen aufgrund gefälschter Anklagen wegen Vergewaltigung fast sicher war.

Nach wiederholten Drohungen und Beschuldigungen, Verbindungen zu KommunistInnen zu unterhalten, gab Raymond Parks seinen politischen Aktivismus auf, doch Rosa Parks blieb weiter eine feste politische Größe bei der NAACP-Ortsgruppe in Montgomery.

Während des Zweiten Weltkriegs unterstützte Rosa Parks engagiert die „Double-V-campaign“ (Doppeltes Victory-Zeichen), mit der African Americans sowohl den Rassismus zuhause als auch den Faschismus in Übersee besiegen wollten. Als ihr jüngerer Bruder aufgefordert wurde, seinen Militärdienst zu leisten, obwohl er noch nicht einmal das Wahlrecht ausüben durfte, entschied sich Rosa Parks dafür, der Montgomery Voter’s League (Wahlrechtsliga von Montgomery) beizutreten. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, sich selbst in die Wahllisten der USA einzutragen, wurde sie endlich registriert und machte 1946 erstmals von ihrem Wahlrecht Gebrauch.

Sie begann nun, eng mit E.D. Nixon zusammen zu arbeiten, der sowohl Aktivist in der NAACP war als auch organisierender Gewerkschafter und Mitglied der Brotherhood of Sleeping Car Porters (Bruderschaft der Schlafwagenbediensteten), die von A. Philipp Randolph geführt wurde. Nixon sprach zwar seinerseits von Parks oft als von „meiner Sekretärin“, aber ihre führende Funktion bei der NAACP-Ortsgruppe, für die sie gewählt worden war, trug entscheidend zur bedeutsamen Rolle dieser Ortsgruppe bei den Auseinandersetzungen um Rassismus im Montgomery der fünfziger Jahre bei.

Rosa Parks sprach nur selten auf Kundgebungen, aber unter den BürgerrechtsaktivistInnen in Montgomery, die den Boykott vorbereiteten, war sie bekannt. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichts der USA in Sachen Brown v. Board of Education (2) im Jahre 1954 begann sie damit, die Jugendgruppe der NAACP-Ortsgruppe zu betreuen.

Als eine dieser jugendlichen AktivistInnen, die fünfzehnjährige Claudette Colvin, im März 1955 verhaftet wurde, weil sie sich weigerte, einem weißen Mann ihren Sitzplatz im Bus zu überlassen, kontaktierte Rosa Parks den schwarzen Anwalt Fred Gray, um mit ihm zusammen die Verteidigung vor Gericht für Colvin zu organisieren.

Weder der Fall Colvin noch eine weitere Verhaftung der achtzehnjährigen Mary Louise Smith löste einen Massenprotest unter den schwarzen BewohnerInnen von Montgomery aus.

Doch die Enttäuschung, die Rosa Parks darüber empfand, dass diese Fälle so wenig Aufmerksamkeit erhielten, stärkte ihre Entschlossenheit, sich als beispielhaften Fall von Ungerechtigkeit darzustellen, als sie später selbst festgenommen wurde. Im Gegensatz zu den Teenagern war Parks bereits in mittlerem Lebensalter, sogar Kirchgängerin und eine in der schwarzen Gemeinde aufgrund ihres Eintretens für Bürgerrechte weithin respektierte Person. Ihre Verhaftung am 1. Dezember 1955 entflammte eine lang andauernde Massenbewegung.

Bekanntschaft mit Martin Luther King, Jr., und Septima Clark

Ihr politisches Engagement brachte Rosa Parks in Kontakt mit Martin Luther King, Jr., dem jugendlich wirkenden Pastor der Baptistenkirche in der Dexter Avenue von Montgomery. Gleich nach dem Eintreffen von King in Montgomery, im Laufe des Jahres 1954, überredeten Rosa Parks und Ralph Abernathy – ein Pastor aus der Ersten Baptistenkirche in der Stadt – den Neuling dazu, sich an den politischen Aktivitäten der NAACP zu beteiligen.

Als King im Januar 1955 anlässlich der Einstellung von ersten Hauptamtlichen bei der NAACP-Ortsgruppe eine Rede hielt, machte Parks handschriftliche Notizen und hielt damit als einzige die erste Bürgerrechts-Rede von King in Montgomery für die Nachwelt fest. Nach ihren Notizen begrüßte King zunächst die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in Sachen Brown als einen wichtigen Schritt vorwärts, warnte aber zugleich: „Wir haben einen langen Weg zurückgelegt, haben aber auch noch einen langen Weg vor uns.“

Kurz darauf schrieb Rosa Parks an King einen Brief, in welchem sie ihn dazu einlud, im Exekutivkomitee der Ortsgruppe mitzuarbeiten, denn Kings „außergewöhnlicher Redebeitrag“ für die NAACP müsse mit einer solchen Aufforderung belohnt werden.

Aufgrund ihrer freundschaftlichen Verbindungen mit bedeutenden weißen Liberalen (3) – wie etwa Virginia und Clifford Durr – konnte Rosa Parks im Sommer 1955 einen Ausbildungskurs an der Highlander Folk School besuchen. Diese Schule war zu der Zeit ein Ausbildungszentrum für GewerkschafterInnen und sollte fortan zu einem Trainingszentrum für viele BürgerrechtsaktivistInnen der fünfziger und sechziger Jahre werden. Während dieses Kurses nahm Parks an einem Workshop unter dem Titel Antirassistische Desegretation: Wie die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs umgesetzt werden kann teil.

Sie traf dort auf Septima Clark, eine frühere Lehrerin aus dem Bundesstaat South Carolina, die ihre Arbeit aufgrund ihrer Aktivität für die NAACP verloren hatte und später Leiterin des neuartigen pädagogischen Programmes an der Highlander Folk School geworden war. Rosa Parks erinnerte sich, wie sie von Clarks Glauben an das ganz normalen Menschen innewohnende kreative Potential inspiriert wurde. „Wenn ich nur etwas von ihrer Begeisterung mit mir nehmen könnte“, sinnierte Parks später über die Begegnung mit Clark nach.

Rosa Parks kam nach Montgomery zurück mit einem Geist des Widerstands, der sowohl über die Jahre hinweg durch ihre ruhig und still erscheinende, aber dauerhaft praktizierte politische Aktivität wie nun auch durch ihre neue Erfahrung an der Highlander School gestärkt worden war. Nachdem sie für ihren Widerstandsakt im Bus von Montgomery verhaftet und zu einigen Monaten Gefängnis verurteilt worden war, inspirierte ihr Beispiel den 381 Tage andauernden Busboykott, der Unterstützung von schwarzen BewohnerInnen aus allen Altersstufen und Bildungsschichten erhielt – sowohl von Frauen wie von Männern, von Menschen aus der Arbeiterklasse wie auch von Intellektuellen.

Rosa Parks und ihr Ehemann erhielten Drohungen und waren Repressalien ausgesetzt, nachdem der Boykott begonnen hatte. Im Gegensatz zu King hatten sie keinen Job, der sie vor rassistischer Vergeltung schützte. Zunächst brachte die Bekanntheit Rosa Parks also fortwährende Belästigung und die Entlassung von ihrem Arbeitsplatz anstatt finanziellem Einkommen. Sie und ihr Ehemann waren schließlich gezwungen, Montgomery zu verlassen und nach Detroit umzuziehen. Die beträchtlichen Honorare für ihre Redeauftritte, die sie in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens erhielt, waren keineswegs eine direkte Belohnung für ihren mutigen Widerstandsakt im Jahre 1955, sondern ein spätes Ergebnis der Bürgerrechts-Revolution, die ihr Akt in Bewegung gesetzt hatte.

Bis zu ihrem Eintritt ins Rentenalter arbeitete Rosa Parks als Angestellte des Kongressabgeordneten John Conyers aus dem Bundesstaat Michigan. Erst danach wurde sie zu jener zerbrechlich wirkenden Bekanntheit, die ich während der achtziger Jahre kennen lernte. Im Jahre 1987 gründete sie das Rosa and Raymond Parks Institute for Self-Development (Rosa und Raymond Parks-Institut für Selbst-Entwicklung). In ihren letzten Lebensjahren erhielt sie zahllose offizielle Auszeichnungen.

Rosa Parks erhielt eine verspätete Anerkennung, die sie längst schon verdient hatte. Wenn wir uns an ihr Leben zurück erinnern, könnten wir vielleicht gleichzeitig versuchen, uns anderer dieser Ausdauernden zu erinnern, die auf stille Weise ihr Leben dafür einsetzten, die Welt zu verbessern.

 

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(1) Selbstbezeichnung, die sich heute in den USA durchgesetzt hat. Ob dies das letzte Wort bleibt, muss angesichts der Geschichte der Selbstbezeichnungen bezweifelt werden (bisher seit den sechziger Jahren: Negroes, Blacks, Afro-Americans, African Americans). Und ob heute eine Übersetzung als "Afrikanische AmerikanerInnen" richtiger ist als "Afro-AmerikanerInnen", darüber bin ich mir auch unsicher. Im Deutschen hat die Bezeichnung Afrikanische AmerikanerInnen eine starke Tendenz, unmittelbar heute eingewanderte AfrikanerInnen zu meinen, während es in Wirklichkeit ja um Menschen geht, die seit vier oder mehr Generationen in den USA leben und deren Vorfahren ursprünglich aus Afrika kommen. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, den englischen Begriff im Text zu belassen; d.Ü.

(2) Durch diese Gerichtsentscheidung wurde erstmals die Integration schwarzer Kinder in Schulen der Weißen für rechtmäßig erklärt; d.Ü.

(3) Als "Liberale" werden im politischen Jargon der USA meist nicht-kommunistische, oft aber durchaus sozialistische Linksintellektuelle bezeichnet; der Begriff ist also nicht mit Wirtschaftsliberalen zu verwechseln; d.Ü.

Anmerkungen

Der Autor ist Leiter des Martin Luther King, Jr., Papers Projects (Herausgabe aller Schriften, Reden, Briefe und Interviews in 15 Bänden), Stanford/San Francisco und Autor des im Verlag Graswurzelrevolution in Übersetzung erschienenen Buches:Zeiten des Kampfes. Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) und das Erwachen des afro-amerikanischen Widerstands in den sechziger Jahren, Nettersheim 2004.

Übersetzung dieses Artikels: Lou Marin

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.