anti-atom

Castor in Zeiten der Revolte

| Wolfgang Hauptfleisch, 26.11.2005

November 2005: Während in Frankreich in den Vorstädten MigrantInnen ihrer Wut über Ausgrenzung und Rassismus Luft machen und selbst der postmoderne bürgerliche Alltag so etwas wie Ausnahmezustand kennt, fährt wieder ein Castor nach Gorleben. Bei beidem ist viel von Widerstand und Kämpfen die Rede, und doch sind unterschiedlichere Umgebungen für Widerstand kaum denkbar als die Banlieues von Paris oder Toulouse und die Dörfer und Kleinstädte im Wendland?

Es ist mal wieder November und wie jedes Jahr macht das Schlagwort „Gorleben Castor“ die Runde. Mehr braucht man nicht zu sagen und alle wissen worum es geht. Jedenfalls alle mit denen man überhaupt über politisches reden würde.

Im Wendland wird über Treckerdemos berichtet und der alljährliche Streit unter denen, die sich politisch mit dem „Gorleben Castor“ beschäftigen, darüber, ob der Protest „politisch genug“, „thematisch zu eng“ oder was auch immer ist, ist wie immer mindestens seit September auf der Tagesordnung.

Dieses Jahr ist das wenig anders, anders ist dass es diesmal zwei große Demonstrationen im Vorfeld geben soll, wenn auch ein bisschen zufällig; neu ist auch, dass es diesmal eine Kampagne unter dem Titel „ausgestrahlt“ (siehe Beilage in GWR 301) gibt und seit dem Sommer von einem „Comeback der Anti-Atom-Bewegung“ die Rede ist (vgl. GWR 301). „Die Rede ist“ bedeutet dabei nicht Anzeichen für eine Stärkung einer sozialen Bewegung zu entdecken oder zu erkennen, dass diese Bewegung gesellschaftlich eine größere Rolle spielt. Es bedeutet vor allem, dass auf Teufel komm raus der Erfolg einer Bewegung herbei soll, „tausende werden kommen“, „werden sich querstellen“. Nichts davon ist passiert als eine Demo, deren Aufruf das schwächste war was die Anti-Atom Bewegung in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Wirft man einen Blick auf die von den zahnweiß-strahlenden Bewegungs-Yuppies von „campact“ mitdesignte Kampagne, deren „mach mit!“ Symbolik leider denselben oberflächlichen Eindruck hinterlässt wie eine im Moment kaum umgehbare „du bist sonstwas“-Werbung, verwundert das kaum.

Zum Glück ist das nicht die soziale Bewegung, denn die lässt sich nicht erzwingen durch lautes Pfeifen im Wald oder Kampagnen, für die „Fehler“ nicht existieren. Im Vorfeld zeigte sich, dass manche ihrer Wut anders Luft machen als durch das Bewerben von blühenden Monokultur-Raps-Landschaften.

Das Abbrennen der Wohncontainer der Polizei, bei denen niemand zu Schaden kam und über die in der Region Gorleben mehr als stille Genugtuung zu bemerken ist. So etwas gibt es vielleicht tatsächlich nur im Wendland.

Es war schon ein bisschen lächerlich, aber vielen Menschen war wichtig, die in den letzten Jahren eingefahrenen Rituale des Protests etwas aufzubrechen. Der Versuch in Lüneburg eine lasche Demo zu politisieren, indem man die Veranstalter mit einem plakativen „sofort Stilllegen“ Transparent überrascht, war sicher nur ein kleiner Schritt: Dieser Versuch war ein bisschen machohaft, obwohl im Ergebnis die Demo für mich schon eher dem entsprach, was man von einer guten Auftaktdemo erwartet: gute Laune, teilweise Aggressivität und Motivation vieler DemoteilnehmerInnen passten – zum Glück – nicht recht zum sterilen „wir sind jung und engagiert“-Image der Demo und übertrugen sich sicherlich auf die Mobilisierung für die „heiße Phase“.

Während ich mir solche Gedanken mache, wandere ich durch den Wald bei Leitstade in der Göhrde und treffe auf Herrn Köppke aus Bonn. Herr Köppke ist sehr freundlich, stellt sich gleich mit Namen vor und will in meinen Rucksack schauen. Ich erlaube ihm das, denn erstens trägt Herr Köppke eine grüne Uniform und zweitens sitzen in seinem Sixpack noch einige KollegInnen in Kampfmontur, was mir Sorgen macht. Mein Rucksack ist aber fast leer und das freut Herrn Köppke und KollegInnen offensichtlich wirklich und alle wünschen mir gut gelaunt „einen schönen Tag noch“, wollen auch gar nicht meinen Ausweis sehen oder wissen was ich eigentlich hier 20 Meter vom Castor-Gleis mache, und fahren weiter. Mir schießt durch den Kopf, dass ich mich schon sehr freundlich behandelt vorkomme, jedenfalls für jemanden der die Stilllegung der herrschenden Klasse fordert.

Tatsächlich scheint die Polizei zwar den Castor als immenses logistisches Problem zu sehen, als gesellschaftliche Frage wohl eher nicht. Und doch: Hätte Herr Köppke aus Bonn einen Tag in die Zukunft schauen können, vielleicht wäre er weniger freundlich gewesen.

Der Castor kam also, und vieles war wirklich wie immer. Schon im letzten Jahr machte sich eine merkliche Stimmungsbesserung bemerkbar, die ich darauf zurückführe, dass der Erfolgszwang in den Hintergrund und das „Wie“ und das Erlebnis des gemeinsamen Widerstands in den Vordergrund rückt. Und das Gefühl den Widerstand in langsamen Schritten vorwärts zu bringen. Dass dies nicht unbedingt eine Frage von Effektivität ist, zeigt der Montagmorgen, als der Castor in Rekordgeschwindigkeit die Strecke zwischen Lüneburg und Dannenberg passiert. Montagmittag, zwar einige enttäuschte, müde Gesichter, denn innerhalb weniger Stunden scheint alles vorbei zu sein, Castor durch und aus und nur wenige scheinen überhaupt einen Plan zu haben, was zu tun ist. Trotzdem bemerke ich überall eine gewisse, vom Erfolgsdruck befreite Lockerheit und Kampfeslust.

In Gesprächen der letzten Tage habe ich gemerkt, dass sich bei mir wie bei anderen dieselben Bilder von diesem Transport festgesetzt haben: Zum einen die brennenden Barrikaden von Metzingen, Gusborn oder Laase, daneben die fast schon zum absurden Theater ausgeweiteten Ankettaktionen entlang der Straße. Absurd im positiven Sinn, weil ihr massenhaftes Auftreten und bizarre Settings (Betonblöcke in Leichenwagen) dem Widerstand die technische Kühle nimmt, die „Ankettaktionen“ in den letzten Jahren hatten. Die brennenden Barrikaden und Straßenfeuer aber, neben einem heimlich verstohlenen Hinweis auf die Revolte in Frankreich, drücken eine Unversöhnlichkeit aus, die für die Zukunft hoffen lässt, dass der Widerstand in der Region nicht zu befrieden sein wird. Und das macht mich optimistischer als ein herbeigewünschtes „Comeback“ oder „wieder so wie früher“.

Das Wichtige ist, dass der Widerstand weiterhin regional fest verankert ist und der Grad der Organisierung jenseits des klassischen Vereins/Bürgerinitiativen überall zunimmt. Das ist kein Comeback, sondern eher was neues: Was in Metzingen in den letzten drei Jahren gelungen ist, den regionalen Widerstand und das Engagement der Menschen „aus den Städten“ zu verknüpfen und einer neuen Generation die Möglichkeit zu geben, langsam, auch fragend, weiterzugehen und sich zu radikalisieren. Und das in einer Region des Wendlands, die bis Ende der neunziger Jahre auch aus der Bewegung kaum jemand kannte. Revolutionsromantisches Erlebnis und ernüchternd gleichzeitig, denn viele der LandwirtInnen, die an den Protesten teilnehmen, passen nicht zu der sozialen Wendland-Idylle von widerständigen BäuerInnen, die tagsüber die Schweine versorgen und abends zur Demo gehen. Einer Idylle, die schon lange nicht recht zur Wirklichkeit der Agrarindustrie passen will. Wer im Wendland einmal Gurkenflieger mit NiedriglohnarbeiterInnen und die Rübenernte, bei der der/die LandwirtIn höchstens AuftraggeberIn für Subunternehmen ist, gesehen, oder die NebenerwerbsbäuerInnen mit Hartz IV-Bezug kennen gelernt hat, wird daran nicht mehr glauben. Viele derjenigen, die am Sonntagabend ihre Trecker zu einer Blockade zusammenstellen, sind „Überflüssige“ in der Industriegesellschaft. Vielen geht es längst nicht mehr nur um Castor oder Endlager, sondern – mal mehr offen, mal mehr im Stillen – haben sie schon abgeschlossen mit einem Gesellschaftssystem, in dem sie nur noch als Verwaltete und nicht als Agierende gewünscht sind. Dass die „Castor-Tage“ wieder viel zu kurz waren, um mehr soziale Kontakte aufzubauen und sich Zeit zu nehmen zum diskutieren, vielleicht lässt sich das beim nächsten Mal ändern.

Dass die SchülerInnen aus dem Landkreis seit zwei Jahren kraftvolle Demonstrationen organisieren – auch wenn man über ihren „Jugend“ – Bonus bei der Polizei lächeln mag. Gleichzeitig fangen sie an, sich selbst zu organisieren und sich bewusst zu werden, wie der Arbeitsalltag nach der Schulzeit einem das Leben wegnehmen kann und man aktiv dagegen arbeiten muss. Ich kann mich nicht erinnern in meiner Jugend Strukturen begegnet zu sein, die dies reflektiert und dagegen mobilisiert haben.

Was hat das alles mit den brennenden Autos in Frankreich zu tun? Brennende Autos in Hitzacker wären eine seltsame Theatervorstellung, Widerständigkeit zeigt sich hier anders und Breese ist auf jeden Fall kein Banlieue von Dannenberg. Dann schon eher die brennenden Barrikaden und unversöhnlichen Blockaden. Hat es was mit Frankreich zu tun?

Vielleicht kann ich die Frage nicht beantworten, muss ich auch nicht, sondern akzeptieren, dass Widerstand sich überall seine passenden Formen sucht, die erst mal richtig erscheinen, wenn sie als Zeichen des „so nicht weiter“ verstanden werden.