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Ein Jahr Hartz IV

Ist noch etwas Neues zu Hartz IV zu sagen? Über die alltäglichen Schikanen und Erschwernisse, denen die Arbeitslosen ausgesetzt sind? Oder über ihren Kleinkrieg mit der Jobcenter-Bürokratie?

| Horst Blume

Die „Zuschläge“ von bis zu 160 bzw. 80 Euro, die Einigen in dem ersten oder zweiten Jahr noch gewährt wurden, fallen jetzt Stück für Stück weg. Die Höchstgrenzen für die zu erstattenden Mietobergrenzen werden von den zuständigen Kommunen auf unterschiedlich tiefes Niveau abgesenkt. Das bedeutet: entweder Umzug in sehr billige Wohnungen, oder der nicht erstattete Betrag muss von den kümmerlichen 345 bzw. 331 Euro bezahlt werden.

Die kommunalen Beiräte für Arbeitsmarktpolitik, in denen neben den Ratsparteien auch VertreterInnen der Wohlfahrtsverbände sitzen, bestimmen die Höhe der „angemessenen“ Unterkunftskosten. Sie tagen nicht öffentlich und geben nur einmal gegen Ende des Jahres einen Bericht an den Stadtrat. Der Großteil der Arbeitslosen ist inzwischen so zermürbt und mit sich selbst beschäftigt, dass sie solche Spitzfindigkeiten und politischen Hintergründe nicht wahrnehmen.

Getrieben von chronischer Geldnot, nehmen viele Arbeitslose 1-Euro-Jobs gerne an. Auch hier funktioniert die Kumpanei zwischen den Trägern der „Wohlfahrtspflege“ mit dem Jobcenter vortrefflich, um Arbeitslose für ein Taschengeld auszubeuten und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze durch Billigjobs zu ersetzen.

Der erste Aufschrei und die ersten Montagsdemonstrationen haben nicht zu einem breiten und dauerhaft aktiven Netzwerk von offensiv agierenden Widerstandsgruppen der Betroffenen geführt. Dort, wo die Arbeitslosengruppen die ersten Monate überlebt haben, sind aus ihnen eher Selbsthilfegruppen geworden. Die eigene persönliche Situation muss bewältigt werden.

Abgesehen von einigen agilen Aktionsgruppen in bestimmten Großstädten herrscht Hilflosigkeit vor, wie Widerstand gegen den Sozialkahlschlag aussehen könnte. Inhaltlich wie organisatorisch laufen viele Aktivitäten auf niedrigem Niveau ab. Ich hatte beispielsweise einmal einen kleinen „Disput“ mit einem älteren Arbeitslosen, der sich einige Monate lang an unseren kleineren Aktivitäten beteiligt hatte, ohne von diesen recht überzeugt zu sein. Denn er war felsenfest der Meinung, wir müssten die „Bild“-Zeitung und RTL dazu bringen, sich auf unsere Seite zu schlagen – erst dann würden wir etwas erreichen können!

Es ist mir ebenfalls aufgefallen, dass sich viele Arbeitslose hoffnungslos auf aussichtslosen „Nebenkriegsschauplätzen“ im Kampf mit BürokratInnen verzetteln. Es sind immer die gleichen hilflosen Wutausbrüche und immer die gleichen Betonwände, gegen die sie anrennen. Aus dieser Situation heraus entsteht nur schwer ein phantasievoller Widerstand. Das ist auch kein Wunder. Viele der über 40-Jährigen lebten bisher als ArbeitsplatzbesitzerInnen in einer relativ heilen Konsumwelt. Umweltschutzprobleme interessierten sie beispielsweise kaum. Und diese jetzt arbeitslosen Leute schauen mich nun mit entsetzten Augen an, weil sie sich den ganzen vorweihnachtlichen (teilweise überflüssigen) Konsumplunder nicht mehr leisten können, und sind verbittert. Das ist die Ausgangslage.

Oft werden Arbeitslosengruppen von einigen wenigen Alt-Linken zusammengehalten, die als jugendliche AktivistInnen mit 17 oder spätestens mit 22 Jahren ihre ersten politischen Erfahrungen gemacht haben. Für die „neuen“ Arbeitslosen sind das Schreiben von Flugblättern und Presseerklärungen, die Öffentlichkeitsarbeit, die Anmeldungen von Kundgebungen und die Organisation von Veranstaltungen meist neue Erfahrungen und Lernprozesse. Es kommt also darauf an, dass sich in den nächsten Jahren möglichst viele Arbeitslose die Fähigkeit aneignen, sich in ihren Gruppen selbst zu organisieren.

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass wir mit unseren bescheidenen Aktivitäten gegen den Sozialraub der Entwicklung hinterherlaufen werden. Als Resultat der ersten Welle der Montagsdemonstrationen haben wir jetzt zwar eine Linkspartei im Parlament, aber noch lange keine starke außerparlamentarische Bewegung.

Die geplante Großdemonstration im Frühjahr 2006 ist eine Möglichkeit, kurzfristig Aufmerksamkeit zu erregen und vielen Verzagten wieder mehr Mut zu machen. Die Probleme der Arbeitslosengruppen werden dadurch allerdings nicht gelöst.