Marc Amann (Hg.): go.stop.act! Die Kunst des kreativen Straßenprotests. Geschichten, Aktionen, Ideen. Trotzdem Verlag, Grafenau, Frankfurt/M. 2005, 229 S., ISBN 3-931786-38-2, 18 Euro
In den letzten Jahren sind hierzulande Bewegungsbücher erschienen, die in Sachen Layout neue Maßstäbe gesetzt haben, zum Beispiel „hoch die kampf dem“ und „vorwärts bis zum nieder mit. 30 Jahre Plakate autonomer Bewegungen“ (Assoziation A, Berlin/Hamburg 2001). Nun gibt es ein weiteres Werk, das in diesem Sinne positiv auffällt: „go.stop.act! Die Kunst des kreativen Straßenprotests“.
Ein erstes Durchblättern des reich bebilderten Bandes macht neugierig, die Gestaltung ist herausragend und stark.
Sein Inhalt macht Lust auf kreativen Straßenprotest, gibt viele Anregungen und Ideen zur Verlachung der Herrschenden. Ein Praxisbuch, das vielfältige, oft witzige Protestgeschichten erzählt und (leider nur an wenigen Stellen) auch historische Kontinuitäten aufzeigt, etwa wenn daran erinnert wird, dass spaßig-karnevalartige Umzüge mit Musik, Verkleidungen, Klamauk, Verfremdung und Spott schon vor 500 Jahren für muntere Beteiligung bei den Revolten des „Gesindels“ gegen die Herrschaften sorgten.
Schön sind auch die Puppistas, die nicht nur 1999 beim erfolgreichen Widerstand gegen die Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle für Aufsehen sorgten. Überhaupt: Pink & Silver, Reclaim The Streets, Radioballett und Radiodemo, Figurentheater, politische Straßenmusik und -theater, … viele bunte und subversive Aktionsformen werden ausgiebig dargestellt und machen dieses Buch zu einem Leckerbissen für alle linken AktivistInnen.
Aus den 17 unterschiedlichen Kapiteln ragt der Beitrag der autonomen a.f.r.i.k.a.-gruppe zu „Politischer Aktivismus. Stolpersteine auf der Datenautobahn?“ heraus. „Wo Macht ist, ist auch Widerstand: Macht-Räume sind stets auch Interventions- und Aktionsräume“ (S. 199), so die HerausgeberInnen des legendären „Handbuchs der Kommunikationsguerilla“ (VLA, Schwarze Risse, Rote Straße, Hamburg 1997) in „go.stop.act!“.
„Mitte und Ende der 90er Jahre gab es verschiedene Vorschläge, Formen der direkten gewaltfreien Aktion von der Straße ins Internet zu übertragen. Solche Vorschläge einer Virtual Civil Disobedience stellten den Versuch dar, das Netz als politischen Protestraum zu konstituieren, als Ort des politischen Widerstands und der politischen Intervention. In gewissem Sinne spiegeln sie als Antithese den Netz-Hype der Dotcom-Ökonomie wider, der das Netz vor allem als Einkaufsstraße und Konsumparadies zu inszenieren suchte. Als Aktionsformen propagieren die Vertreter des ‚virtuellen zivilen Ungehorsams‘ Formen wie Netz-SitIns und Blockaden.“ (S. 201)
Andere Beiträge des Sammelbandes wirken dagegen manchmal oberflächlich und kauen nicht selten Altbekanntes wieder. Für Unbehagen sorgt, dass flache und explizit „unpolitische“ Aktionen als positiv dargestellt werden. Ein Beispiel für eine allzu unbedarfte Sicht der Welt ist folgende als „street art“ dargestellte „Aktion“:
„Die ersten Plakate von Lindas Ex lösten eine wahre Flut an Reaktionen im Berliner Bezirk Friedrichshain aus. Der Street Artist pflastert den Stadtteil voll mit Botschaften an und über seine fiktive oder reale Ex-Freundin Linda, die ihn verlassen hatte: ‚Linda, warum hast Du mir das angetan?‘, (…) ,Linda, ich fühle mich zerrissen‘. Er inszeniert sich selbst als verlassener Freund, stülpt seine Intimwelt nach Außen und betreibt somit eine Art Seelenstriptease an einem Ort, der dafür nicht gedacht ist. Und die Menschen reagieren auf seine Werke.“ (S. 149)
In Dortmund gab es Anfang der 90er Jahre einen ähnlichen Fall von „Seelenstriptease“. Ein „Streetartist“ hatte die ganze Stadt mit Sprüchen wie „Claudia, ich liebe dich!“, „Claudia, ich würde alles für dich tun“, „Claudia, warum hast du mich verlassen?“ zugesprüht. Die Beseitigungskosten gingen in die Millionen, die bürgerliche Presse spekulierte über den „romantischen Romeo“, und auch die autonome Szene hegte Sympathien für den anonymen Graffiti-Sprayer. Als er schließlich erwischt wurde, stellte sich heraus, dass dieser „Streetartist“ die real existierende Claudia jahrelang als Stalker belästigt hatte.
Ob es sich bei dem Berliner Sprayer um einen ähnlichen Fall handelt, weiß ich nicht. Aber dass nicht alle Graffitis, nur weil sie illegal sind, auch im positiven Sinne subversiv sind, das zeigt auch der Fall des „Claudia“-Sprayers. Auf „sinnbefreite“ Texte hätte getrost verzichtet werden können. Mehr libertäre Reflexion, weniger Deskription, das hätte dem Opus gut getan.
Es finden sich auch viele Wiederholungen. So wird auf das basisdemokratisch organisierte Internetprojekt Indymedia in so ziemlich jedem Kapitel hingewiesen. Anarchistische Utopien und Theorien schimmern dagegen in den Texten dieses – immerhin im anarchistischen Trotzdem Verlag erschienenen – Buches nur selten durch die Zeilen. Es wird von Aktion zu Aktion gehetzt, aber das Ziel einer herrschaftsfreien Gesellschaft wird dabei nur bedingt sichtbar. Selbst unter der Rubrik „Medien- und Öffentlichkeit“ (S. 224) sucht mensch anarchistische Medien wie Graswurzelrevolution und direkte aktion vergeblich. Dafür finden sich ganzseitige Anzeigen zum Beispiel von attac und der grünen Heinrich-Böll-Stiftung. Letztere ist angesichts der Tatsache, dass die Grünen Mitverantwortung tragen z.B. für den NATO-Angriffskrieg 1999 gegen Jugoslawien, für Remilitarisierung, Sozialkahlschlag und Atompolitik, ein Ärgernis.
Fazit
Das eingangs erwähnte grandiose Outfit weckt Erwartungen, die „go.stop.act!“ bedingt erfüllen kann. Trotz aller Kritik ist es ein wichtiges und lesenswertes Buch aus den sozialen Bewegungen für die sozialen Bewegungen. Es kann (überwiegend) mit Genuss und Gewinn gelesen werden.