Der Schwarze Faden war eine der besten anarchistischen Zeitschriften in der Bundesrepublik. Im Sommer 2004 kam nach 24 Erscheinungsjahren die letzte Ausgabe heraus: SF Nr. 77. Das nachfolgende Interview sollte ursprünglich im SF Nr. 78 erscheinen. Der ist nie erschienen, da die "Vierteljahresschrift für Lust und Freiheit" im Herbst 2005 beerdigt wurde (vgl. GWR 304). Wir drucken deshalb exklusiv das ursprünglich für den SF geführte Interview mit Ralf G. Landmesser ab (GWR-Red.).
Wolfgang Haug (SF-Red.): Ralf, du hast den A-Laden in Berlin von Anfang an mitbegleitet. Kannst du uns etwas zu den augenblicklichen Schwierigkeiten des Ladens erzähl-en? Sind es rein finanzielle Probleme, steckt ein Rückzug von AktivistInnen dahinter, oder ändern sich die Bedürfnisse der Szene?
R@lf G. Landmesser: Der A-Laden war 1987/88 eine Gründung v.a. der AStI (Anarchistische StudentInnen Initiative), der Berliner Projekt-A-Gruppe, einiger FAUler und Freischwebender und in der Anfangsphase später auch von RAStlos (Rat Anarchistischer SchülerInnen).
Über die Jahre sind viele Personen und Gruppen durch den Laden gewandelt, haben zum Projekt beigetragen oder an seiner Substanz genagt. Spezifisch ist aber geblieben, daß über 18 Jahre kaum jemand geblieben ist – der A-Laden, wie auch Berlin überhaupt, war immer ein Durchgangslager (wie das übrigens bei den meisten anderen Projekten hierzulande und anderswo auch zu sein scheint). Daher hat sich eigentlich keine, oder sagen wir: erschreckend wenig gewachsene Substanz eines sozialen Umfeldes bilden können.
Im Gegensatz zu „unseren speziellen Freunden“, den Burschenschaften, haben sich kaum „alte Herren“ (und Damen) herausgebildet, die, verdienend im Berufsleben stehend, auch noch ihren alten Einstellungen und dem A-Laden wenigstens finanziell die Treue hielten.
Das daher ständige Arbeiten kurz vor dem Kollaps, hat dazu geführt, daß nicht nur die politische Arbeit grenzwertig im Sinne von Potential war, sondern über die Jahre auch keine solide Basis der Finanzierung eines permanenten Projektes erfolgen konnte. Mit einem personellen Erstarken von Aktiven und nachhaltigem Umfeld wäre die Finanzierung eine relative Angelegenheit: 50-100 fördernde Leute könnten die Kosten eines solchen Projektes wie den A-Laden problemlos schultern. Ist aber nur eine geringe Anzahl finanzschwacher Aktiver vorhanden und von einem bestenfalls lethargisch zu nennenden Umfeld umgeben, ergibt sich die Doppelbelastung der Geldbeschaffung und bergeweiser politischer Arbeit. Finanzen und personelle Situation hängen somit fatal zusammen.
Gibt es nur wenige Menschen, die bereit sind, politische (Schwer)Arbeit zu leisten, wenn zeitgleich von außen noch nicht einmal die mindestmögliche Solidarität in Form von G.E.L.D. kommt, sind wir im Dilemma.
Wir arbeiten oft mit schrottreifer Technik, die durch Wartung und Reparaturen Probleme in Zeit- und Nervenaufwand schaffen und daher anderswo die Power wegnehmen.
Angesichts dieses Hintergrunds sind wir ein Wunder an Effektivität!
Gehen wir auf die ursprüngliche Funktion des A-Ladens ein. Was wollten die BetreiberInnen anfangs mit diesem Projekt erreichen und hat es sichverwirklichen lassen?
Nach jahrelanger Odyssee durch FU-Seminarräume, Kneipen, Jugendzentren und Privatwohnungen waren wir es satt, Schlüsselprobleme, Kneipenlärm und -dunst auszuhalten und keinerlei Raum für Archiv, Bibliothek und logistischen Kram zu haben. Durch den ständigen Wechsel unserer Treffpunkte waren wir zudem schlecht ansprechbar, und ansprechbar wollten wir als propagandistisch aktive Gruppe schließlich sein.
Also sollte eine „Anarchistische Dezentrale“ her, die uns in der Szenesuppe klar ausmachbar machte und die möglichst ständig besetzt und offen war. Zwar verstanden wir uns auch als „Infoladen“, aber mit klar anarchistischen Inhalten und Materialien und explizit nicht als autonomer Gemischtwarenladen mit stalinistischem Sahnehäubchen und sonstigem realsozialistischen Studentenfutter. In unserem Etablissement sollte Anarchismus offensiv propagiert werden.
Dogmatisches Material sollte keinen Platz im Laden haben, ebenso wenig wie seine ProtagonistInnen.
Tatsächlich hat sich dieses Konzept generell über die Jahre bewährt, wenn wir uns auch mehr Zulauf versprochen hatten – letzterer verlief bislang in Konjunkturen.
Der A-Laden hatte soviel eigenes Profil, daß er in gewissen autonomen Kreisen und natürlich auch bei den „Antiimps“ auf Vorbehalte bis Haß stieß. Die absurdeste Behauptung aus dieser Richtung besagte, wir seien eine Verfassungsschutzgründung …
Ladenintern versuchten wir immer, ein Höchstmaß an Toleranz und Nichtarroganz zu pflegen, und hielten auch einige widersprüchliche Menschen bis zur Schmerzgrenze aus. Das ersparte uns dogmatische Verhärtung und machte uns auf die Dauer auch ein paar Freunde (wenn vielleicht auch wiederum einige Zartbesaitete geflüchtet sind).
Der A-Laden wurde von den vielen PolittouristInnen gerne frequentiert – in der „Wende“-Zeit halfen wir trotz unseres eigenen Mangels Libertären im Osten Europas, so gut wir konnten. So wurde der A–Laden auch eine Ost-West-Schnittstelle.
Daneben meinten wir, daß es angesagt sei, dort lokal wirksam zu werden, wo mensch ist, und so verstanden wir uns gleichzeitig auch als libertären Nachbarschaftsladen und Soziales Zentrum. Das hieß, daß wir basisdemokratisch orientierten Gruppen die Möglichkeit boten, unsere Räume mitzunutzen. Umgesetzt wurde dies durch ein längeres Gastspiel der Bürgerinitiative Lehrter Straße (unsere Parallelstraße am neuen Hbf.), in der sich auch im lokalen Ladenumfeld ansässige Genossen engagierten. 10 Jahre gab es eine „A FoodCoop„, in der nicht nur AnarchistInnen ihr Futter selbst organisierten (leider eingegangen).
Allerdings muß selbstkritisch gesagt werden, daß die nachbarschaftliche Zielsetzung mangels ausreichender personeller Kapazitäten und vielleicht auch wegen zu szeneartigem Erscheinungsbild und geringer Offensivität in dieser Richtung nur in bescheidenem Maße erreicht wurde. Dennoch sind wir ein kleiner Faktor im Stadtteil, auf den sich einige Leute beziehen, auch wenn sie selten oder nie bei uns in persona auftauchen. Sogar etwas kontinuierliche finanzielle Unterstützung gibt es aus dieser Richtung.
Wichtig ist in dieser Hinsicht auch noch der Punkt, daß wir bewußt nicht nach Kreuzberg gegangen sind, weil wir nicht der Xte Szeneladen im Szeneghetto werden wollten, sondern unseren Ansatz breiter sahen. So landeten wir im als abseitig angesehenen, proletarisch und durch Migration geprägten Moabit (Tiergarten) bei Polizei, Knast und Berliner Mauer. Dabei sind wir nur drei U-Stationen vom bekannten Bahnhof Zoo entfernt. Jetzt sitzen wir mitten drin in der „Hauptstadt“, gleich am Regierungsviertel und neuen Hauptbahnhof: zeig mal mit dem Finger auf Berlins Mitte, und auf dem Plan unter deiner Fingerkuppe findet sich die Rathenower Straße …
Kannst du etwas über die highlights in der Geschichte des A-Ladens erzählen?
Zu welchem Zeitpunkt und bei welchen politischen Kampagnen hatte er eine politische Bedeutung, die über die Anarchoszene hinauswies?
Highlight der A-Laden-Geschichte waren sicher die zweimaligen, von uns angestoßenen und im Wesentlichen durchgeführten „Schwarze(n) Tage„.
Dutzende von Veranstaltungen, verdichtet auf einen kurzen Zeitraum um den 1. Mai, und die damit verbundene publizistische Arbeit (Plakate, Flugis, Terminvorankündigungen) setzten einen unübersehbaren Spot auf anarchistische Inhalte und hoben die vorhandenen A-Locations aus der Anonymität. Flankierend verteilten wir je 15.000 und 20.000 Sonderzeitungen „Maischrei„, die mit großem Interesse gelesen wurden. Gleichzeitig beteiligten wir uns an der Organisation der „Revolutionären Maidemo„, was von unserer Seite jedoch in den folgenden Jahren wegen des immer mehr verfehlten, krawallanten RitusCharakters der Veranstaltung eingestellt wurde.
Einige Jahre in der Nachwendezeit organisierten wir zusammen mit dem Initiator „El Locco„, einem vor ein paar Jahren geschlossenen Kreuzberger A-Café, den „Libertären Jahrmarkt“ zwischen Schönhauser Allee und Kollwitzplatz, jeweils über ein Wochenende mit einiger Öffentlichkeitsaufmerksamkeit und buntem Programm.
Es fällt mir schwer, chronologisch zu bleiben, denn 18 Jahre Präsenz in Berlin, einer Stadt, in der ständig etwas läuft, an dem ständig GenossInnen aus unserem Umfeld teilnehmen, lassen sich schwer auf ein paar Highlights subsumieren.
Unsere Initiativen gegen den Hauptstadtwahn, den „Hauptwahnhof“ und die „Teergartentunnel“ waren zwar letztendlich nicht erfolgreich, aber das war absehbar. Wichtig war uns der damit einhergehende Bewußtseinsprozeß von Widerständigkeit.
Widerständigkeit haben wir auch gefördert, indem wir die Bürgerinitiative FREIe HEIDe gegen das Bombodrom bei Wittstock-Rheinsberg-Neuruppin (BW-Out-of-Area-Trainingsgelände) unterstützen. Mit unserer logistischen und ideellen Hilfe gab es dort (mehrfach) den größten Ostermarsch.
Auch unser „klammheimlicher Einfluß“ auf die Nachbarschaft in Moabit mag zu diesem oder jenem vorzeigbaren Resultat geführt haben. Dabei verhalten wir uns durchaus realpolitisch.
Schade ist, daß aus dem starken Engagement von A-Laden-Menschen im „Projekt A“ und im in Berlin selbst anvisierten „Projekt B“ keine dauerhaften Projekte libertärer Prägung entstanden sind (bis auf ein paar halbwegs akzeptable „Bewegungsruinen“). Sogar ein spezielles „Projekt O(st)“ gab’s, das seine Geburt verschlafen hat.
Hinweisen möchte ich auf unser TERMIN@TOR: die Auflistung aller uns bekannten libertären Berlin-Termine im www und manchmal als Printausgabe mit inhaltlichen Artikeln und vollständiger Berliner Adressenliste. Dieses Unternehmen basiert auf dem von uns initiierten P.L.E.Bs. (Plenum Libertärer Elemente BerlinS). Über P.L.E.B.s als Forum wurde wiederholt das A-Camp organisiert (wie vom A-Laden aus schon ein Vorgängercamp bei Potsdam organisiert wurde).
Im Moment versuchen sich Leute an der Gründung einer Anarchistischen Föderation Berlins.
Gab es interne Konflikte, politische Zerwürfnisse, die den A-Laden spalteten oder zum Ausscheiden größerer Gruppen führten? Wenn ja, an welchen Themen haben sich diese Konflikte entzündet, und wie liefen sie ab?
Regelrechte Spaltungen gab es nicht. Wir bemühen uns im A-Laden um eine Atmosphäre der Toleranz. Eher gab es ein Abwandern von Personen und Gruppen. Einige RAStlos-Leute haben sich z.B. an der Gründung des libertär gelagerten Infoladens OMEGA (elektrisch: Widerstand) im benachbarten Wedding beteiligt und gingen dem A-Laden damit verloren. Allerdings haben sie dort eine gute Arbeit gemacht und sogar ein libertäres Kneipenkollektiv mitgegründet. Die Kneipe, OMEGA und dessen pionierhafte Wwweb-Existenz sind nun auch Geschichte.
Die FAU hat den A-Laden verlassen, weil sie mit einem eigenen Laden mehr eigenes Profil zeigen wollte. Die Zusammenarbeit geht allerdings weiter, da einige A-Laden-Leute gleichzeitig FAU-Mitglieder sind.
Diverse Geaswurzel-Gruppen hatten den A-Laden als Domizil, sind aber immer wieder eingegangen, genauso wie ein paar libertäre Friedensgruppen.
Eine rätekommunistische Gruppe fühlte sich bei uns nicht mehr zu Hause und ging ihrer Wege. Der einige Zeit im A-Laden angesiedelte Vegan-Laden heterogener Zusammensetzung (As und Nicht-As) machte sich 2002 in Kreuzberg kommerziell selbstständig und ging uns inhaltlich und als Mieter verloren (seither großes Kassenloch!).
SchülerInnen kamen und gingen (auseinander), wie nach ihrem Abi die AschuKis (Anarchistische Schulkinder) und deren Vorläufer „Kadimadi„, die einige Jahre bei uns im Laden waren. Jetzt sind’se Studies sonstwo oder machen Lehre. Der natürliche Lauf von „Schüli“Gruppen …
Sprengstoff brachte vor vielen Jahren eine bundesweit wahrgenommene Spitzelaffaire in den A-Laden, die wir aber souverän überstanden, weil wir uns von so was nicht irre machen lassen (Wo käm’wa hin?!). Hier ist Ruhe die erste revolutionäre Pflicht. Aber von außen versuchte mensch, uns deswegen nachhaltig zu schaden.
Dies auch, als ein ziemlich wirrer Mensch, der sich jahrelang mehr oder weniger unauffällig in der Berliner A-Szene bewegte, zeitweilig im Mahler-Umfeld zu finden war (er flog konsequenterweise bei uns nach offener Klärung und Erklärung raus und hat sich mittlerweile von seinen Rechtsausflügen distanziert, ohne wieder bei uns aufgenommen zu werden.)
Attacken gab es auch von vorgeblichen AntiFas, die den A-Laden als nationalistische Brutstätte ausgemacht zu haben glaubten und mit Anschlägen drohten. Sprengstoffdrohungen von Nazi-Seite der sog. AntiAntiFa, die in uns ein antifaschistisches Nest sehen, konkurrierten damit. Klar, sind wir ja auch – von der Beteiligung an AntiFa-Fahrwachen über das „harbouring“ des Antifaschistische(n) Infotelefon(s) haben wir einiges auf dem „Kerbholz“.
Wo siehst du heute die Bedeutung des A-Ladens, oder anders gefragt, warum muss der A-Laden gerettet werden?
Der A-Laden hat die Bedeutung, die die aktiven Leute ihm geben. Ansonsten ist er ein leeres Gehäuse, durch das die Geschichte geistert und nicht der Geist der Freiheit.
Seit geraumer Zeit haben wir in Berlin sozusagen jeden Monat „Schwarze Tage“, denn es gab noch nie, so weit ich das seit 1980 erinnere, eine solche Dichte an explizit libertären Veranstaltungen in dieser Stadt. Hieran ist der A-Laden nicht ganz „unschuldig“.
So weit wir das ökonomisch können, halten wir entsprechende Literatur und Medien vorrätig. Der A-Laden ist die „Ständige Vertretung“ der Anarchie gegenüber der großmächtelnden Staatlichkeit. Für einige Leute im Kiez ist er ein psychologisches Rückgrat. Neben der „Bibliothek der Freien“ mit ihrem halben untergemieteten Raum im „Haus der Demokratie„, dem FAU-Büro in Prenzlberg und dem A-Café in der Køpi ist der A-Laden der explizit anarchistische Raum in Berlin. Viele Projekte Berlins sympathisieren zwar mit anarchistischen Ideen, vertreten sie aber nur unter anderem. In einer Stadt mit mehreren Millionen Menschen ist ein Projekt wie der A-Laden daher unverzichtbar.
Er muß in seiner Substanz gestärkt werden, indem die finanziellen Sorgen beseitigt werden und damit zweitens die wenigen überlasteten Menschen sich mehr darum kümmern können, mehr aktive GenossInnen zu gewinnen. Wir alle zusammen wollen die libertären Ideen relevant voranbringen und zeitgemäße Lösungen finden helfen. Das kann gelingen, wenn Einsicht Platz greift, daß ein solches Projekt und die in ihm aktiven Menschen mehr Unterstützung in materieller Form und in erster Person bedürfen und verdienen.
Die Fortsetzung dieses Interviews erscheint in Graswurzelrevolution Nr. 308