70 jahre spanische revolution

Feministinnen in der Spanischen Revolution

Die Gruppe Mujeres Libres

| Vera Bianchi

In diesem Sommer jährt sich der Beginn des Spanischen Bürgerkriegs und der Revolution zum 70. Mal. Dazu stelle ich eine anarchafeministische Gruppe vor, die in der republikanischen Zone aktiv an der Revolutionierung der Gesellschaft mitarbeitete.

Die Gründung der Mujeres Libres

Als mit dem franquistischen Putsch am 18./19. Juli 1936 der Spanische Bürgerkrieg begann, erhoben sich Hunderttausende Menschen, um nicht nur die Republik zu verteidigen, sondern noch einen Schritt weiterzugehen in Richtung einer freien Gesellschaft. In denjenigen Regionen Spaniens, in denen die zum Teil sogar unbewaffneten Menschen die Putschisten erfolgreich niederschlugen, kam es sofort zu einer sozialen Revolution. Vor allem in Katalonien und Aragonien kollektivierten die LandarbeiterInnen die Ländereien, und die ArbeiterInnen besetzten ihre Fabriken und betrieben sie unter eigener Führung weiter.

In dieser Aufbruchstimmung erhielt eine kleine Gruppe von Frauen, die drei Monate vorher eine Zeitschrift gegründet hatte, plötzlich enormen Zulauf und zählte in den nächsten drei Jahren über 20.000 Mitglieder (1): die Gruppe Mujeres Libres („Freie Frauen“). Drei Anarchistinnen publizierten seit April 1936 in Madrid die Zeitschrift „Mujeres Libres“. Im September 1936 schloss sich die Kulturelle Frauengruppe Barcelona, die es seit 1934 gab, den Mujeres Libres an, und in vielen Städten und einigen Dörfern der republikanischen Zone Spaniens gründeten sich mindestens 170 Mujeres Libres-Gruppen. (2)

Die Mujeres Libres waren nach den Grundsätzen der Basisdemokratie aufgebaut, und in ihrer Satzung ist die Autonomie der einzelnen Gruppen festgehalten. (3)

Warum eine eigene Frauenorganisation?

Die Idee, innerhalb der anarchistischen Bewegung eine Frauenorganisation zu gründen, war auch unter den anarchistischen Frauen nicht unumstritten.

GegnerInnen waren der Ansicht, eine eigene Frauenorganisation führe nur zu Spaltungen und sei nicht notwendig, da mit der Abschaffung des Kapitalismus automatisch die Unterdrückung der Frauen verschwinden werde. Vor allem jüngere Anarchistinnen empörten sich jedoch über das herablassende Verhalten einiger männlicher Anarchisten gegenüber Frauen. (4)

Die Gründung einer anarchistischen Frauengruppe sollte nicht eine Geschlechtertrennung zementieren, sondern für eine gewisse Zeit einen geschützten Rahmen für die Aktivitäten und die Entwicklung des Selbstbewusstseins der Frauen bieten.

Zur Unterstützung des Zusammengehörigkeitsgefühls erfand die Gruppe Mujeres Libres sowohl eine eigene Fahne (blau mit einem rot-schwarzen Streifen am Rand) als auch eine Hymne. (5)

Aktivitäten der Mujeres Libres

Langfristiges Ziel der Mujeres Libres war die Errichtung einer freien Gesellschaft, in der alle Frauen und Männer gleichberechtigt und selbstbestimmt leben können. Um dieser Gesellschaft näher zu kommen, setzten sich die Mujeres Libres zwei kurzfristige Ziele: die Frauen zu befähigen, sich selbst eine Meinung bilden zu können, politische Zusammenhänge zu verstehen, selbstbewusst Arbeiten zu ergreifen – und sie für die Ideen des Anarchismus zu begeistern. Die Mujeres Libres sprechen in ihren Publikationen von der dreifachen Sklaverei der Frau: Sklaverei der Unwissenheit, Sklaverei der Frau und Sklaverei der Arbeiterin.

Nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs setzten die Mujeres Libres ihre Priorität darauf, den Faschismus zu besiegen und die Revolution fortzusetzen. Dabei konzentrierten sie sich auf die praktische Arbeit, entwickelten aber auch die Theorie des doppelten Kampfes: Weder allein die Befreiung der Frauen noch allein die Befreiung der Arbeiterklasse führten in eine freie Gesellschaft, deshalb sei die Verbindung der beiden Befreiungskämpfe unerlässlich für eine wirkliche soziale Revolution. Da nur die Frauen sich selbst befreien können – genau wie die Arbeiterklasse sich nur selbst befreien kann -, müssen die Frauen zwei Kämpfe in Angriff nehmen: einen, gemeinsam mit den Männern, gegen den wirtschaftlich ausbeutenden und politisch unterdrückenden Staat und einen allein, gegen die patriarchalen Strukturen.

Heute werden die Mujeres Libres als Anarchafeministinnen bezeichnet; sie selber lehnten aber den Begriff Feminismus ab, da sie damit die bürgerliche Wahlrechtsbewegung assoziierten.

Die Praxis der Mujeres Libres umfasste neben einem umfangreichen Bildungs- und Ausbildungsangebot – außer Kursen boten sie Arbeit in eigenen Werkstätten an und eröffneten in Madrid die erste Fahrschule für Frauen – die Unterstützung der republikanischen Seite im Bürgerkrieg sowohl mit der Waffe an der Front als auch im Hinterland in der Industrie, bei der Kinderbetreuung und der öffentlichen Verpflegung. Ein wichtiges Instrument zur Bildung und Information war die Zeitschrift „Mujeres Libres“, die in 13 Ausgaben zwischen April 1936 und Oktober 1938 erschien. Daraus konnten die Mitglieder erfahren, welche Aktivitäten die anderen Ortsgruppen durchführten.

Es ist beeindruckend, wie viele verschiedene Projekte die Mujeres Libres organisierten, ohne Rückendeckung durch eine große Organisation zu haben. CNT, FAI und FIJL (6) stellten ihnen zwar Räumlichkeiten zur Verfügung und unterstützten sie gelegentlich finanziell, befürworteten jedoch nicht ihre Existenz – deshalb brauchten die aktiven Mitglieder der Mujeres Libres sicher viel Kraft, um nicht aufzugeben.

Die Mujeres Libres nach dem Spanischen Bürgerkrieg

Spätestens mit dem Sieg der Franquisten am 1. April 1939 war die Arbeit der Mujeres Libres in Spanien beendet. Während der 36 Jahre Diktatur gab es im Exil eine Zeitschrift „Mujeres Libres en Exilio“ in Spanien selbst hingegen keine Aktionen der Gruppe mehr. Wegen drohender Repressionen für RepublikanerInnen konnten die Frauen auch bis zum Ende der Diktatur nach Francos Tod im November 1975 nicht über ihre damaligen Aktivitäten sprechen.

Trotz des Krieges und der nachfolgenden Unterdrückung haben die spanischen Frauen, die damals aktiv gewesen waren, etwas gewonnen: Sie hatten drei Jahre in einer Revolution gelebt und ihr Leben selbst in die Hand genommen. Viele von ihnen behielten diese Zeit als die freieste ihres Lebens in Erinnerung. (7)

1976 gründeten junge Frauen in fünf spanischen Städten neue Mujeres Libres-Gruppen, nachdem sie das erste Buch der Historikerin Mary Nash über die Mujeres Libres gelesen hatten. (8)

Sie setzten sich mit Sara Guillén Berenguer und anderen Mujeres Libres in Verbindung und besprachen die Neugründung. Sara Guillén Berenguer lebt seit dem Ende des Bürgerkriegs in Südfrankreich und hatte seit 1964 mit anderen spanischen Anarchistinnen die Zeitschrift „Mujeres Libres en Exilio“ publiziert. Nach dem Kontakt zu den jungen Mujeres Libres wurde die Exilzeitschrift 1976 eingestellt, und es entstanden vier Ausgaben der neuen Mujeres Libres-Zeitschrift. Wieder war der Chauvinismus innerhalb der CNT der Grund für eine eigene Frauenorganisation; diesmal allerdings wurden auch Männer als Mitglieder zugelassen.

In Gesprächen mit spanischen AnarchistInnen hörte ich, dass es heute keine Mujeres Libres-Gruppen mehr gebe, da die CNT so chauvinistisch sei, dass sich anarchistische Frauen lieber in autonomen Gruppen engagieren als bei den Mujeres Libres, die sich der CNT zugehörig fühlten (während des Bürgerkriegs waren viele Mujeres Libres auch CNT-Mitglieder). Auf dem Kongress „Mujeres, Libres y Libertarias“ („Frauen, Freie und Libertäre“), der im Mai 2005 in Madrid stattfand, lernte ich jedoch zwei junge Mujeres Libres aus Barcelona kennen. Im März 2005 machte ich außerdem die Bekanntschaft von zwei alten Anarchistinnen: Sara Guillén Berenguer lernte ich in Südfrankreich kennen und Concha Pérez in Barcelona. Beide sind über 80 Jahre alt, aber immer noch politisch aktiv. 1999 hat Sara Guillén mit anderen Anarchistinnen ein Buch veröffentlicht, in dem Texte aus den Zeitschriften während der Spanischen Revolution neben ihren heutigen Erinnerungen an die damalige Zeit stehen. (9) Sie schreibt Gedichte und steht mit vielen jungen und älteren AnarchistInnen in Kontakt. Concha Pérez, die während der Revolution nicht bei den Mujeres Libres, aber im selben anarchistischen Ateneo (Bildungszentrum) wie Sara Guillén aktiv war und elf Monate an der Front von Aragonien gekämpft hat, ist heute in einer linken Diskussionsgruppe mit anderen Veteraninnen der Spanischen Revolution aktiv.

(1) Cornelia Krasser/ Jochen Schmück: Frauen in der Spanischen Revolution 1936-39. Berlin 1984. Und: Mary Nash: Mujeres Libres 1936-1978. Ausgewählt und aus dem Spanischen übersetzt von Thomas Kleinspehn. Berlin 1979

(2) Mary Nash: Rojas. Las mujeres republicanas en la Guerra Civil. Madrid 1999 (Veränderte spanische Version von Mary Nash: Defying Male Civilization: Women in the Spanish Civil War. Denver 1995)

(3) Mujeres Libres: Luchadoras Libertarias. Madrid 1999

(4) Martha A. Ackelsberg: Free Women of Spain. Anarchism and the Struggle for the Emancipation of Women. Bloomington 1991

(5) In Martha A. Ackelsberg: Free Women of Spain ist die Hymne auf spanisch und in englischer Übersetzung abgedruckt; in meinem Buch befindet sich eine deutsche Übersetzung.

(6) Die drei Organisationen der spanischen anarchistischen Bewegung; CNT: Confederación Nacional de Trabajo (Nationaler Arbeitsbund), FAI: Federación Anarquista Ibérica (Iberischer Anarchistischer Bund), FIJL: Federación Ibérica de Juventudes Libertarias (Iberische Föderation der libertären Jugend)

(7) Zwei beeindruckende Dokumentarfilme mit ZeitzeugInnen sind "Die Utopie leben (Vivir la utopía)" (auf deutsch) und "De toda la vida" (auf spanisch).

(8) ID (Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten): Interview mit den Mujeres Libres in Barcelona, 12.7.1977. In: Karin Buselmeier: Frauen in der Spanischen Revolution. In: Mamas Pfirsiche - Frauen und Literatur, Bd. 9/10. Münster 1976. Das Buch von Mary Nash heißt: Mujeres Libres: Espaòa 1936-1939. Barcelona 1975. Thomas Kleinspehn hat Teile davon übersetzt und mit Artikeln der neuen Zeitschrift "Mujeres Libres" zusammen herausgegeben, siehe Fußnote 1.

(9) Siehe Fußnote 3. Das Buch wurde bereits auf Französisch übersetzt und publiziert. Mit Sara Guillén hatte ich die Idee, das Buch auch auf Deutsch zu übersetzen und herauszugeben; ich suche allerdings noch HelferInnen für die Übersetzung und SponsorInnen für die Publikation. InteressentInnen melden sich bitte bei mir: bianchi@arcor.de

Anmerkungen

Vera Bianchi ist Autorin von "Feministinnen in der Revolution - Die Gruppe Mujeres Libres im Spanischen Bürgerkrieg" (Unrastverlag, Münster 2003)

Veranstaltungen mit Vera Bianchi

19.7.2006 in Münster, 20 Uhr, Die Brücke, Wilmergasse

26.7.2006 in Kiel, 19 Uhr, Club M, Stadtfeldkamp 43