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Kultur oder Politökonomie des Terrors?

| Sal Macis

Vier von sechs Kapiteln dieses Buches enthalten lesenswertes Material über das aktuelle Thema des Verhältnisses von US-amerikanischem (und israelischem) Staatsterror und dem Gegenterror der Unterdrückten, u.a. dem islamistischen Terror.

Mamdani, aufgewachsen als Inder in Uganda und heute Professor an der New Yorker Columbia University, verortet in diesen vier Kapiteln politökonomischer Analyse die Geburtsstunde des Terrors, den er als bewusste Einbeziehung „weicher“ Ziele, d.h. ziviler Bevölkerungsteile, in Strategien der Gewalt und des Krieges versteht, auf den ersten Kongo-Krieg um die Ermordung Lumumbas. Hier seien im Gerangel um einen afrikanischen Stellvertreterkrieg im Rahmen des Kalten Krieges erstmals Söldner eingesetzt worden, die ZivilistInnen abschlachteten. Dies habe sich in den siebziger Jahren fortgesetzt, wo die USA mit rhodesischer und südafrikanischer Hilfe Terrorgruppen wie die RENAMO in Mozambique und UNITA in Angola aufgebaut habe.

Nach dem Vietnamkrieg, so Mamdani, habe jedoch infolge der Antikriegsbewegung der US-Kongress einige Gesetze gegen die uneingeschränkte und unkontrollierte Macht der CIA (1975/76: Tunney- und Clark-Amendment, sowie 1984 Boney-Amendment während des Contrakrieges gegen Nicaragua) verabschiedet und Mittel gekürzt. Wenn auch diese Einschnitte von kurzer Dauer waren, haben sie doch zu einer grundsätzlichen US-Strategieänderung geführt. Kriege der CIA wurden nicht mehr offen mit Unterstützung des US-Parlaments, sondern verdeckt am Parlament vorbei als Stellvertreter- und Söldnerkriege geführt, finanziert durch den auch von der CIA gesteuerten internationalen Drogenhandel, zunächst aus Laos, dann aus Lateinamerika (über die Contra, finanziert durch Waffenverkäufe an den Iran, vermittelt durch Israel). Die Kriege wurden nun „verdeckt“, sie waren „Kriege niedriger Intensität“. In Afghanistan organisierte und finanzierte die CIA schließlich gegen die Okkupation durch die Sowjetunion zusammen mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI eine international zusammengesetzte muslimische Guerilla, aus der dann Al-Qaida und die Taliban hervorgingen.

So weit, so interessant. Doch es sorgen immer wiederkehrende deplacierte Holocaust-Vergleiche für ein Unwohlsein beim Lesen und offenbaren Mamdanis Unkenntnis über die europäische und insbesondere deutsche Geschichte. Da werden durch den Mauerbau Israels die Besetzten Gebiete fast zu „Konzentrationslagern im Stile der Nazis“ (S. 266); oder es behaupteten, so Mamdani, auch die „brutalsten Diktaturen, die sich als westlich verstanden, wie etwa Nazi-Deutschland, (…) von sich, Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten“ (S. 218), weshalb die gegenwärtige Missachtung von Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht durch die USA, so Mamdani, „einzigartig“ sei. Das ist Unfug, schließlich sind die Nazis, die sich nie als westlich verstanden, aus dem Völkerbund ausgetreten und nicht die USA aus der UN.

Bisweilen rutscht Mamdani in traditionelle antiimperialistische Muster. Nach Ende des Kalten Krieges und dem Niedergang der Sowjetunion konzentrieren sich die Strategien des US-Staatsterrors, weltweit inszeniert durch die CIA, nach Mamdani denn auch nur noch gegen den neuen Hauptfeind, den renitenten „militanten Nationalismus“ in der „Dritten Welt“, der wenigstens örtlich noch für eine unabhängige (staatliche) Souveränität sorge. Das mag sein, doch was folgt daraus? War schon die Sowjetunion aufgrund ihrer militaristischen, autoritären Struktur für Libertäre und Gewaltfreie kaum verteidigenswert, so ist es dieser militante Nationalismus, besonders in Afrika und im Nahen Osten oft diktatorischer Provenienz und jeder sozialen Zielsetzung entkleidet, noch weniger.

Das erste Drittel des Buches behandelt den Kulturdiskurs zum Terrorismus. Das wäre spannend und aktuell, doch Mamdani verweigert sich. Er meint, in kulturellen Kategorien solle gar nicht erst diskutiert werden, da lande man/frau nur bei Huntington oder Bernard Lewis und dessen Gut- und Böse-Diskurs, der die Bush-Rhetorik präge. Also wendet sich Mamdani politökonomischen Erklärungsmustern zu. Ich sehe darin ein Abwerten des Kulturdiskurses, der auch subversiv geführt werden kann. Mamdanis Ausweichen auf ökonomische Analysen erscheint mir als ein marxistisches Relikt von der Dominanz der Basis über den – irrelevanten – kulturellen Überbau.

In diesem ersten Drittel macht Mamdani einige interessante Unterscheidungen. Z.B. meint er, nicht jede religiös begründete soziale Bewegung sei von vorneherein fundamentalistisch, und führt die Bürgerrechtsbewegung in den USA der sechziger Jahre an. So müsse auch im Islam zwischen zwei Bewegungen unterschieden werden, einem auf die Eroberung der staatlichen Macht orientierten politischen Islam (der zum Terror tendiere) und einer auf die Gesellschaft orientierten islamischen Bewegung (die auf Gesellschaftsreform orientiere). Weiter unterscheidet Mamdani zwischen einem islamischen Säkularismus und dem religiösen Islam an der Macht, um so dem westlichen Vorurteil, der Islam sei zu säkularen Konzeptionen unfähig, entgegenzutreten.

Das Problem sind m.E. dann aber die Beispiele, die Mamdani für diese Unterscheidungen anführt. Er erwähnt leider keine Beispiele staatsferner, gewaltkritischer sozialer Bewegungen im Islam. Stattdessen bleibt er dem politischen Establishment verhaftet und meint, es mache „wenig Sinn, jede Spielart des politischen Islams mit politischem Terrorismus zu identifizieren. Von den vier islamistischen Intellektuellen, über die hier berichtet wurde – Muhammad Iqbal, Mohammed Ali Jinnah, Abdul A’la Mawdudi und Sayyid Qutb -, befürwortete nur Mawdudi uneingeschränkt die Errichtung eines ideologisch geprägten islamischen Staates.“ (S. 68) Das ist falsch.

Gemäß seiner Einteilung zählt Mamdani den pakistanischen Staatsgründer Jinnah zur säkularen, reformorientierten, auf die Gesellschaft bezogenen Strömung. Doch Jinnah organisierte vor der Unabhängigkeit jene berüchtigten „Direct Action Days“ gegen die Hindus, um von den Briten Pakistan zugesprochen zu bekommen. Das waren direkt terroristische Gewaltkampagnen der Muslim League gegen die hinduistische Zivilbevölkerung. Mamdani erwähnt sie mit keinem Wort. Jinnahs militanter Nationalismus war säkular, doch er basierte auf islamischer Religionszugehörigkeit. Vor diesem Hintergrund trat dann später Diktator Zia ul-Haq als islamistischer Potentat Pakistans auf. Für Mamdani aber ist Zias Islamisierung ausschließlich das Werk der CIA, die den afghanischen Dschihad inszeniert und dadurch Zias Diktatur „entscheidend“ (S. 267) islamisiert habe. Das überbewertet die Wirkung von Geheimdienststrategien und schafft eine ideologische Distanz zwischen militantem Nationalismus und islamischem Nationalismus, die nicht der Realität entspricht.

Wie mit Jinnah, so mit Fanon (S. 16ff.): Ursprung des Terrorismus sind für Mamdani die Kolonialmächte. Die militant-nationalistische Strömung der Gegengewalt muss das übernehmen, sie hat keine Wahl. Fanon ist deshalb für Mamdani zugleich Beschreiber, Mahner und Legitimierender von terroristischer Gegengewalt, die nur deshalb Terror ist, weil sie dem Kolonialherrn abgeschaut, von ihm erlernt ist. Wie Fanons „Eingeborene“ gegenüber dem Siedler oder Kolonialherrn, hat auch der heutige Unterdrückte gegenüber den Stellvertreterkriegen der CIA nach Mamdani keine andere Wahl, als Gegenterror auszuüben, weil er sie von ihr erlernt hat, sie ihm zur zweiten Haut geworden ist und er sie nun gegen seine Lehrer wendet. Genau darin besteht m.E. Mamdanis Mystifikation: Er beschreibt die Verbindung zwischen CIA-Terrorstrategien und Gegenterror als viel zu eng. Schon die algerische Befreiungsbewegung hat ihre Strategie, in Algier die französische Zivilbevölkerung anzugreifen, bewusst und eigenständig gewählt. Dafür gab es keine absolute Notwendigkeit, keinen Automatismus. Wie bei der FLN, so bei den palästinensischen Selbstmordattentaten.

Mahmood Mamdani: Guter Moslem, böser Moslem. Amerika und die Wurzeln des Terrors. Edition Nautilus, Hamburg 2006, 317 S., ISBN: 3-89401-475-X, 19,90 Euro