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John Holloway

Die zwei Zeiten der Revolution

| Nikola Siller

Der in Mexiko lehrende Soziologe John Holloway ist bekannt für seine Nähe zur Zapatistischen Bewegung. Was ihn neben diesem Umstand so sympathisch macht, ist, dass er sich ernsthaft bemüht, seine Gedanken aus den Sozialen Bewegungen heraus zu entwickeln und für sie aufzuschreiben.

Holloways Überlegungen gehen von der historischen Erfahrung aus, dass die Welt nur ohne die Übernahme von Macht, jenseits national-staatlicher Formationen und Abhängigkeiten, in einem emanzipatorischen Sinne veränderbar ist und dass die Revolution „nur eine Konstruktionsleistung von unten sein kann“ (S. 91).

In der Einleitung stellt Jens Kastner wichtige Grundannahmen Holloways vor und ordnet sie theoriegeschichtlich ein. Um den „unerwähnten Kontext der Gedanken Holloways“ zu erhellen, weist er vor allem auf Parallelen zur anarchistischen Theorie hin, aber auch auf Aspekte und Protagonisten der undogmatischen Strömung der Neuen Linken sowie der marxistischen Staatstheorie. Da die Zapatistas als der „praktische Pfeiler der Gedanken Holloways“ für deren Verstehen wichtig sind, führt Kastner zudem kurz und prägnant in die Geschichte ihres Aufstandes ein.

Den Vorschlag der Zapatistas beherzigend, „die ganze Konzeption dessen, was Rebellion, Revolte und Revolution bedeuten, zu überdenken“, zielen die ausgewählten Artikel Holloways auf die Befreiung und Radikalisierung des Geistes. Seine Ausführungen lesen sich als verlockende Angebote, mit der uns ansozialisierten Sicht auf die Welt, unserem Blick auf die Macht, der oft eingeschränkten Dimension, wie wir Revolution begreifen… zu brechen:

„Was wir aber wissen, ist, (…) dass die Hoffnung darin liegt, mit der Realität zu brechen, indem wir unsere eigene Realität, unsere eigene Logik, unsere eigene Sprache, unsere eigenen Farben, unsere eigne Musik, unsere eigene Zeit und unseren eigenen Raum etablieren. Dies ist der Kern des Kampfes nicht nur gegen ‚sie‘, sondern auch gegen uns selbst, das ist das Kernstück der zapatistischen Resonanz.“ (S. 68)

Wenn er auf die Zapatistas Bezug nimmt, hat Holloway nicht nur die EZLN und ihre konkrete Selbstorganisierung in Chiapas im Sinn, sondern vielmehr die von der zapatistischen Rebellion und ihrem spezifischen Politikverständnis inspirierte globale Altermundista-Bewegung, für die die EZLN einen konstanten Referenzpunkt bildet. Er selbst fühlt sich als Teil dieser Bewegung: „Der Kampf ist nicht ihr (der Zapatistas, N.S.) Kampf, sondern es ist der Kampf von uns allen.“ (106)

Holloway hält konsequent an der Perspektive auf Gemeinsamkeiten in den weltweiten Kämpfen gegen Ausbeutung und Unterdrückung fest und setzt auf die Einheit der Vielheit. Er schreibt in der ersten Person Plural, konstruiert und bezieht sich auf ein kollektives Wir, das neben der subjektiven Einbezogenheit der eigenen Person v.a. auch ein Gefühl der Solidarität und Verbundenheit mit anderen Rebellionen und des Nicht-Allein-Seins kommuniziert. In der Einleitung problematisiert Jens Kastner diese „Holloway’sche Wir-Formation“ und zeigt mit ihr verbundene Schwierigkeiten und Widersprüche auf.

Eine der vielen spannenden Fragen, die Holloway in den nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegenden Artikeln aufwirft, ist, wie der „Urbane Zapatismus“, d.h. die antikapitalistischen, antistaatlichen Kämpfe für Menschlichkeit und Würde in den Städten, intensiviert werden kann. Die wesentlich unterschiedlichen Voraussetzungen und den Kontrast zwischen Stadt und Land im Blick, schlägt er vor, „die Achse unseres Denkens (und unserer Organisation) vom Raum auf die Zeit [zu] verlegen“ (S. 108). Es geht ihm um das Loslassen der verführerischen, aber auch tragischen Vision von Revolution als einer „Revolution, die für immer halten wird“. Wenn heute revolutionäre Veränderung vornehmlich „in den Rissen und Lücken der kapitalistischen Gesellschaft“ stattfindet, dann – so die Argumentation Holloways – lasse sich Revolution nicht nur in räumlichen (die Hausbesetzung ist gescheitert, weil wir geräumt wurden, und jetzt ist das Haus weg…), sondern eben auch in Begriffen der Zeit (die Besetzung war super, wir hatten eine schöne Zeit, in der wir uns kennen und zusammen kämpfen gelernt haben…) denken. Dem Konzept von Dauerhaftigkeit stellt er die „Intensität jedes gelebten Moments“ gegenüber. Er schlägt vor, „mit der Homogenität der kapitalistischen Zeit zu brechen, mit der Uhr-Zeit zu brechen, mit der Dauerhaftigkeit, der Idee, dass das Morgen die unvermeidliche Fortsetzung des Heute ist“ (S. 110).

Die Gedanken und Vorschläge Holloways sind simpel. Darin liegt ihre Genialität. Er stellt unser westlich geprägtes Vorstellungssystem grundsätzlich in Frage, seine Gedanken sind Einladung und Herausforderung, das eigene Leben und die eigenen sozialen Beziehungen radikal zu verändern.

Seine Texte bieten uns Inspiration und Anerkennung für das alltägliche Tun, für die oft ohnmächtigen, meist unsichtbaren, manchmal verzweifelten Bemühungen, eine andere Welt, eine Welt der Menschlichkeit und Würde denkbar zu machen und zu kreieren. Es tut gut, sich auf seine hoffnungsvolle Perspektive einzulassen, dass unsere diversen Projekte zur Verbesserung unserer sozialen Beziehungen im Konkreten und der Welt im Allgemeinen nicht etwa gescheitert sind oder sein werden, sondern auch und gerade innerhalb ihrer (uhr-)zeitlichen Begrenztheit „die Revolution“ selbst bedeuten. Wie Obertöne durchzieht das Buch die brennende Frage: wie machen wir weiter? Wie können wir den Verlockungen des Sich-Abfindens widerstehen? Holloways sprachlich wunderschön vermittelte Gedanken regen an, intelligente Widerstandsstrategien zu entwickeln, nicht zuletzt, damit uns die Puste und die Hoffnung nicht flöten gehen angesichts der desaströsen Verhältnisse, in denen wir leben.

John Holloway: Die Zwei Zeiten der Revolution. Würde, Macht und die Politik der Zapatistas, aus dem Englischen und Spanischen übersetzt und eingeleitet von Jens Kastner. Band 5 der Reihe 'es kommt drauf an'. Verlag Turia + Kant (www.turia.at), Wien 2006, 110 Seiten, ISBN 3-85132-458-7, 10 Euro