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Common Ground in New Orleans

Ein Reisebericht

| Andreas Kemper

Vor einem Jahr erreichte der Hurrikan Katrina die Küste der Vereinigten Staaten (die GWR berichtete). Er fegte über die abgeholzten Wetlands genau auf New Orleans zu. Obschon die ausgebeutete Landschaft dem Sturm keinen nennenswerten Widerstand bot, schwächte er sich auf einen Hurrikan der Stufe 3 ab. Die nur halbherzig evakuierte Stadt wurde nicht besonders geschädigt, sensationsgierige Fernsehsender meldeten, alles sei im grünen Bereich, und wandten sich anderen Themen zu, die Menschen verließen ihre sicheren Unterkünfte, um den Schaden zu begutachten. Dann brachen die maroden Dämme. Ein angrenzender See setzte 80 % der Stadt unter Wasser .

In New York nahm ich an einer Veranstaltung von Betroffenen des Katrina-Desasters teil. Es war ein älteres, weißes, sozialistisches Paar aus der Mittelschicht. Sie berichteten, wie ein Police-Officer ihnen erzählte, wo die Busse zur Evakuierung standen, und sie gingen los, zusammen mit einer immer größer werdenden Menschenmenge von armen Afro-Americans, die bei ihrer Flucht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen seien.

Schließlich erreichten sie das Viertel, in dem die Busse bereitstanden, sie hätten nur noch eine Straße überqueren müssen, doch das Viertel wurde von schwer bewaffneten Polizisten bewacht, und als die beiden fragten, ob das die Busse seien, befahl ein Polizist ihnen, schnellstmöglich zu verschwinden, und schoss zur Warnung über ihre Köpfe. Sie berichteten aber auch von der Solidarität untereinander, der Gegenseitigen Hilfe, welche die Medienberichte über ein unregierbares New Orleans ad absurdum führte.

Als der Bericht zu Ende war, sah ich viele verweinte Gesichter, und es meldeten sich einige jüngere Menschen zu Wort, die noch vor kurzem in New Orleans waren und dort an einer Hilfsorganisation teilgenommen hatten.

Immer wieder fiel der Name „Common Ground“, und es flossen noch einige Tränen aus Wut, Entsetzen und Trauer über die Regierungspolitik und deren Folgen. Ich hatte gedacht, mich mit der Problematik auszukennen, und sowieso vorgehabt, nach New Orleans zu fliegen. Nun hatte ich auch eine klare Adresse.

Zwei Wochen später am Informationsschalter des Fughafens wurde davor gewarnt, in Midtown alleine herumzulaufen.

Skeptisch nahm ich den Shuttle-Service und wurde auch vom Fahrer gewarnt, nicht alleine herum zu laufen. Er machte eine kleine Extratour durch Midtown, um die verheerenden Auswirkungen der Flut zu zeigen. Das Wasser stand vier Tage lang zwei Meter hoch. An den umknickten Straßenschildern, den Wänden der verfallenden Häuser zog sich eine gerade kalte Linie, die noch immer den Wasserstand anzeigte.

Schließlich erreichten wir das Hostel. Es war renoviert und super schön. Ein Bilderbuch-Hippie-Hostel, welches dem Beinamen New Orleans, „The Big Easy“, alle Ehre machte. Als ich mich erkundigte, ob es hier wirklich so gefährlich sei, reagierten die Leute vom Hostel ungehalten. Ja, es gab mal ein Gangsterhaus hier in der Straße, aber die sind weg, genau wie alle anderen weg sind. Es sei nun ungefährlich.

In der sogenannten Streetcar unterhielt ich mich auf dem Weg zum French-Quarter mit jemanden, der vor zwei Jahren von New York nach New Orleans gezogen ist und nun nach der Katastrophe im Hostel wohnt und arbeitet. Ich befragte ihn über Common Ground, und er meinte, wenn ich darüber etwas erfahren möchte, sollte ich dort doch mitarbeiten. Ich war skeptisch, schließlich ging mein Flieger in ein paar Tagen, würde sich es da lohnen, dort mitzuarbeiten?

Das French-Quarter wirkte auf mich ein wenig wie Amsterdam oder Sankt Pauli, nur karibischer. In allen Läden gab es T-Shirts mit der Aufschrift „Another F…-Word with four Letters: FEMA“. FEMA ist die nationale Katastrophenschutz-Organisation, die für ihre Arbeit nach dem 11.9. noch hoch gelobt wurde, danach aber der Homeland-Security unterstellt wurde und während des Katrina-Desasters auf ganzer Linie versagte.

Das French-Quarter war nett, wenn auch ziemlich leer. Von hier war es nicht mehr weit bis zum Bluehouse, welches mein Anlaufpunkt für Common Ground bildete. Allerdings wurde ich gewarnt – schon wieder -, dass ich in der Gegend, in der sich das Bluehouse befindet, im „Lower 9th Ward“, nicht alleine herumspazieren sollte.

Ich nahm einen Bus, stieg an der Stelle, die mein Stadtplan für richtig befand, hinter der großen Brücke aus und fragte noch jemanden nach dem Haus. Er kannte das Haus, wusste gleich, dass ich zu Common Ground wollte, und war mir gegenüber freundlich. Es war trostlos, alle Häuser waren zerstört. Vereinzelt gab es Schilder und Graffities: „No Bulldozing! We come back!“ An einigen Häuser wurde gearbeitet. Ich irrte herum und fand die richtige Straße nicht, lief schließlich den Damm entlang, von dem ich nachher hörte, dass dies die Stelle war, wo er zuerst gebrochen ist. Nachdem ich drei Stunden durch das zerstörte Viertel lief, begriff ich allmählich das Ausmaß der Zerstörung. Von ehemals 20.000 EinwohnerInnen waren nach einem Jahr nur etwa 1.000 zurückgekehrt. Irgendwann sah ich zwischen den Trümmern Kinderspielzeug, Stofftiere und begann hemmungslos zu weinen, war ja keiner da, vor dem ich mich schämen müsste. Gleichzeitig fasste ich den Entschluss, etwas tun zu wollen, bei Common Grounds als Volunteer, als Freiwilliger zu arbeiten, wenn sich dies einrichten ließ.

Beim Bluehouse, einer Einrichtung von Common Ground, war ich falsch und bekam die Adresse von St. Marys, einer ehemaligen Schule, die Common Ground sich als Quartier eingerichtet hatte. Die Leute dort waren sehr nett, jung und freakig, wie auf einem anarchistischem Sommercamp. Ja, klar könnte ich mitarbeiten, auch wenn es nur für eine Woche sei. Ich wurde gefragt, was ich gerne machen würde, ob ich Allergien hätte, bekam einige Broschüren und sollte am nächsten Morgen da sein, da würde es eine Einführung für Neue geben.

Insgesamt waren 250 Leute in St. Marys, untergebracht in verschiedenen Schlafräumen in Mehretagenbetten. Es gab auch Frauenschlafräume, überhaupt wurde das Thema Gender bei der Einführung mehrmals angesprochen, eine kurze Einführung, was unter einem sexuellen Übergriff zu verstehen sei, dass dieser nicht geduldet werde und Hinweise auf das Anti-Sexismus-Plenum, welches ebenso wie das Anti-Rassismus-Plenum wöchentlich stattfinde. Bei der Einführung ging es auch um die Geschichte der Stadt, um den Rassismus, die erfolgreichen Kämpfe der Black Panther in den 1970er Jahren. Auch Malik Rahim, der Mitbegründer von Common Ground, war Black Panther. Er war es, der unmittelbar nach der Flut Decken und Lebensmittel organisierte, die erste Freie Klinik aufbaute, Graswurzelarbeit im besten Sinne leistete.

Seitdem ist Common Ground kontinuierlich gewachsen, trotz der Behinderungen durch Polizei und National Guard, die laufend Mitglieder von Common Ground wegen Bagatellen verhaften. Auch hier wurden wir wieder gewarnt, doch diesmal nicht so sehr wegen der Gangster, sondern wegen der Polizeikontrollen.

Common Ground ist ein politisches Projekt. Oberstes Ziel ist die Rückkehr der noch immer 250.000 „Residents“ in die ehemals 460.000-EinwohnerInnen-Stadt. Allerdings will Common Grounds ein anderes New Orleans, ein antirassistisches, ein ökologisches New Orleans.

So gibt es auch draußen in den Wetlands viele Ökoprojekte, die unter anderem die wegen der Klimakatastrophe stärker werdenden Hurrikans abbremsen sollen. Um die Rückkehr der Residents zu erreichen, ist neben der Hilfe bei Verwaltungsfragen, der Hilfe zur Selbsthilfe beim Wiederaufbau der Häuser („Solidarity not Charity!“) ebenso die Schaffung von Gemeinschaft wichtig. Common Ground realisiert täglich Nachbarschaftsküchen.

Wir wurden in Kleingruppen eingeteilt, und unsere erste Aufgabe bestand im Putzen der Gemeinschaftsräume. Ich konnte mir dadurch einen Überblick verschaffen und auch die strengen Hygiene-Richtlinien kennen lernen. Obwohl die Seuchengefahr weitgehend gebannt ist und das Leitungswasser inzwischen zum Zähneputzen benutzt werden darf, sind die Häuser, in denen tagelang das vergiftete Wasser stand, mit Vorsicht zu genießen. Da ich meine Arbeit am „Independance Day“ begann, war der Nachmittag frei. Ich ging mit anderen zu der Demo nach St. Bernard.

St. Bernard ist eine Siedlung, in der ehemals 3.000 Menschen gewohnt haben. Nun ist sie eingezäunt und soll abgerissen werden. Vor dem Zaun zelten seit Monaten ehemalige BewohnerInnen, die den Erhalt und ein Rückkehrrecht einfordern.

Es geht das Gerücht um, dass das Areal von den ehemaligen BewohnerInnen gestürmt wird. Doch es blieb bei einer lautstarken Demo, unter anderem, weil ein Bus mit ehemaligen BewohnerInnen nicht ankam. Siedlungen wie diese gibt es viele. Die Wohnbau-Gesellschaften wollen Geschäfte machen mit „Mixed Income Areas“. Es ist klar, dass die „Residents“ sich dies nicht leisten können.

Am nächsten Morgen bin ich in einem dieser Häuser. Geweckt wurde um halb sechs. Um sechs gab es Essen, um sieben Uhr Einsatzbesprechung, draußen auf der Treppe vor der Schule. Wir holten aus dem Materiallager unsere Sachen: Atemmaske, Einweg-Overall, Handschuhe, Gummistiefel, Schutzbrille und Stemmeisen, Schaufeln, Schubkarren, Hämmer…

Mit dem Pickup ging’s los, hinten auf der Ladefläche. Die Leute sind cool und freundlich. Die Arbeit ist verdammt hart. Es ist heiß und feucht. Das Haus ist bereits entrümpelt, wir müssen die Innenverkleidung rausreißen, die Fußböden, Decken- und Wandverkleidungen. Wenn das Haus entkernt ist, sind die BewohnerInnen dran. Common Ground hat keine Ressourcen, Häuser vollständig zu sanieren.

Am zweiten Tag mache ich bereits schlapp. Eine leichte Allergie, meine Nase läuft ununterbrochen und dann das Klima. Ich schütte einen Becher Schweiß aus meinen Gummistiefeln aus…

Am Samstag arbeitete ich in der Martin Luther King-Schule, das Erdgeschoss war überflutet, aber die Klassenzimmer in der oberen Etage waren einwandfrei, die Zimmer waren so, wie sie verlassen wurden. Unterrichtsbücher auf den Tischen, überall voll funktionsfähige Computer (von wegen Plünderungen!).

Eine Schule für Kinder aus der schwarzen Community, die nicht zufällig Martin-Luther-King-Schule heißt.

Als das erstemal Leute von Common Ground reingingen, um die Schule zu sanieren, wollte die Polizei sie verhaften. Die Repräsentanten der Stadt denken gar nicht daran, die Schule wieder zu eröffnen, obwohl die Klassen der anderen Schulen überfüllt sind und einige Kinder seit einem Jahr nicht zur Schule gegangen sind.

Das Letzte, was ich von New Orleans hörte, war die Erfolgsmeldung, dass der Superdom saniert wurde, wofür mehrere Millionen Dollar zur Verfügung gestellt wurden. Die Herrschenden wollen ein anderes New Orleans – Common Ground auch.

Anmerkungen

Die Graswurzelgruppe Common Ground unterhält 26 Projekte, hierunter 4 Freie Kliniken. Sie ist auf Spenden und Mitarbeit angewiesen. Inzwischen haben über 10.000 Freiwillige mitgearbeitet.

Die Adresse im Internet lautet: www.Commongroundrelief.org