Nachdem RWE eine Laufzeitverlängerung für das Atomkraftwerk Biblis A beantragt hatte, haben neun Umweltverbände, VerbraucherInnenschutzorganisationen und Anti-Atom-Initiativen mit der Kampagne "Atomausstieg selber machen" reagiert. Damit sollen in erster Linie private Haushalte zu einem Stromanbieterwechsel bewegt werden. 5 Minuten und der Atomausstieg ist perfekt. Aber geht die Rechnung auf?
Der Atomausstieg ist beschlossene Sache – eine Überzeugung, die wahrscheinlich immer noch ein Großteil der deutschen Bevölkerung teilt. Mit dem Antrag auf Laufzeitverlängerung für das 1975 in Betrieb genommene und damit in Deutschlands älteste Atomkraftwerk (AKW) Biblis A hat der Energiekonzern RWE noch einmal verdeutlicht, dass der „Atomkonsens“ nichts mit Atomausstieg zu tun hat. Bei der 2000 beschlossenen Vereinbarung war von Anfang an klar, dass es sich weder um einen Konsens noch um einen Atomausstieg handeln würde. Geeinigt hatten sich die Regierung und die Atomkonzerne, der Großteil der Bevölkerung blieb außen vor. Musste er auch, denn gut zwei Drittel der Deutschen lehnt Atomkraft ab, und wie sollten sich diese Menschen mit einem Abkommen zufrieden geben, dass den Weiterbetrieb von zahlreichen AKWs sichert und nicht rechtlich verbindlich ist?
Um die Lüge vom Atomausstieg ein bisschen glaubhafter zu machen, wurden inzwischen die AKWs Stade und Obrigheim vom Netz genommen. Die Anti-Atom-Bewegung wurde durch das Märchen vom beschlossenen Ausstieg soweit geschwächt, dass inzwischen wieder verstärkt offen über eine Renaissance der Atomkraft diskutiert wird. Sprach der e.on-Vorstandsvorsitzende Wulf Bernotat 2004 noch davon, dass er zur „Kernenergie-Verständigung mit der Bundesregierung“ stehe, hieß es 2006 schon: „Wir können weder ökonomische noch ökologische Fragen sinnvoll diskutieren, wenn wir die Kernkraft ausklammern.“ Mindestens genauso diplomatisch drückt sich Utz Claaßen, Vorstandsvorsitzender von Energie Baden-Württemberg (EnBW), aus: „Aus meiner Sicht geht es nicht um einen Ausstieg aus dem Ausstieg. Mir geht es darum, die Modalitäten des Ausstiegs an veränderte globale Entwicklungen anzupassen und den Konsens dadurch zukunftsfähig zu machen.“ Na, dann wollen wir den „Konsens“ doch mal zukunftsfähig machen.
Sind mit veränderten globalen Entwicklungen erhöhte Risiken von Terroranschlägen gemeint? Aber auch ohne die Gefahr eines Terroranschlags auf ein AKW kann Atomkraft niemals zukunftsfähig sein, da der Müll die Erde für Jahrmillionen verstrahlt und es keinen Ort gibt, an dem er sicher gelagert werden könnte. Zukunftsfähig wird der Konsens nur dann, wenn er einen sofortigen Atomausstieg vorschreibt. Bei solch einer „laschen“ Vereinbarung war abzusehen, dass sich die Atomkonzerne darum drücken werden, ihre moralische Verpflichtung einzuhalten. Dies hat sich in letzter Zeit abgezeichnet, und nur so ist zu erklären, warum von Seiten der Umweltverbände so prompt und in einem großen Bündnis auf die faktische Aufkündigung des „Atomkonsens“ reagiert werden konnte. Die Beantragung einer Laufzeitverlängerung für Biblis A ist aber nicht der einzige Fall, auch Brunsbüttel und Neckarwestheim 1 sollen es noch bis zur nächsten Bundestagswahl schaffen – und danach eventuell auf unbestimmte Zeit weiterlaufen.
Die Kampagne „Atomausstieg selber machen“ wird getragen vom Bund der Energieverbraucher, BUND, NABU, IPPNW, Deutschen Naturschutzring, von der Deutschen Umwelthilfe, von Greenpeace, Robin Wood und X-tausendmal quer – inzwischen sind auch noch der WWF, die Grüne Liga, der BBU, urgewald und das Forum Umwelt und Entwicklung hinzugekommen. Mit ihrer Kampagne wollen die Organisationen einen massenhaften Wechsel zu Ökostromanbietern erreichen.
Der Wechsel zu Ökostrom sei bisher eher „Gewissensberuhigung“ bzw. Privatsache gewesen, nun solle er als eine politische Aktion verstanden werden. Den großen Stromkonzernen soll gezeigt werden, dass die Bevölkerung nicht bereit ist, Atomstrom zu beziehen.
Dabei ist fraglich, ob dies wirklich ein neuer Aspekt ist. Es ist doch eher unwahrscheinlich, dass die Menschen, die bereits zu einem Ökostromanbieter gewechselt sind, dies nicht auch als eine politische Aktion angesehen haben. Neu ist allerdings, dass ein größeres Bündnis zu dem Wechsel aufruft – die Organisationen repräsentieren gemeinsam nach eigenen Angaben mehrere Millionen Mitglieder.
In Gorleben wurde diese Kampagne als „effektivste Unterschriftenliste gegen Atomkraft“ bezeichnet. Vielleicht ist sie das tatsächlich – trotzdem sollte dies nicht über die problematischen Seiten solch einer „Unterschriftenliste“ hinwegtäuschen. Hat bei der klassischen Unterschriftenliste jede Stimme – zumindest theoretisch – das gleiche Gewicht, so zeigt sich hier deutlich, wer das Sagen hat: die Leute und Unternehmen mit dem Geld.
Außerdem wendet sich die Kampagne letzten Endes an die Konzerne, und selbst wenn die Mehrheit der Bevölkerung auf Ökostrom umsteigt, ist das noch keine Garantie dafür, dass nicht noch weiterhin Atomstrom produziert wird.
Weitere Kritikpunkte an der Kampagne formuliert das Anti-Atom-Plenum Berlin. So wird in einem Offenen Brief die Frage aufgeworfen, ob tatsächlich die VerbraucherInnen schuld seien, dass es bisher keinen Atomausstieg gebe. Obwohl dies etwas überspitzt formuliert ist, weist die Kritik doch in die richtige Richtung. Die Kampagne setze auf „moralisierende Appelle an Verbraucher_innen“, „weg von direkter und konfrontativer Kritik an den Atomkonzernen“.
Es kann natürlich problematisch werden, wenn die Kampagne so verstanden wird, dass es an den VerbraucherInnen läge, dass die Atomkraftwerke immer noch nicht abgeschaltet sind.
Dennoch kann nicht davon die Rede sein, dass die Kampagne keine Kritik an den Atomkonzernen übt. Dies tut sie ausreichend. Aber vielleicht sind das ja auch die falschen „Ansprechpartner“. Wer kann es den Konzernen schon verübeln, nach dem maximalen Profit zu streben?
Das gehört zum Kapitalismus dazu. Ein Herumgenörgel am „moralischen Versagen der Spitzenmanager“ seitens des Naturschutzbundes (NABU) wirkt da etwas naiv.
Ein weiterer Kritikpunkt des Anti-Atom-Plenums ist die starke Fokussierung auf private Haushalte, obwohl die Industrie die Atomkraft nicht unerheblich nutzt.
Obwohl die Kampagne offiziell vorgibt, einen Wechsel bei privaten Haushalten, Gewerbe und Unternehmen herbeiführen zu wollen (was sie sicherlich auch wollen), ist an anderen Stellen nur von privaten Haushalten die Rede. Auch die „5 Minuten“, die der Atomausstieg kosten soll, sind in einem Unternehmen wohl eher unrealistisch.
Die „5-Minuten-Formel“ wird vom Anti-Atom-Plenum ebenfalls kritisiert. Es entstehe „bestenfalls die Simulation einer politischen Intervention“. Die These, dass ein Wechsel zu einem Ökostromanbieter keine politische Intervention sei, ist sicherlich streitbar, immerhin wird damit eine Veränderung bewirkt, die Einfluss auf die Energieerzeugung hat. Dennoch wird mit dieser Kritik zutreffend zum Ausdruck gebracht, dass die Gefahr besteht, dass politische Intervention auf diese Art beschränkt bleibt.
Eine generelle Kritik an dem Versuch, die Atomkonzerne mit den Mitteln des Marktes zu schlagen, bleibt in dem Offenen Brief des Anti-Atom-Plenums nicht aus; dass dies in der Tat problematisch ist, wurde schon gezeigt.
Nach so viel Kritik heißt es am Ende, sie solle „nicht als vernichtende, sondern als solidarische und neugierige Kritik“ verstanden werden. Wie das möglich sein soll, wo doch kaum ein gutes Wort an der Kampagne gelassen wurde, ist fraglich.
Für das Anti-Atom-Plenum ist Atomausstieg immer noch Handarbeit – z.B. im Wendland. Aber auch dort wurde schon für die Kampagne geworben – z.B. bei den PolizistInnen.
Wenn diese den Atomausstieg selber machen, bräuchten sie vielleicht nächstes Jahr nicht so viele unbezahlte Überstunden leisten.
Dass dies nicht ganz so einfach ist, haben wir gesehen.
Nichtsdestotrotz ist der Wechsel zu einem Ökostromanbieter eine der Methoden, um den Atomausstieg voranzubringen.
Wenn man das erkannt hat, sollte man auch nicht lange zögern und wechseln – und dazu bietet die Internetseite „Atomausstieg selber machen“ wirklich gute Hinweise und Tipps.
Weitere Infos
Mehr Infos zur Kampagne "Atomausstieg selber machen" gibt es unter
www.atomausstieg-selber-machen.de
Die Kritik des Berliner Anti-Atom-Plenums findet sich unter