Die Rechtfertigungsstrategie der katholischen Kirche Spaniens für ihre unrühmliche Verwicklung in den Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) und die Diktatur Francos (1939-1975) besteht darin, dass sie 1936 unschuldig Opfer blutiger Verfolgung geworden sei und keine andere Wahl gehabt habe, als sich zu verteidigen. Wissenschaftliche Erkenntnisse, wie etwa, dass sich namhafte Kirchenführer schon vor Beginn der Verfolgungen klar auf Seiten Francos positionierten, haben diese Strategie nicht erschüttern können. Die gesamte Argumentation des konservativen Klerus leitet sich her von dieser Grundbehauptung: Nein, man habe sich niemals "politisch betätigt"; ja, extreme Gewalt sei notwendig gewesen usw. Seligsprechungen "spanischer Märtyrer" durch den Vatikan beglaubigten bisher diese Lebenslüge der spanischen Kirche. Das könnte sich ändern.
Seit dem 14. Juni 1990 ist in Rom ein Seligsprechungsverfahren für den baskischen Priester Aita Patxi im Gange, beantragt vom Erzbistum Bilbao. Aita Patxi war kein „Märtyrer des Bürgerkriegs“. Er starb am 6. August 1974 in einem Krankenhaus in Basurto (Bilbao). Aber Aita Patxi war auch kein Parteigänger Francos. Er stand, als Katholik und Baske, auf Seiten der Republik, der baskischen Milizen, Kommunisten, Sozialisten und Anarchisten. Seine Seligsprechung könnte – sollte sie im Laufe der nächsten Jahrzehnte (!) tatsächlich vorgenommen werden – die Rechtfertigungsstrategie der spanischen Kirche mehr ins Wanken bringen als etliche Meter wissenschaftlicher Literatur.
Der katalanische Kirchenhistoriker Hilari Raguer hat Aita Patxi mit einer jüngst veröffentlichten Biographie (Aita Patxi. Prisionero con los Guardis [‚Aita Patxi. Gefangener mit den baskischen Milizen‘] Barcelona (Claret) 2006) ein Denkmal gesetzt. Gewiss: Auch Raguer ist, bei allen wissenschaftlichen Meriten, ein Mann der Kirche. Die Zeugnisse aber, die er für seine Biographie zusammengetragen hat, hat er mit größter Sorgfalt überprüft. Sie dürften selbst von hartgesottenen Kirchenfeinden kaum ohne Anteilnahme gelesen werden.
Familie und geistliche Laufbahn
Geboren wird Aita Patxi als Victoriano Gondra Muruaga am 5. März 1910 in Líbano de Arrieta in der Provinz Viskaya. Seine Eltern sind Landarbeiter, nicht arm, aber auch nicht reich. Zuhause sprechen Vater Buenaventura und Mutter Benita mit ihren neun Kindern nur Baskisch. Beide sind gläubige Katholiken – nichts Ungewöhnliches im Baskenland. Die Basken galten damals als „Volk, dem in Europa an Frömmigkeit keines gleichkommt“. Der Grund, so wurde gescherzt, liege darin, dass der Teufel sie nie habe in Versuchung führen können – die baskische Sprache sei nun einmal zu schwierig für den Teufel.
Mit 16 Jahren tritt Victoriano, wie sein älterer Bruder Eusebio, der Congregación de la Pasión de Jesucristo bei, dem Orden der Passionisten. Nach klösterlicher Tradition markiert der Beginn des Noviziats auch den Beginn eines neuen Lebens: Die jungen Novizen legen in einer feierlichen Zeremonie erstmals die Kleidung ihres Ordens an und geben ihren bürgerlichen Namen auf. Victoriano hört von nun an auf den Namen Francisco de la Pasión, später zu „Padre Francisco“ [‚Pater Francisco‘] verkürzt – auf baskisch: Aita Patxi.
Das Noviziat ist für ihn kein Spaziergang: Die Umgangssprache im Kloster ist Spanisch, und das altertümliche Baskisch der jungen Bauernsöhne bei Lehrern nicht wohlgelitten.
Die Verhaltensregeln sind streng. Zeit seines Lebens wird Aita Patxi die Augen niedergeschlagen halten, denn für Passionisten gilt selbst ein Blick auf die Schönheit der Natur als unzulässiges Nachgeben gegenüber sündigem Verlangen. Der junge Novize hat mit diesen Vorschriften jedoch kein Problem – im Gegenteil.
Mit Strenge wacht er über jedes seiner Worte, jede seiner Regungen und Taten. Nie macht er dafür anderen, die die Regeln weit lockerer auslegen, Vorhaltungen. Schon für den jungen Aita Patxi ist Glaube keine Frage schöner Worte oder fingerschaukelnder Belehrungen, sondern des eigenen, gelebten Lebens.
Wenn ihn jemand fragt, was sein Ziel im Leben sei, antwortet er: „Das Martyrium“. Er erntet mehrheitlich Kopfschütteln.
Die Basken im Spanischen Bürgerkrieg
Am 18. Juli 1936 putscht in Spanien eine abtrünnige Militärjunta um General Franco gegen die II. Republik. Auf gut zwei Dritteln des Territoriums wird der Putsch durch loyale Truppen und Polizeikräften, vor allem aber durch den entschlossenen Widerstand der organisierten Arbeiterschaft vereitelt. Es folgt ein dreijähriger Bürgerkrieg. Auch im Baskenland scheitert der Putsch. Er teilt die Region in zwei Hälften. Die mehrheitlich im Partido Nacional Vasco (PNV) [‚Baskische Nationale Partei‘] organisierten, katholisch-konservativen Nationalisten hatten bis dahin kaum Verbindung zur Volksfrontregierung in Madrid.
Erst die Attacke General Molas von Pamplona aus gegen Bilbao, der extreme Baskenhass der Putschisten und ein eilig verabschiedetes Autonomiestatut machen sie zu Kampfgefährten der Republik. Der Widerstand der Basken wird für die Franco-Propaganda zum Problem: International lässt Franco mit Hilfe des mächtigen Primas von Spanien, Kardinal Isidro Gomá y Tomás, den Bürgerkrieg als „Kreuzzug“ zur Verteidigung des christlichen Glaubens darstellen.
Dass sich ausgerechnet die Basken, das „katholischste Volk Europas“, mit Waffen gegen ihre „Verteidiger“ verteidigen, passt nicht recht ins Bild.
Das Bataillon „Rebelión de la Sal“
Im Dezember 1936 werden die baskischen Reservisten von 1931 mobilisiert. Zu ihnen gehört Aita Patxi. Angesichts des bunten Panoramas politischer Zugehörigkeiten auf republikanischer Seite dürfen sich Rekruten die Einheit auswählen, in der sie kämpfen werden. Zur Wahl stehen Kommunisten, Anarchisten, Sozialisten und baskische Nationalisten. Aita Patxi gehört zum Bataillon „Rebelión de la Sal“ [‚Salzrebellion‘] des PNV. Der Name – heute würde man am ehesten an Ghandis „Salzmarsch“ denken – spielt an auf eine Auseinandersetzung baskischer Fürsten mit dem mächtigen Conde-Duque de Olivares aus dem Jahre 1631. Die Bataillone der unterschiedlichen politischen Fraktionen liegen an der Front mitunter nur wenige Meter voneinander entfernt. Und nicht alle sind von der Anwesenheit eines Priesters begeistert.
In dieser keineswegs ungefährlichen Situation ist es wohl die menschliche Größe Aita Patxis, die ihm den Respekt und schließlich sogar die Zuneigung jener verschafft, die am liebsten von jeder Laterne einen Priester hätten baumeln sehen.
„Er war sehr menschlich“, erzählt Telleria’tar Bitoren, der mit Aita Patxi im selben Bataillon gekämpft hat: „Er wollte allen Gutes tun, gleichgültig, ob er einen ‚Roten‘ oder ‚Nicht-Roten‘ vor sich hatte“ (S.99).
Die „apostolische Zigarette“
Aita Patxi ist unermüdlich unterwegs. Wenn einmal die Waffen schweigen, klettert er von Schützengraben zu Schützengraben, um mit den Soldaten zu sprechen, ihnen Mut zu machen oder mit ihnen den Rosenkranz zu beten. Für den Umgang mit kirchenfeindlichen Bataillonen hat er sich einen besonderen Kniff ausgedacht, den seine Kameraden spöttisch „die apostolische Zigarette“ getauft haben.
Aita Patxi, als Passionist natürlich Nichtraucher, verschenkt seine Tabakration an anarchistische und kommunistische Milizionäre, die für den Moment ihre Gewehre beiseite stellen, lachen und scherzen mit einem Priester, den sie ansonsten wohl fortgeschickt hätten (bestenfalls).
Manche bringt er soweit, ebenfalls mit ihm den Rosenkranz zu beten, und einer Reihe von Anarchisten nimmt er – mehrere Zeugen bestätigen es – sogar die Beichte ab (!). Aber Aita Patxi ist kein Eiferer: Wer von seinem Glauben und seinen Gebeten nichts wissen will, dessen Wunsch respektiert er widerspruchslos. Sein Verhalten gegenüber solch „Gottlosen“ ändert sich deswegen nicht.
Wenn es darum geht, Leidensgefährten zu helfen, ihnen eine Freude zu machen oder das Leben zu erleichtern, kennt Aita Patxi keine Müdigkeit – und keine Kirchenregeln: „Er gab sich nicht damit zufrieden, sich nur um unser Seelenheil zu kümmern“, erinnern sich Jahre später einige seiner Mitkämpfer: „[…] Ein paar Bücher hat er uns gebracht, baskische Bücher […]. Eins war besonders lustig und unterhaltsam, voller Anekdoten und komischer Geschichten. Wir haben gelacht und uns ganz prächtig amüsiert. Aita Patxi war glücklich, dass wir uns so freuten. […] Wenn es beim Essen einmal Streit gab, weil sie manchen mehr gegeben haben als anderen, teilte Aita Patxi sein Essen mit denen, die meinten, zu kurz gekommen zu sein. […] Er hat sich auch oft um die Verletzten der kommunistischen Bataillone gekümmert, die in unserer Nähe lagen. Einige sind konvertiert. Sie haben gesagt: Der Glaube von diesem da ist aufrichtig. Diesem Menschen muss man einfach glauben“ (S.96, 99, 100).
Priester mit Kreuz gegen Priester mit Pistole
Aita Patxi lehnt während des gesamten, äußerst grausamen und blutigen Krieges um das Baskenland jede persönliche Vergünstigung für sich ab. Er wird Zeuge der Zerstörung Guernikas. Manche der Schlachtenschilderungen, die Hilari Raguer für seine Biographie zusammengetragen hat, gehen in ihrer Grausamkeit an die Grenzen der Vorstellungskraft.
Aita Patxi, klein, schmächtig, alles andere als ein Hüne, teilt das Leben der einfachen Soldaten. Wenn es in den Kampf geht, marschiert er – immer unbewaffnet – am Kopf der Kolonne.
Und wenn sich die Truppe unter den mörderischen Bomben der deutschen Legion Kondor zurückziehen muss, ist er immer der letzte. Oft hängt ihm dann am einen Arm ein Koffer mit tragbarem Altar (27 Kilo schwer!), den er wohl nur hergegeben hätte, wenn man ihm den Arm abgeschlagen hätte. Mit dem anderen stützt er einen Verletzten, dessen Rucksack und Gewehr er auch noch schleppt und den er nicht im Stich lässt, selbst, wenn die Bombensplitter ihnen um die Ohren fliegen oder die Schreie der Verfolger näher kommen. Bei einer dieser Fluchten gerät Aita Patxi schließlich am 13. Juni 1937 in franquistische Gefangenschaft.
Gefangen nimmt ihn – Ironie des Schicksals – ausgerechnet ein katholischer Priester, mit vorgehaltener Pistole. Aita Patxis Entsetzen, einen Glaubensbruder mit gezogener Waffen zu sehen, wird nur von der Wut der Franquisten übertroffen, dass ein Pfarrer sich mit den „Roten“ gemein machen konnte. Seine Irrfahrt durch Francos Konzentrationslager und Strafarbeitsbataillone beginnt.
Mein Leben für sein Leben
Im Konzentrationslager von San Pedro de Cardeña vollbringt Aita Patxi im Juli 1937 seine vielleicht mutigste Tat; jene, die ihn in Rom formal zu einem „Kandidaten“ der Seligkeit gemacht hat. Wie genau sie sich abspielt, ist unter Zeugen umstritten.
Die wesentlichen Tatsachen aber fügen sich zusammen: Einem Häftling, weder Baske noch Katholik, sondern ein kommunistischer Bergarbeiter aus Asturien, gelingt die Flucht. Er wird in einer benachbarten Ortschaft aufgegriffen. Ohne viel Federlesen verurteilt man ihn zum Tode.
Als sich ihm der Lagerkaplan nähert, um ihm in der letzten Nacht seines Lebens beizustehen, schickt der Asturier ihn mit rüden Worten fort. Kein Wunder: Der Kaplan ist nationalkatholischer Frömmler, Parteigänger Francos vom Kopf bis zu den Zehen, und hat für die Gefangenen nur Verachtung übrig.
Der Kommandant bittet daraufhin den Häftling Aita Patxi, sein Glück zu versuchen. Der bleibt die Nacht über bei dem Bergarbeiter und spricht mit ihm, über sein Leben, seine Ideen, seine Familie. Allmählich kommt Aita Patxi der Gedanke, dass er mehr für diesen Unglücklichen tun könne, als ihm spirituellen Beistand zu leisten: „Ich wollte diesen armen Menschen vom Tod erlösen“, schreibt er in seinen Aufzeichnungen, „und fragte den Sergeanten, ob nicht ich an seiner Stelle erschossen werden könnte. Der ging sichtlich verwirrt zum Kommandanten und erzählte ihm alles.
Auch der Kommandant wird sich nicht wenig gewundert haben“ (S.146). Er lässt Aita Patxi mitteilen, über dessen „ungewöhnliches Angebot“ nicht allein entscheiden zu können.
Die Militärkommandantur in Burgos sei informiert worden. Aita Patxi bedankt sich höflich und kehrt in seine Baracke zurück. Früh morgens wird er von Bewaffneten unsanft wachgerüttelt. Man führt ihn vor den Kommandanten. Der teilt ihm knapp und kalt mit, die Junta in Burgos habe seinem Ersuchen stattgegeben.
Eine Lüge: Der Kommandant will „nur“ die Entschlossenheit des kleinen Pfarrers auf die Probe stellen. Aita Patxi erbleicht, sammelt sich kurz, lächelt dann und erklärt, er sei bereit.
Er wird auf den Appellplatz geführt. Zahlreiche Häftlinge werden Zeuge, wie Aita Patxi sich aufrecht an die Wand stellt. Vor das Exekutionspeleton.
Für einen tief gläubigen Passionisten hat der Tod keinen Schrecken. Sein Leben für andere zu geben (noch dazu für Menschen mit Familie) ist das Höchste, was er in diesem Leben erreichen kann.
Der Kommandant steht, sichtlich verwirrt, neben seinen Schützen. Endlich brüllt er über den Platz: „Pater, verschwinden Sie da!“ (S.150).
Am nächsten morgen wird der asturische Bergmann erschossen. Für Aita Patxi – nach eigenen Worten – der schwärzeste Tag seines Lebens.
Ein mutiger Mensch
Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wie sich Aita Patxi verhalten hätte, wäre er kein bis zur Starrköpfigkeit überzeugter Mann des Glaubens gewesen.
Er war ein Mann des Glaubens, und im Grunde ist es gleichgültig, aus welcher Quelle Menschen Kraft für ihre Taten schöpfen. Wie diese Taten aussehen, ist entscheidend. Aita Patxi verstand seine Aufgabe als Priester in einer Weise, die 80-90% seiner Glaubensbrüder vor Scham im Boden hätte versinken lassen müssen.
Der schüchterne und wortkarge Priester sprach, so Raguer, mit seinen Taten „eine Sprache, die alle Menschen verstehen, die zu jedem Menschen durchdringt und die darum der beste Dienst ist, den ein Christ an seinem Glauben leisten kann“ (S.98).
Schon 1977 versammelten sich ehemalige Mitkämpfer und Mithäftlinge Aita Patxis in Deusto, um ihrem Pfarrer Ehre zu erweisen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass – sollte sich diesmal der Vatikan ein wenig beeilen – sich auch auf dem Petersplatz manch linkes Knie beugen wird.
Wie die katholische Kirche Spaniens und nicht zuletzt der Vatikan selber mit den politischen Konsequenzen der Seligsprechung des ersten republiktreuen Priesters umgehen werden, wird man dann erleben.
Denn während man in Rom die Seligsprechung Aitas Patxis vermutlich als Beweis ins Feld führen wird, mittels Seligsprechungen habe man nie Politik machen wollen (eine Behauptung, die gehöriges Stirnrunzeln verursachen sollte), werden liberale Katholiken in Spanien die Anerkennung der Lebensleistung Aita Patxis zu einem Politikum machen, das Bewegung bringen könnte in die festgefahrene Diskussion um die historische Verantwortung ihrer Kirche.
Literatur
Raguer, Hilari, Aita Patxi. Prisionero con los guardis, Barcelona (Claret) 2006 (Punto de encuentro, 14), 303 Seiten