Es ist ein sonniger Samstagnachmittag in Paris. Abseits betriebsamer Einkaufsstraßen schleichen drei junge Männer durch den V. Bezirk. Vor einem ansehnlichen Gebäude machen sie halt und schauen sich um. Es kommt keiner. Blitzartig laufen sie die Strasse wieder zurück. Ihr Verhalten hat etwas Krimihaftes. Eine Strasse weiter empfängt sie eine andere Gruppe mit den Worten: "Der Weg ist frei, los". Mit fieberhaften Armbewegungen zeigen sie in eine Richtung. PassantInnen wissen nicht, ob sie um Hilfe schreien oder lachen sollten.
Die AktivistInnen von „Jeudis noirs du logement“, der Bewegung Schwarzer Mietdonnerstag, versuchen, schwarze Luftballons, Sektflaschen und Papp-Schilder zu verstecken. Dann verschwinden sie hinter einem großen Einfahrtstor. Vor dem Eingang stellen sie eine Tafel auf: „Tagesmenü: 10m² für 500,- Euro“.
In der fünften Etage wird gerade eine sehr kleine, dafür aber sehr teure Wohnung angeboten.
Gleichwohl haben sich mehr als zwanzig Personen für die vom Vermieter organisierte Besichtigung zusammengefunden. Dieser hatte mit disziplinierten Anwärtern gerechnet. Als die AktivistInnen des Schwarzen Donnerstag mit viel Konfetti und Gebrüll die Wohnung stürmen, bleibt der Vermieter sprachlos. Sektkorken knallen. Jemand spielt Musik. Eine fröhliche Menge tanzt.
„Bei der Aktion geht es darum, in einer Wohnung zu feiern, die sich keiner von uns leisten kann“, erklärt Julien, einer der Initiatoren von „Jeudi noirs“
„Damit wollen wir auf die Missstände auf dem Pariser Wohnungsmarkt hinweisen. Es ist ungeheuer schwer, eine anständige Wohnung zu bekommen. Dies trifft insbesondere die Jugend. Als Student oder junger Arbeiter mit Mindestlohn kann man den Vermietern kaum den erforderlichen Einkommensnachweis vorlegen. Dieses Problem betrifft mehrere Tausend Menschen in dieser Stadt und wird dennoch von der Politik ignoriert.“
Seit Ende Oktober versucht die Initiative auf diese Art während Wohnungsbesichtigungen zu protestieren.
Offensichtlich wucherische Inserate in der donnerstags erscheinenden Anzeigezeitung „De particulier à particulier“ waren der Auslöser der Aktion. Der Name verweist auch auf den Börsencrash von 1929, den schwarzen Donnerstag. Mit Luftballons und Sekt wollen die AktivistInnen die französische Wohnspekulationsblase zum Platzen bringen. „Jeudi noir“ ist eine Fortsetzung der Aktionen von „Generation precaire“, die bereits vor einem Jahr auf die prekäre Situation junger ArbeitnehmerInnen und PraktikantInnen aufmerksam gemacht hat.
Dass die Mieten in Paris sehr hoch sind, ist nichts Neues. Seit Ende der 90er Jahre haben sie aber regelmäßig zugenommen. Nach Angaben des Wohnagenturenverbandes sind die Mieten in der Hauptstadt seit 2000 jährlich um 5,8 % gestiegen. Im Juni dieses Jahres musste man durchschnittlich 21,60 Euro pro Quadratmeter bezahlen. Bei den Studios, den Einraumwohnungen, einer beliebten Wohnungskategorie, liegt der Preis noch höher. Je nach Bezirk zwischen 23,- und 28,- Euro/m². Mindestens 700,- Euro beträgt so eine Kaltmiete in einer 30m² Wohnung. In Frankreich wird dennoch nicht von einer „Immobilien-Spekulationsblase“ gesprochen.
In den letzten Jahren haben sich auch die Mietbedingungen verschlechtert
Die Vermieter verlangen bei Vertragsschluss Bescheinigungen über eine Festanstellung mit einem Einkommen in Höhe von drei Monatsmieten sowie zwei Personen als Bürgen für die Miete. Damit werden automatisch viele Personen ausgeschlossen.
Eine Sozialwohnung bekommt man erst nach zwei Jahren Wartezeit. Familien und Personen mit niedrigen Einkommen haben Priorität. So werden Jugendliche aus der Mittelschicht von beidem ausgeschlossen.
Die Lage der StudentInnenwohnheime sieht noch schlimmer aus. In ganz Paris gibt es insgesamt nicht einmal 3.000 Zimmer, obwohl jedes Jahr mehr als 15.000 StudentInnen sich für diese bewerben. BerufsanfängerInnen, Prekarisierte, Einzelfamilien und StudentInnen haben keine Perspektive auf ein eigenes Zuhause. Viele sind gezwungen, bei ihren Eltern zu bleiben, bei Freunden zu schlafen oder in die Banlieues abzuwandern, wo die Mieten nur unerheblich niedriger sind, dafür aber die Verkehrskosten und Reisezeiten dazu kommen.
„Ich hätte nicht nach Paris kommen können, wenn ich nicht bei einer Freundin unentgeltlich untergekommen wäre. Vor einem Jahr habe ich mich in einem kleinen Raum, der eigentlich für eine Waschmaschine gedacht war, eingenistet. Es sollte nur für kurze Zeit sein. Heute ist es immer noch mein Zimmer. Ich habe keine Hoffnung mehr auf eine eigene Wohnung“, erzählt Leila.
Die meisten jungen PariserInnen kennen solche Geschichten aus eigener Erfahrung. Für die AktivistInnen von „Jeudi-noir“ bedeuten diese Erniedrigungen eine Art „Eintrittsinitiation“ ins Berufsleben. „Sich als Jugendlicher durchschlagen zu müssen, um einen Job zu bekommen oder um eine Wohnung kämpfen zu müssen, soll so zur gesellschaftlichen Norm erhoben werden“, sagt Julien bitter.
Laut einer Studie des staatlichen Statistikinstituts INSEE sind 30 % der Obdachlosen in Paris arbeitstätig. „Das ist das Phänomen der heutigen armen ArbeiterInnen, unter denen es sehr viele junge Menschen gibt. Die Verwaltungen machen ihre Hausaufgaben nicht. Statt die Preisexplosion der Mieten zu stoppen, destabilisieren sie mit ihren Maßnahmen einen Wohnungsmarkt, der längst aus dem Gleichgewicht geraten ist“, erklärt Julien.
Die Stadtverwaltungen sind verpflichtet, einen Anteil von 20 % an Sozialwohnungen zu haben. Dies wird jedoch selten verwirklicht. Die VermieterInnen berechnen bei den Preiserhöhungen sogar das Wohngeld, welches die MieterInnen angeblich bekommen werden. Gleichzeitig stehen ca. 150.000 Wohnungen in Paris leer. Gesetze, die das Wohnungsangebot stärken sollten, haben ihr Ziel nicht erreicht. Die Steuervorteile wurden dazu missbraucht, um in anderen Regionen zu investieren und nicht die Mietpreise zu senken.
Nachdem die Blase der New Economy geplatzt ist, beschlossen viele InvestorInnen, in Immobilien zu investieren. Diese Tendenz wurde nach der 2003 von Premierminister Jean-Pierre Raffarin eingeführten Rentenreform verschärft. Angst vor der Alterssicherung führte viele dazu, in Immobilien zu investieren. Auch die Banken spielen mit, indem sie niedrig verzinste Kredite zum Wohnungserwerb anbieten. Die KäuferInnen müssen diese innerhalb von 30 Jahren zurückzahlen. Kurzfristig hat dies den Anstieg der Wohnungs- und Mietpreise zur Folge.
„Die Wohnungsprobleme werden immer als soziale Ausnahmesituation dargestellt. Man spricht nie von Prekarität. Auch wenn man einen Job hat, ist man aber nicht in der Lage, so hohe Mieten zu tragen“, kritisiert Leila. Die Preisexplosion betrifft nicht nur Paris, sondern alle Städte Frankreichs. Vereine wie Emmaüs, die 1954 während der damaligen Wohnungskrise gegründet wurden, stoßen mit ihrer Kritik auf taube Ohren.
Als im September das INSEE über eine angeblich steigende Kaufkraft der Bevölkerung berichtete, protestierte ein großer Verbraucherverein heftig. Die INSEE bestätigte Vorwürfe, nach denen die Erhebung die Mietpreise nicht mit umfasse, trotzdem soll auch der Lebensstandard der Ärmsten gestiegen sein. Die Statistik wurde von der Politik dazu benutzt, die Realität zu verzerren.
Jeudi noir gibt nicht auf. Die spektakulären Aktionen werden nun von den Medien registriert. Die AktivistInnen wollen nun vor den Präsidentschaftswahlen die Parteien zu öffentlichen Zugeständnissen zwingen. Anfang Dezember hatten sie ein Treffen mit dem Sozialminister Jean-Louis Borloo. „Er meinte, wir sollten uns keine Gedanken machen.“, erzählt Julien. „Er habe viel für den Wohnungsbau unternommen, so dass das Angebot in fünf Jahren die Nachfrage übertreffen werde. Er meinte, wir bräuchten jetzt keine Notmaßnahmen. Dieses Treffen war umsonst. Dennoch konnten wir unsere Argumente vortragen.“
Anfang Januar schaffte es aber eine andere neugegründete Bewegung „Les Enfants de Don Quichotte“ (Die Kinder von Don Quichotte), die Regierung zur Aktion zu zwingen. Am Kanal Saint-Martin entlang – weltweit berühmt seitdem Amélie Poulain dort spazierte – hatten sie eine lange Zeltreihe für die Obdachlosen eingerichtet, damit allen bewusst wird, wie viele Leute auf der Strasse schlafen müssen. Nach langem Zögern schaffte die Regierung ein Notprogramm für die Obdachlosen und zeigte sich bereit, aus dem Wohnrecht, ein Grundgesetzrecht, Realität zu machen. „Wenn dieses Wohnrecht effektiv und nicht zurücknehmbar wird, können wir die Sektflaschen aufmachen!“, meint Julien von Jeudi-noir,welche die Don Quichotte auch unterstützte. „Aber es wird keine Wirkung haben, solange man die Preisexplosion nicht stoppt.“ Dafür hat Jeudi-noir weitere Aktionen unternommen. Jetzt besetzen sie ein Bankgebäude mitten in Paris, das seit drei Jahren leer stand. Dort wohnen jetzt mehreren Familien, Jugendliche und KünstlerInnen.
„Es geht dabei nicht darum, primär Häuser für zahlreiche Obdachlose zu finden, sondern zu zeigen, dass ein Bürogebäude innerhalb einer Woche in ein Wohngebäude umgestaltet werden kann“, sagt Julien. Das Gebäude soll auch der Hauptsitz verschiedener Vereine werden, die gegen die Wohnschwierigkeiten kämpfen. Es wurde in das Ministerium der Wohnungskrise umbenannt.
Anmerkungen
Die Autorin ist Mitarbeiterin des JournalistInnen-Kollektivs "Krise und Kritik".
Homepage von Jeudi-noir:
www.jeudi-noir.org/