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Protestieren, Klagen, Boykottieren

Die Proteste der Studierenden gegen Studiengebühren und schlechte Studienbedingungen gehen weiter - mit anderen Mitteln

| Lotta

Protestieren …

Aus Protest gegen unsoziale Studiengebühren, das neoliberale Hochschulfreiheitsgesetz und schlechte Studienbedingungen haben StudentInnen bundesweit mit kreativen Aktionen für Aufsehen gesorgt. In vielen Städten wurden Rektorate und Senate besetzt, Forderungen an die Universitätsleitungen formuliert und die direkte Auseinandersetzung mit VertreterInnen der Staatsmacht gesucht.

Unter dem Titel „Kick it like Frankreich“ fasst eine kurze Filmproduktion die Proteste in Hessen zusammen. Ein Film, in dem Studierende mit der Nationalfahne Frankreichs bewaffnet hessische Autobahnen besetzen und im Schlusssatz noch einmal allen erklärt wird, dass ja bald wieder Wahlen seien und dann die Stimme des Volkes die gegenwärtige Politik sanktionieren würde. Ausdruck der leidlichen Tatsache, dass die wenigsten Proteste in Zusammenhang gestellt wurden mit Kritik an parlamentarischer „Demokratie“ und Neoliberalismus, so KritikerInnen.

Immerhin, die Proteste blieben friedlich. Zumindest von Seiten der Studierenden.

Wie sowohl der Film als auch Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen, ging die Polizei immer wieder übermäßig hart und brutal gegen StudiengebührengegnerInnen vor. Ein Beispiel aus Siegen: Am 16. Oktober 2006 fand dort eine friedliche Demonstration gegen Studiengebühren und Sozialabbau statt, an der circa 400 Menschen teilnahmen. Nach Beendigung der offiziellen Demo zogen etwa 100 TeilnehmerInnen in einer Spontandemo in die Innenstadt, was die Herren und Damen von der Polizei wohl etwas unvorbereitet traf. Ihre Reaktion: Pfefferspray und Gummiknüppel gegen Protestierende und PassantInnen, absolutes Chaos und ungerechtfertigte Verhaftungen.

Im Gemenge stürzte eine 86-jährige Dame, die Versorgung der Passantin wurde von der Polizei tatkräftig behindert. (1)

Siegen ist ein Beispiel von vielen. Immer wieder hörte man von DemonstrantInnen, die von der Polizei aufgefordert wurden, den Platz zu räumen, bei dieser Aufforderung allerdings längst eingekesselt waren, von „Razzien“ in Studierendenkneipen, bei denen Gäste verletzt wurden, und vom brutalen Vorgehen der Polizei bei Verhaftungen.

… Klagen …

Wenn gar nichts mehr geht, muss sich eben die deutsche Jurisprudenz der Problematik annehmen. In vielen Bundesländern sind Studiengebühren längst gesetzliche Realität (Hamburg, Niedersachsen, NRW, Baden-Württemberg, Bayern). Daraus schließt das „Protestkomitee Bochum“, die Zeit für Demonstrationen und kreative Aktionen seien nun vorbei. (2)

Die Studierendenschaften wählen nun den Weg über die Gerichte, um schließlich doch noch Studiengebührengesetze abzuschaffen.

Beispiel Hessen: In der Verfassung Hessens gibt es einen kleinen Absatz, der besagt, dass die Grund- bis Hochschulausbildung gebührenfrei sein muss.

Mit Berufung auf diesen Artikel, kann nun jedeR hessischeR BürgerIn Verfassungsklage gegen das Studienbeitragsgesetz (StuBeiG) einreichen. (3)

Auch nicht schlecht: Wenn Vater Staat nicht ausreicht, muss der greise Opa UNO ran. Der „Freie Zusammenschluss von StudentInnenschaften“ (fzs) reicht eine Beschwerde ein beim UN-Ausschuss für wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte, da Studiengebühren gegen den UN-Sozialpakt von 1968 verstoßen, in dem sich die BRD verpflichtet hat, keine Gebühren in ihrem Bildungswesen zu erheben.

Was passiert, wenn der UN-Ausschuss dem fzs Recht gibt? UN-Blauhelmtruppen? Landen wir auf Bushs Liste der Schurkenstaaten?

Nein, nicht ganz. Aber fast. Die UN kann die BRD „rügen“, und das wiederum kann Auswirkungen auf unsere nationale Rechtssprechung haben, zum Beispiel bei Verfassungsklagen wie in Hessen.

Und wem das noch nicht anarchistisch genug ist, der kann auch selber was machen …

… und Boykottieren!

Der Student oder die Studentin, die nicht den zur Rückmeldung im neuen Semester erforderlichen Beitrag plus Studiengebühren entrichtet (im Schnitt zwischen 600 und 700 Euro), wird exmatrikuliert, also „rausgeschmissen“.

Die Massenboykottaktion allerdings ist eine ausgetüftelte Aktion, um das Gesetz ad absurdum zu führen und somit die Abschaffung von Studiengebühren zu beschleunigen. Anstatt die 500 Euro Studiengebühren an die Universität zu überweisen, wird das Geld auf ein Treuhandkonto gezahlt, das von einem Anwalt oder einer Anwältin betreut wird.

Wenn ein bestimmter Prozentsatz von Studierenden auf das Treuhandkonto einzahlt, entsteht daraus im besten Fall ein Verhandlungspotential. Also Geld, das die Uni will, aber nicht kriegen kann. Weil eine Universität aus wirtschaftlichen Gründen nicht auf einen Schlag Hunderte von Studierenden exmatrikulieren kann, wird sie zu Verhandlungen gezwungen.

Das Ganze funktioniert natürlich nur, wenn genügend Beteiligung vorhanden ist. Ist ausreichend Geld auf den Sperrkonten eingegangen, wird mit Land und Uni verhandelt. Scheitern die Verhandlungen, werden die Gebühren von dem Treuhandkonto auf das Universitätskonto weitergeleitet, um Exmatrikulationen zu vermeiden. Das Gleiche passiert, wenn sich nicht der erforderliche Prozentsatz der Studierenden an der Boykottaktion beteiligt. Sind die Verhandlungen erfolgreich, werden die 500 Euro an die Studierenden zurückgezahlt. In diesem Fall wären Studiengebühren dann nur noch eine Farce.

Der fzs und die Asten der von Studiengebühren betroffenen Universitäten rufen alle Studierenden auf, sich an der Aktion zu beteiligen. Doch angesichts der Beteiligung an Protesten, Demos, Besetzungen etc, bei denen sich hauptsächlich die Elite der Hochschulpolitik sehen ließ, mag man skeptisch bleiben. Die Kommunikationswege zwischen den Asten und der Basis der Studierendenschaft sind chronisch marode, das Desinteresse und der vorauseilende Gehorsam bei vielen Studis erfahrungsgemäß virulent.

Doch zum Verzagen ist es noch zu früh, und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Dem friedlichen Protest nun den Boykott der staatlichen Gesetze folgen zu lassen, ist ein logischer Schluss und in jedem Fall eine gute Idee.