In der Peripherie tätige Hilfsorganisationen, die angesichts militärischer Brutalitäten von einer Intervention anderer Staaten oder der UN Gutes erhoffen, reagieren zunächst verständlich, und über viele Gemeinheiten von Diktatoren und Paramilitärs wüssten wir nichts ohne sie.
Dennoch reagieren auch sie oft als „hilflose Helfer“, die Teil des Problems sind: Sie verstärken Strukturen, in denen diejenigen zu den Gewinnern gehören, die Zugang zu internationaler Hilfe haben oder den Hilfsorganisationen sogar die Bedingungen diktieren können, wo und wie sie tätig werden. Diejenigen, die für solche „Internationalen“ arbeiten, gehören zu den Privilegierten. Die Hilfsorganisationen errichten eine Infrastruktur, die lokale Selbstheilungskräfte und Selbstorganisation auch überrollen kann. Schließlich sind sie oft ihren SpenderInnen, den westlichen Regierungen und Medien näher als den lokalen Gegebenheiten. Oft genug verändern sie die Sozialstrukturen in den Ländern ihrer Intervention zugunsten der Männer, die über die Ressourcen verfügen, die von den internationalen Organisationen bereitgestellt werden und deren Ansprechpartner sind, zu Lasten der Frauen, die dadurch abgewertet werden und deren Fähigkeiten etwa in der Landwirtschaft oder Textilproduktion entwertet werden.
Im schlimmsten Fall ziehen die „Internationalen“ ebenso wie intervenierende Militärs Bordellbetriebe um ihre Stützpunkte an, die Gewalt gegen Frauen und Kinderprostitution fördern.
Wenn schließlich nach Jahren des Bürgerkriegs die kämpfenden Parteien sich davon überzeugt haben, dass keine die Oberhand gewinnen kann oder ihre Finanziers und internationalen Unterstützer auf Kompromisse drängen, so dass eine geordnete Ausbeutung von Ressourcen erfolgen kann (1), entsteht nicht nur das Problem, ganze Generationen, die sich an Krieg gewöhnt haben und vom Krieg leben, zu resozialisieren und für Bewältigung der Traumata und Versöhnung zu arbeiten, sondern auch das Überlebensproblem.
So hat beispielsweise jetzt im Kongo der australische Konzern Anvil, der bisher bereits Silber in Katanga fördert, vor, die unter Mobutu durch Raubbau verfallenen Kupferminen wiederherzustellen (bei dem derzeitigen Rohstoffhunger und einem äußerst günstigen Vertrag mit der Republik Kongo ein narrensicheres Geschäft). Das Problem: In Kinsevere existiert bereits ein informeller Bergbau unabhängiger Schürfer, die nun vertrieben werden müssen. Denn in den Jahren des Bürgerkrieges begannen zwei Millionen Menschen auf eigene Rechnung Erz abzubauen. Ein Fünftel der Bevölkerung soll von dieser Art Bergbau leben und 80 % der Mineralien des Landes sollen zur Zeit so gefördert werden. (2)
Da das Land reich an Rohstoffen aller Art ist und diese zudem relativ leicht abbaubar sind, schon zu Zeiten Mobutus die Minen verfielen und die Bergleute sich auf Lohnzahlungen nicht mehr verlassen konnten, war es nahe liegend, den Bergbau in eigene Regie zu nehmen. Vermarktung war kein großes Problem, die isolierten Schürfer waren leicht auszunehmende Partner für Rohstoffaufkäufer aus aller Welt. Und nun stellt sich die Eigentumsfrage, und die große Industrie kehrt zurück. Produktion mit rationellen Methoden und neuer Technologie bedeutet aber: Überschüssige Bevölkerung, Arbeitslosigkeit, Armut, bald auch Hunger!
Hunger als Folge globaler Gewalt
Wenn der Treibhauseffekt zur Folge hat, dass Wüsten sich weiter ausbreiten und andererseits küstennahes Tiefland überflutet oder versalzen wird, so verschärft das ein Problem, das für eine reiche Welt besonders beschämend ist: Hunger. Etwa eine Milliarde Menschen sind von Mangelernährung betroffen.
Darunter sind nicht wenige reiche Länder, Nigeria etwa, der sechstgrößte Erdölexporteur der Welt. Nigeria ist auch ein Beispiel dafür, wie diese Ökonomie darauf beruht, individuelle und organisatorische Freiheiten zu beschränken bis zur blutigen Verfolgung der Opposition.
Wir denken an Ken Saro-Wiwa, jenen gewaltfreien Widerstandskämpfer gegen Shell und für die Ogoni, auf deren Land Öl gefördert wird, der 1995 vom nigerianischen Regime zusammen mit acht Mitarbeitern hingerichtet wurde. (3) Mangelnde Freiheit ist eine wichtige Grundlage für mangelnde Gerechtigkeit und für die kapitalistische Ökonomie selten ein Problem; erst der Widerstand schafft das Problem.
Mit unfreien Formen der Arbeit ist die globalisierte Ökonomie vereinbar und einverstanden, solange daraus nicht eine Destabilisierung entsteht. Niedrigste Löhne und Kinderarbeit etwa ist in manchen Ländern geradezu Voraussetzung für weltmarktfähige Produktion.
Allerdings haben soziale Bewegungen solche Zustände, besonders in der Textilindustrie, immer wieder zum Thema gemacht und dadurch Image und Umsätze der Konzerne beschädigt, so dass diese dann ihre Unternehmenspolitik ändern mussten und zum Teil sogar soziale und ökologische Kriterien als Konkurrenzvorteil und Bestandteil ihres Images entdeckten…
Bekannt ist, dass auch Länder mit hungernder Bevölkerung oft landwirtschaftliche Erzeugnisse exportieren, die Devisen bringen und auf dem Weltmarkt teurer verkauft werden können als an die einheimische Bevölkerung.
Nicht für alle „Marktteilnehmer“ ist Reis oder Mais ein Nahrungsmittel. Alles kann auch Spekulationsgut werden. Und an der Warenbörse entsteht oft genug ein Preis, der bewirkt, dass Reis oder Mais nicht als Nahrungsmittel derer zur Verfügung steht, die hungern. Oder es wird Getreide aufgekauft um es für die industrielle „Fleischproduktion“ zu verwenden.
Aber wie wäre es, von einem ganz anderen Naturverständnis auszugehen? Natur wäre dann nicht kostenloser Rohstoff, zu vermarktende Idylle oder eine Restkategorie noch nicht vergesellschafteter Räume und Zeiten, sondern das Gegenüber der Gesellschaft. Keine Sache, sondern Leben.
Aber das setzt zuerst eine andere Gesellschaft voraus und – ein anderes, nicht-verdinglichtes Leben.
(1) Greenpeace warnt, dass im Kongo bis zum Jahre 2050 40 % des Regenwaldes vernichtet werden könnten, was dem CO2-Ausstoß Großbritanniens in den letzten 60 Jahren entsprechen würde. Vgl. Dominic Johnson in der taz vom 11.04.07, S. 3: Kongo wird Klimakiller.
(2) Alle Angaben nach D. Johnsons Artikel: Arm und reich zugleich, taz vom 19.03.2007, S. 4.
(3) Vgl. mehrere Artikel zu Ken Saro-Wiwa in GWR 203, Dezember 1995: In memoriam Ken Saro-Wiwa.