Die weltweite Bewegung für eine andere Globalisierung vereint kulturell verschiedenartige soziale Bewegungen von unten.
Sowohl in den Metropolen wie auch in der Peripherie, besonders aber die Traditionen der Arbeiterbewegung, der Umweltbewegungen, der antirassistischen Bewegung und der Frauenbewegung. Global agierend, solidarisch mit weit entfernt lebenden Opfern der eigenen Regierungen waren auch schon frühere Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Nicht umsonst versuchte sich die Arbeiterbewegung von Anbeginn als „Internationale“ zu organisieren. Die Studierendenbewegungen von 1968 waren ein weltweites Phänomen und von „Peoples Power“ wurde 1989/90 nicht nur in Osteuropa beim Sturz des Staatssozialismus, sondern auch auf den Philippinen beim Sturz Marcos‘ oder bei der Transformation in Südafrika gesprochen.
Die neue Bewegung des weltweiten Widerstands gegen die kapitalistische Globalisierung ist also nicht wirklich neu. Was je nach Standpunkt und Vorlieben 1994 mit dem Aufstand der Zapatistas im mexikanischen Chiapas, mit den Streiks der französischen Arbeiterbewegung von 1995, mit dem weltweiten Widerstand gegen das multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) 1997/98 oder mit der massiven Blockade des Treffens der Welthandelsorganisation (WHO) in Seattle/USA 1999 begann, hat sich inzwischen zu einer machtvollen Bewegung mit Weltsozialforen, alternativen Foren und Aktionskampagnen gegen Gipfeltreffen der Mächtigen entwickelt. Sie verbreitet ein Bewusstsein dafür, dass die Lösung globaler Krisen nicht mehr in nationalstaatlichem Rahmen, sondern nur noch weltweit gelöst werden können.
Die Revolte in Argentinien 1999 sowie die weitgehend gewaltfreie Demonstration in Genua 2001, die auf brutale Stör- und Repressionsstrategien der italienischen Polizei und eingeschleuster Faschisten traf, waren die bisherigen Höhepunkte der Bewegung.
Diese neue Bewegung unterscheidet sich trotz aller Kontinuität von einer unmittelbar voraus gehenden Phase der traditionellen, linken Solidarität mit nationalen Befreiungsbewegungen.
Als vormalige Guerilleros die Staatsmacht eroberten und deren bewaffnete Verbände nun die neue Armee stellten, haben allzu viele nationale Befreiungsbewegungen ihren Frieden mit dem globalen Kapitalismus gemacht und nur noch ihren – oft den Eliten der neuen Klassen vorbehaltenen – Anteil am Kuchen eingefordert, anstatt wirklich eine freie, solidarische Gesellschaft anzustreben.
Im Mittelpunkt der heutigen weltweiten Bewegung steht nicht mehr die Eroberung der staatlichen Zentralmacht, auch dort nicht mehr, wo sie sich noch als Guerilla organisiert (die EZLN in Chiapas strebt nicht die zentralstaatliche Machtübernahme in Mexico-City an). Den Schwerpunkt bilden vielmehr: vielfältige regionale und lokale Bewegungen, oft von Minderheiten; die kulturell verschiedenen Widerstandstraditionen, auf die sie sich beziehen; sowie die Möglichkeit des transnationalen Austausches und der grenzüberschreitenden Solidarität, die ihnen die weltweite Bewegung eröffnet.
So haben sich Betroffene industriell-kapitalistischer Großprojekte weltweit organisieren können: Seien es die Opfer großer Zwangsumsiedlungen von Staudammprojekten; seien es indigene Bevölkerungen, die in Uranminen unter Lebensgefahr den Rohstoff für die Atomkraftwerke liefern und dabei jetzt, heute schon sterben; oder seien es von großen Fischfabriken und der Überfischung traditioneller Fischereigründe bedrohte Fischerfamilien, die sich seit 1997 im WFFP (World Forum of Fisher Peoples) organisieren.
Ihnen allen liefert die weltweite Bewegung einen neuen Rahmen des Austausches und der Organisierung von Kampagnen (z.B. 21. November als Welttag der Fischer), die den nationalstaatlichen Rahmen zugleich transnational überschreiten wie lokal unterminieren. (1)
Im Rahmen dieser regionalen, nicht auf den nationalen Rahmen zielenden Bewegungen sind die von den Menschen angewandten Kampfformen auf ein niedriges Gewaltniveau begrenzt oder bewusst von gewaltfreien Kampfformen geprägt, die eine grundsätzliche Kritik des Militarismus transportieren. In Israel/Palästina haben gemeinsam durchgeführte direkte gewaltfreie Aktionen, unterstützt von AktivistInnen aus aller Welt, die zu Aktionen vor Ort anreisen, den Mauerbau zwischen den beiden Gesellschaften in Frage gestellt, den Schutz der Betroffenen vor Militärgewalt erfolgreich organisieren und die Repression zu einem nicht hinnehmbaren Skandal machen können.
Diese befreienden Potentiale und Tendenzen des lokal verankerten Transnationalismus werden in der weltweiten Widerstandsbewegung ständig von drei Seiten her herausgefordert:
erstens von einer sozialdemokratisch orientierten Integrations- und Entradikalisierungstendenz parteipolitischer Vorfeldorganisationen und von bürokratisch agierenden Nicht-Regierungs-Organisationen, welche die Weltsozialforen prägen, bei denen ursprünglich Parteien ebenso wie bewaffnete Verbände ausgeschlossen bleiben sollten;
zweitens von linken Etatisten und Militaristen wie Hugo Chavéz in Venezuela, die sich eher auf die alte Tradition der nationalen Befreiungsbewegungen stützen, die sich beim Weltsozialforum 2006 in Caracas bereits als Personenkult inszenierten und gleichzeitig die Kritik des alternativen Forums als „faschistisch“ denunzierten;
drittens linke Traditionsströmungen wie etwa die trotzkistische Socialist Workers Party, die das Europäische Sozialforum 2004 in London dominierten und auch strategisch manipulierten.
Es wird sich zeigen, ob sich die libertären und gewaltkritischen Potentiale in den künftigen Diskussionen als eigenständige und selbst bewusste Strömung präsentieren und durchsetzen können.
(1) Dieses Konzept hat schon sehr früh der englische Libertäre Nigel Young ausgearbeitet: Transnationalismus und Kommunalismus, in: Wege des Ungehorsams. Jahrbuch für gewaltfreie & libertäre Aktion, Politik und Kultur. WeZuCo, Kassel 1984, S. 61-74.