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Die Katastrophe Sarkozy

Die Folgen für die sozialen Bewegungen in Frankreich

Der Sieg der Rechten und des Möchtegern-Napoleon Nicolas Sarkozy bei den französischen Präsidentschaftswahlen hat die sozialen Bewegungen in Frankreich kalt erwischt. Eine Analyse der Ursachen und Folgen. (Red.)

Was waren das für hoffnungsvolle Zustände in Frankreich, vom März 2006 bis zum April 2007! Die phantasievolle, größtenteils mit Kampfmitteln der gewaltfreien Aktion vorgehende Bewegung von StudentInnen und ArbeiterInnen gegen den Erstanstellungsvertrag (CPE) der konservativen Regierung de Villepin hatte gesiegt und damit diese Regierung sowie den alternden Präsidenten Chirac in seinem letzten Amtsjahr quasi paralysiert. Nun war klar, dass jedes größere Regierungsprojekt auf nach den Präsidentschaftswahlen verschoben werden musste.

Zwar hatte auch dieses Jahr des „Patts“ zwischen Regierung und sozialen Bewegungen einen Wermutstropfen, denn der von der Anti-CPE-Bewegung unbesiegt gebliebene Innenminister Sarkozy setzte sein Gesetz zur Teillegalisierung der „Sans-Papiers“ durch: Danach wurden 2006 genau 6924 von insgesamt 33.000 BittstellerInnen (insgesamt leben in Frankreich mehr als 60.000 Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis) legalisiert (was 2006 insgesamt zur größten Quote an Legalisierungen in den letzten Jahren führte) (1), während für 2007 rund 25.000 Abschiebungen teils bereits durchgeführt, zum großen Teil jedoch erst angekündigt wurden und nun nach der Machteroberung Sarkozys wohl schnell durchgezogen werden. Aber sogar hier, im Alltag des institutionellen Rassismus Frankreichs, zeigte sich, dass Sarkozy im Jahre 2006 – in seiner Praxis, keineswegs in seiner rassistischen Rhetorik – noch vorsichtig vorgehen musste und durch die Schwäche des Regierungslagers in den sozialen Auseinandersetzungen gehemmt war.

Der kleine Napoleon, seine Omnipotenz und seine Anti-68er-Rhetorik

Doch nun ist alles anders. Die durch die Teilerfolge der sozialen Bewegungen ermattete, zum sozialen „Patt“ verurteilte alte Garde um Chirac hat abgedankt und der seinem Auftreten nach wie ein kleiner Napoleon wirkende Sarkozy hat im zweiten Wahlgang mit über 53 Prozent die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Weil der Präsident Frankreichs in der fünften Republik vielerlei politische Vollmachten und die letzte Entscheidungsgewalt innehat, könnte selbst ein eventueller Sieg der parlamentarischen Linken bei den Parlamentswahlen im Juni Sarkozys Macht nur bedingt eindämmen.

Wer erinnert sich noch an Franz-Josef Strauß? Potenzieren Sie bitte den Typus Strauß mit heutigen Rechtsauslegern der deutschen Staatsgewalt wie Beckstein, Schäuble oder Schönbohm, dann haben Sie eine ungefähre Vorstellung von dem, was Sarkozy verkörpert.

Das System Sarkozy basiert auf einer medial unterstützten Allgegenwart der Person Sarkozy. Was auch immer passiert, die Medien nehmen sofort Sarkozy ins Bild, der auch immer prompt am Ort des Geschehens auftaucht. So wird der Eindruck einer Omipotenz Sarkozys suggeriert. Besonders wirksam funktionierte das im Wahlkampf, als Sarkozys Polizei nach Abhörung von Gesprächen des französischen Unterstützerkomitees den brasilianischen Staatsorganen die Festnahme des italienischen Linksradikalen Cesare Battisti in Brasilien (2) ermöglichte. Battisti, der in Italien für Akte seiner Gruppe „Bewaffneter Proletarier für den Kommunismus“ wegen vierfachen Mordes verurteilt ist, aber bis heute jede direkte Beteiligung an Morden abstreitet, hatte in den 90er Jahren von der so genannten „Mitterand-Doktrin“ profitiert, wonach speziell politische Flüchtlinge aus Italien Asyl in Frankreich bekamen, weil angesichts der Verwicklung der italienischen Staatsmacht in die politischen Morde der Linken („Strategie der Spannung“ genannt) faire Prozesse der italienischen Justiz angezweifelt wurden. Sarkozy hat nun angekündigt, Battisti an Italien ausliefern zu wollen und damit den Bruch dieser Doktrin vollzogen. Viele BeobachterInnen werteten die Festnahme Battistis, der mittlerweile nach Brasilien geflohen war, als geplanten Wahlkampf-Coup Sarkozys, der damit auch seine Fähigkeit demonstrierte, international Fäden spinnen und Machtpolitik betreiben zu können. Den notorischen WählerInnen des Rechtsextremen Le Pen konnte dies nicht verborgen bleiben.

Sarkozy führte seinen Wahlkampf ideologisch extrem rechts. Er machte offen rassistische Propaganda gegen ImmigrantInnen, was bisher nur Le Pen gewagt hatte. Wer Frankreich nicht liebe, solle gehen, so war von Sarkozy explizit zu hören. Gleichzeitig schlug er ein „Ministerium der Immigration, der Integration und der nationalen Identität“ vor, das er nun inthronisiert hat.

Sarkozy hatte sich im Wahlkampf vom Vorgänger Chirac distanziert: Er stehe für einen Bruch mit der bisherigen Politik – eine eigentümliche Aussage für jemanden, der fünf Jahre Innenminister unter Chirac gewesen war. Seine Rhetorik des Bruchs, die er offen und direkt auch als Bruch mit den kulturellen Werten der 68er-Revolte präsentierte und wogegen er eine düstere Arbeits-, Ordnungs-, Autoritäts- und Produktivitätspropaganda setzte, war der reaktionäre Kern seiner Wahlkampfstrategie. Sie war eindeutig auf das WählerInnenpotential Le Pens und dessen rechtsextremem „Front National“ gezielt, der 2002 im ersten Wahlgang fast 17 und jetzt nur noch 10 Prozent bekommen hatte. Sarkozy hat Le Pen das Wasser abgegraben, aber, wie Le Pen anmerkte, indem er dessen Inhalte übernommen hatte. Doch Le Pen – der seine letzte Chance verspielt hat – ist seine Süffisanz abhanden gekommen, denn diesmal hat die Kopie tatsächlich das Original ausgestochen.

Gegenüber der parlamentarischen Linken, besonders der Sozialistischen Partei und ihrer Kandidatin Royal hat Sarkozy klar die Themen bestimmt. Der Versuch Royals, mit Anpassungen an rechte Inhalte (Streichung der Familienunterstützung in den Vorstädten bei delinquenten Jugendlichen; deren mögliche Festsetzung unter militärische (!) Überwachung; Bekenntnis zur Nation; Forderung nach mehr Nationalflaggen, Annäherungen ans bürgerliche Parteienlager usw.) zu punkten, ist im Wahlkampf gescheitert. Das sehen inzwischen nicht nur anarchistische BeobachterInnen (3), sondern auch Stimmen aus dem eigenen Lager der parlamentarischen Linken so (4).

Linke Fehleinschätzungen und die selbstzerstörerische Orientierung auf die Wahlen

Das Regierungsprogramm Sarkozys hat es in sich. „Fünf harte Jahre“ hätten die sozialen Bewegungen zu erwarten, so titelte Le Monde Libertaire am 26. Mai. Sarkozy will einen vereinheitlichten Anstellungsvertrag (5) durchsetzen, die Universitäten privatisieren, die in Frankreich als einzigem Land Europas noch geltende 35-Studen-Woche abschaffen, Kündigungen erleichtern und mit einem Service minimum das Streikrecht auch beim öffentlichen Nahverkehr und im Zugverkehr aushebeln.

Was zu erwarten ist, zeigte bereits seine Ernennung von François Fillon zum Premierminister. Der hatte sich im Wahlkampf damit gebrüstet, 2003 gegen die Streiks der Arbeiterbewegung das verschärfte Rentengesetz durchgeprügelt zu haben.

Doch nach der schweren Niederlage 2003 schienen sich die sozialen Bewegungen erholt zu haben. Da gab es im Jahre 2005 zunächst den Sieg des „Nein“ im Referendum zur europäischen Verfassung, dann die Aufstände in den Vorstädten im November 2005 (6) und schließlich den Sieg der studentisch geprägten Bewegung gegen den CPE im Frühjahr 2006 (7). Oder etwa nicht? Bei näherem Hinsehen zeigen sich hier linke Fehleinschätzungen dieser sozialen Kämpfe, die maßgeblich zur Überschätzung der eigenen Kräfte besonders bei den vielen kleinen Parteien der radikalen Linken beigetragen haben. Ich denke da vor allem an die trotzkistische Ligue communiste révolutionnaire (LCR) mit seiner 68er-Symbolfigur Alain Krivine und dem jungen Präsidentschaftskandidaten Olivier Besançenot; aber auch an die anderen doktrinären Arbeiterparteien oder an den aus den sozialen Bewegungen kommenden José Bové, der mit etwas mehr als einem Prozent bei den Präsidentschaftswahlen geradezu jämmerlich abschnitt.

An all diesen Kämpfen waren auch anarchistische Gruppen und Einzelpersonen beteiligt, trotzdem kann nicht einfach gesagt werden, die sozialen Bewegungen in Frankreich seien libertär geprägt, und zwar weder kulturell, noch organisatorisch. Die Arbeiterbewegung ist zwar in viele Organisationen zersplittert, was deren Radikalität eher zugute kommt, doch die mitgliederstarken Organisationen sind traditionell immer noch kommunistisch (CGT), trotzkistisch-reformistisch (Force Ouvrière) oder sozialdemokratisch (CFDT). Und in der Studentenschaft dominiert die LCR, die praktisch alles andere als „revolutionär“ ist – ein Wort übrigens, das in der französischen Linken nicht nur inflationär, sondern oft auch inhaltsleer gebraucht wird.

So hatten Besançenot und seine LCR, die bei den Präsidentschaftswahlen mit rund 4 Prozent noch am meisten Stimmen auf der Seite der radikalen Linken einfuhren, bereits direkt nach dem Referendum 2005 die folgenschwere Fehleinschätzung geliefert, die rund 55 Prozent Nein-Stimmen seien ein „Sieg der Linken“. Dabei übersahen sie völlig (oder wollten ganz bewusst nicht sehen?) den großen Anteil der Front National-Stimmen gegen die europäische Verfassung, die aus Gründen des Rassismus gegen die EU-Erweiterungspolitik mit Nein stimmten. Nach den Aufständen in den Vorstädten spielten sich die LCR-Kader ungefragt als die Repräsentanten der Jugendlichen auf und überschätzten abermals deren Bedeutung. Denn real wurden die Aufstände in den Vorstädten brachial polizeilich niedergeschlagen und Sarkozy ging aus ihnen als der starke Mann hervor, als Schutzherr der Polizei, dem die bürgerliche Öffentlichkeit applaudierte. Und schließlich dominierten die LCR, Lutte Ouvrière und die KP auch die Debatten der StudentInnen in den Amphitheatern der Universitäten bei der März-Bewegung 2006. Dort waren libertäre und unabhängige StudentInnen während der Aktionstage zwar stark genug, eigene Akzente der direkten Aktion zu setzen. Aber direkt nach der Bewegung gegen den CPE orientierte die LCR auf die politische Bühne, auf das Establishment und die kommenden Präsidentschaftswahlen. Der Sieg gegen das CPE wurde nicht zur Stärkung der Perspektive einer revolutionären Gesellschaftsumwandlung durch die Betonung der Kampfmittel der direkten Aktion genutzt, sondern in einer Art Harakiri wurde die siegreiche StudentInnenbewegung unmittelbar auf die Wahlmaschinerie orientiert. Dabei lieferten sich die ProtagonistInnen zum Teil peinliche Manöver, und zwar quer durch alle Spektren: Die LCR propagierte die Wahleinheit mit Lutte Ouvrière, bevor dann Besançenot und Laguillere doch wieder einzeln und getrennt kandidierten; Attac Frankreich spaltete sich auf ihrem eigenen Kongress und lieferte sich selbst der Marginalisierung aus, weil ihr Vorsitzender plötzlich auf die Idee kam, auch noch für das Präsidentenamt kandidieren zu wollen und dafür sogar Vorstandswahlen fälschte, was allerdings aufflog; die KP-Vorsitzende Buffet wollte partout als Kandidatin der globalisierungskritischen Linken durchgehen und verzichtete dafür auf das KP-Logo auf ihren Wahlplakaten; und nachdem ihm seine eigene Organisation, die Confédération Paysanne, davon abriet, wollte es sich José Bové trotzdem nicht nehmen lassen, zu kandidieren. Sie alle sorgten dafür, dass soziale Bewegungen ihre Energie auf die politische Ebene konzentrierten, dass sich AktivistInnen entweder erfolglos für einen Einheitskandidaten oder genauso erfolglos für die sinnlosen Wahlkampagnen einer/s ihrer ProtagonistInnen einsetzten und die Stärkung sozialer Kämpfe aus den Augen verloren.

Nun stehen sie vor einem Scherbenhaufen. Die sozialen Bewegungen sind geschwächt und José Bové hat erreicht, dass die globalisierungskritische Bewegung auf eine Legitimation von ca. 1 Prozent blicken kann und in der Öffentlichkeit als marginalisierte Sekte dasteht. Nur die LCR ist gestärkt und steht in den Medien als offizielle Repräsentantin der radikalen Linken da – ein lachender Sieger auf dem Scherbenhaufen der Bewegung.

Die kleinen Scharmützel frustrierter Jugendlicher direkt nach Bekanntgabe der Wahl Sarkozys sind teils schnell abgeflaut, teils durch die frisch legitimierte Polizei niedergeknüppelt worden, dessen Schutzherr die Flics nun im Präsidentenamt wissen.

Die Lage ist katastrophal und die sozialen Bewegungen müssen ganz von vorne beginnen. Sie müssen die drakonischen Maßnahmen Sarkozys, die mit Sicherheit schnell in Angriff genommen werden, praktisch bekämpfen und über den Kampf auf der Straße den Mythos des Siegertypen Sarkozy zerstören. Das wird schwer.

Das personenbezogene Direktwahlsystem Frankreichs ist in gewissem Sinne noch problematischer als das deutsche Parteienwahlsystem, denn es bietet persönlichem Karrieredenken, dem individuellen politischen Ego eine Versuchung der Macht, der nur wenige widerstehen können. So kommt Sarkozys neuer Außenminister Bernard Kouchner aus der Sozialistischen Partei. Er hatte in Biafra in den siebziger Jahren die Menschenrechtsorganisation Médecins sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen) gegründet und erfüllt sich nun einen Machttraum, weil die Sozialistische Partei seine Ambition nicht genügend gewürdigt hatte, so ließ er verlauten. Solche Übertritte sind in Frankreich an der Tagesordnung. Auch José Bove konnte der Versuchung nicht widerstehen, die LCR will es sowieso nicht, und die sozialen Bewegungen zahlen die Zeche. Solange Leute und Organisationen wie diese die sozialen Bewegungen maßgeblich beeinflussen, ist kein Ausweg aus der Krise und kein positives Gefühl der eigenen Kampfkraft in Sicht.

(1): Neue Züricher Zeitung, Online-Ausgabe, 4.12.2006.

(2): Brasilienfreunde.Net, 19.3.2007.

(3): Vgl. Rebecca: Kouchner l’Américain; Thierry Périssé: Qui sont les vrais utopistes? Lettre ouverte à tous ceux qui espéraient éviter la catastrophe en votant Ségolène Royal; Maurice Rajsfus: Vous avez dit „socialistes“? De Jules Guesde à Bernard Kouchner, alle Artikel in: Le Monde libertaire, Nr. 1479, 24.-30.5.2007.

(4): Alexis Dalem: Comment on perd une élection, in: Le Monde, 10.5.2007, S. 20.

(5): Contrat de travail unique.

(6): Vgl. mehrere Artikel in GWR Nr. 304, Dezember 2005.

(7): Vgl. mehrere Artikel in GWR Nr. 309, Mai 2006.

(8): Rebecca: Kouchner l’Américain, in: Le Monde libertaire, Nr. 1479, 24.5.2007, S. 4.