Der Berliner Verlag Schwarzerfreitag hat als erstes Projekt in neun Bänden nach und nach Howard Zinns „A People’s History of the United States“ veröffentlicht.
Nun ist die Gesamtausgabe dieser Geschichte des amerikanischen Volkes im Taschenbuch erschienen.
Howard Zinn (geb. 1922) war bis 1988 Professor für Geschichte und Politik an der Universität Boston und ist neben Noam Chomsky der bekannteste, lebende US-amerikanische Anarchist.
„A People’s History of the United States“ wurde 1980 erstmals veröffentlicht und entwickelte sich vom Geheimtipp zum Standardwerk an amerikanischen Universitäten.
„Sie… brachten uns Papageien und Baumwollballen und Speere und viele andere Dinge, die sie gegen unsere Glasperlen und Falkenglocken eintauschten. Sie tauschten willig alles was sie besaßen. Sie waren kräftig gebaut, mit guten Körpern und angenehmen Gesichtszügen. … Sie tragen keine Waffen und kennen auch keine; als ich ihnen nämlich ein Schwert zeigte, ergriffen sie es aus Unwissenheit an der Schneide und verletzten sich dabei. Sie haben kein Eisen. Ihre Speere sind aus Schilfrohr gemacht. … Sie würden sich gut als Dienstboten eignen … Mit fünfzig Mann könnten wir sie alle unterwerfen und sie zu allem zwingen, was wir wollen.“ Mit diesem Logbucheintrag Christoph Kolumbus über seine erste Begegnung mit den Arawaks, den Ureinwohnern der karibischen Inseln, beginnt Howard Zinns Geschichte des amerikanischen Volkes.
Geschichte ist Ideologie. Was die Historikerin erzählt, welche Auswahl sie aus der Masse der Fakten trifft, welche historischen Ereignisse sie für wichtig hält, um die Gegenwart zu erklären, hängt von ihrem Interesse ab. Die offizielle Geschichte ist die Geschichte von Zivilisation und Fortschritt der Nationen. Es ist eine Geschichte der Helden, der großen Einzelnen oder ihrer Gegenspieler.
Sie weiß wenig vom Völkermord an den Arawaks und viel vom „Heldentum“ Kolumbus und seiner Nachfolger als Seefahrer und Entdecker. Die offizielle Geschichte ist die Geschichte der Herrschenden. Sie begründet die Gegenwart aus Sicht derjenigen, denen sie gefällt. Sie sagt: „Eine andere Welt ist nicht möglich.“
Im Gegensatz dazu schreibt Howard Zinn die Geschichte der Unterdrückten. Er erzählt von der Entdeckung Amerikas aus der Perspektive der Arawaks, berichtet von der Verfassung vom Standpunkt der Sklaven, von Andrew Jackson aus Sicht der Cherokee, vom Aufstieg der Industrialisierung aus Sicht der Textilarbeiterinnen, vom ersten Weltkrieg aus der Sicht von Sozialisten … „so gut eben ein einzelner Mensch, so sehr er oder sie sich auch bemüht Geschichte ‚aus der Sicht anderer‘ betrachten kann.“
Er schreibt eine Geschichte, welche die Erinnerung an den Widerstand der Menschen aufrecht erhält.
Eine Geschichte, die wenig Respekt vor Regierungen, aber sehr viel Respekt vor den Widerstandsbewegungen der Bevölkerung hat.
Neben bekannten und unbekannten Fakten über die Geschichte der Vereinigten Staaten finden sich bei der Lektüre auch viele Belege, die ein libertäres Politikverständnis stützen. Z. B. zeigt Zinn wiederholt, dass fortschrittliche Gesetze, nur wert hatten, wenn sie von einer außerparlamentarischen Bewegung umgesetzt wurden. Andernfalls wurden sie von staatlichen Stellen nicht beachtet oder ins Gegenteil verkehrt. Pikantes Detail: Der vierzehnte Verfassungszusatz, der nach dem Bürgerkrieg die Rechte der Schwarzen sichern sollte, wurde kurze Zeit später umfunktioniert, um Geld und Eigentum von Aktiengesellschaften vor staatlichen Regulierungsmaßnahmen zu schützen.
Das Buch ist gut und spannend zu lesen. So beginnt Kapitel 17 „Der vertagte Traum“ mit schwarzer Lyrik am Vorabend der Bürgerrechtsbewegung, in der sich die beginnende Revolte zum ersten Mal ankündigte.
Meine persönlichen Highlights waren aber das Kapitel über die Industrial Workers of the World (IWW) und die Erwähnung des „jungen Aktivisten Keith Mc Henry“ von Food Not Bombs, den wir vor einigen Jahren in unserer Stadt zu Gast hatten.
Howard Zinn, Eine Geschichte des amerikanischen Volkes, Verlag Schwarzerfreitag, Berlin 2007, 689 S., 28,80 Euro, ISBN 978-3-937623-50-4. Die neun Einzelbände kosten jeweils 7 Euro.