Ferda Ülker lebt in der türkischen Millionenstadt Izmir. Seit Anfang der neunziger Jahre engagiert sich die antimilitaristische Feministin in den sozialen Bewegungen. Seit 2002 wird sie finanziell als Bewegungsarbeiterin von der Bewegungsstiftung unterstützt.
Graswurzelrevolution (GWR): Warum hast Du für Deine politische Arbeit soziale Bewegungen gewählt und bist nicht Mitglied einer politischen Partei geworden?
Ferda Ülker: Ich habe nie daran gedacht, Mitglied einer Partei zu werden und denke auch jetzt, nach dem Erfolg der unabhängigen KandidatInnen bei der Parlamentswahl vom Juli 2007 nicht daran. Das inhärente Ziel einer Partei ist es, Herrschaft zu erlangen. Und ich hatte nie vor, ein von mir so sehr kritisiertes Konzept von gesellschaftlicher Demokratievorstellung in mein Leben eindringen zu lassen. Ich werde mich auch in Zukunft an keiner autoritären und hierarchischen Struktur wie der einer Partei beteiligen.
Soziale Bewegungen bilden einen loseren, flexibleren Zusammenhalt, der viel mehr das Potenzial in sich birgt, gesellschaftliche Verhältnisse zu kritisieren und zu ändern, als es eine Partei innewohnen kann, die schon im vorhinein Konzessionen machen muss.
Ich habe oben den Ausdruck verwendet, eine ‚bessere Welt‘ sei möglich. Eigentlich ist das nicht ganz richtig. Es gibt keine ‚andere Welt‘, denn wir haben nur diese eine Erde, die wir vorfinden, aber auf dieser Welt ist ein für alle besseres Leben möglich. Dieses Leben wird auch bestimmt durch die sozialen Bewegungen, die einzelne Menschen und ganze Massen stark machen können und sie zum Handeln ermächtigen.
GWR: Du stellst Dich selbst als Feministin und Antimilitaristin vor. In Deutschland sind diese Begriffe aus der Mode gekommen. Warum verwendest Du sie weiter?
Ich kenne die Diskussion aus Deutschland nicht, die Frauen dazu bewegt, sich von diesen Begriffen abzuwenden. Ich kann das nur mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen.
Ich stelle mich immer noch als Feministin und Antimilitaristin vor, weil ich es immer noch bin.
Ich begreife auch die hinter diesen Begriffen stehenden Konzepte von gesellschaftlicher Analyse für die gesamte Gesellschaft für wichtig, nicht nur für mich als Frau. Mindestens für die Türkei, ein Land, das so vom Militarismus durchdrungen ist, dass er uns jeden Tag im Leben begegnet, prägt und in die Schranken weist, sind Feminismus und Antimilitarismus Konzepte, die Antworten auf viele Fragen geben können.
Ich bin davon überzeugt, dass wir eine gewaltfreie und freiheitliche Gesellschaft nur erreichen, wenn sich das emanzipatorische Verständnis, das dem Feminismus innewohnt, allgemein durchsetzt. Der Antimilitarismus mag ein notwendiges Phänom von Gesellschaften sein, die wie die Türkei eine Militärdiktatur hinter sich haben. Feminismus ist aber ein notwendiger Prozess durch den jede Gesellschaft gehen muss, wenn sie eine freie Gesellschaft werden soll.
Wir blicken auch in der Türkei stolz auf die Erfolge der Frauenbewegung, aber wir werden auch immer noch mit vielen Vorurteilen bedacht und ‚Feministin‘ ist in weiten Kreisen immer noch ein Schimpfwort.
Ich nenne mich zusammen mit einer Gruppe von weiteren Frauen ‚anfem‘ – antimilitaristische Feministin -, um die unheilvolle Verbindung von Patriarchat und Militarismus aufzuzeigen, die eine entsprechende Gegenbewegung erfordert. Damit wollen wir auch aufzeigen, dass Militarismus kein Männerthema und Kriegsdienstverweigerung nicht nur für Männer eine Handlungsoption ist. So haben wir als Frauen uns öffentlich verweigert, dem Krieg zu dienen.
Warum arbeitest Du vor allem in Frauengruppen?
Ich engagiere mich in Frauengruppen, weil das der Ort ist, in dem ich mich am besten ausdrücken kann. Jetzt und in der Vergangenheit habe ich erlebt, dass in Frauengruppen die gleichen Probleme auftreten, die es auch in gemischtgeschlechtlichen Gruppen gibt. Es gibt allerdings einen gravierenden Unterschied: In Frauengruppen besteht eine viel größere Bereitschaft, diese Probleme anzusprechen, sie ernst zu nehmen und Lösungen zu suchen.
Wenn ich in meine Vergangenheit schaue, dann fallen mir eine Vielzahl von Geschichten ein, die mich in Frauengruppen geführt haben. Und alle diese Geschichten treffen sich in dem einen Punkt, wie sehr wir die uns anerzogenen, vorgelebten und aufgedrückten Rollen verinnerlicht haben. Viel zu lange merken wir überhaupt nicht, wie sehr wir in diesen patriarchalen Rollenbilder gefangen sind.
Und wenn wir es bemerken, müssen wir den Mechanismen auf die Spur kommen, die in uns und in der Gesellschaft wirken und wir müssen uns, Schritt für Schritt, selbst befreien, ohne die Sicherheit zu haben, dass wir damit auch die Gesellschaft befreien. Das macht es schwerer, weil wir auf uns allein gestellt sind. In Frauengruppen finden wir die Unterstützung, die wir brauchen, um uns in den Gegensatz zur herrschenden Meinung zu stellen.
In Deiner Arbeit versuchst Du Theorie und Praxis miteinander zu vereinen. Erzielst Du dabei Erfolge und welche Probleme ergeben sich?
Es ist das anzustrebende Ideal, das die Theorie mit der Praxis übereinstimmt. Aber ich muss sagen, dass ich weder mich, noch die Strukturen, in denen ich arbeite, dabei als besonders erfolgreich empfinde. Es ist bei einer ganzen Reihe von Dingen relativ einfach, sie theoretisch schlüssig darzulegen und es ist oft so schwer, das in die Lebenspraxis und die tägliche politische Arbeit zu überführen.
Die Theorie bildet oft die Wunschvorstellung eines anderen Lebens ab. Wir befinden uns aber noch in diesem Leben, in dem wir beeinflusst sind und behindert werden. Natürlich erleben wir auch Erfolge, im persönlichen Leben genauso wie in der politischen Arbeit. Würden wir diese Erfolge nicht sehen, könnten wir kein Selbstvertrauen für unsere zukünftige Arbeit entwickeln. Dass wir ständig hinter unseren Ansprüchen herhinken darf auf keinem Fall der Grund sein, die Arbeit einzustellen.
Wie kommst Du in Kontakt mit den Frauen und AntimilitaristInnen, mit denen du kooperierst? Kommen sie alle aus einer bestimmten sozialen Gruppe?
Ich habe mir auch immer die Frage gestellt, aus welcher sozialen Schicht die Frauen kommen, weil ich fürchtete, ich würde nur mit Frauen zu tun haben, die so sind wie ich. Die Frauen kommen aber aus den verschiedensten Schichten und treffen sich vor allem in dem Punkt, dass ihnen die Frauenfrage wichtig ist und dass sie nach konkreten Handlungsschritten suchen.
Das Treffen in einer Frauengruppe ist dann für viele der Startpunkt, aktiv zu werden. Wir denken und arbeiten dabei auf drei Ebenen: an uns selbst, mit den Frauen und an der gesamten Gesellschaft. Dabei wird der Kontakt oft über persönliche Netzwerke hergestellt. Es werden Freundinnnen und Bekannte mitgebracht unabhängig davon, in welcher Organisation die gerade aktiv sind.
Über Jahre hinweg waren wir als unabhängige Fraueninitiative in Izmir sehr aktiv. Diese Gruppe hat sich aber nun in verschiedenen Teilgruppen aufgelöst – was ohne Streit geschah und für alle Beteiligten die richtige Fortsetzung der bisherigen gemeinsamen Arbeit gewesen ist.
Warum wählst Du Gewaltfreiheit als Prinzip?
An der Frage von Gewalt und Gewaltfreiheit als Gegenmodell zu arbeiten, ist für mich eine grundsätzliche Entscheidung.
Obwohl die türkische Gesellschaft stark militarisiert ist, wird in vielen oppositionellen Gruppen Gewalt nicht als Problem wahrgenommen. Gewalt, sei es vom Staat ausgeübt oder von der Opposition, wird als akzeptables Instrument begriffen.
Diese Haltung hat uns über all die Jahre nicht weiter gebracht. Weder ist es gelungen mit oppositioneller Gewalt die Staatsgewalt zu bekämpfen noch haben wir einen Ausblick auf eine mögliche gewaltfreie Gesellschaft gewinnen können.
Wenn wir uns nicht daran machen, Gewalt- und Herrschaftsverhältnisse insgesamt zu hinterfragen und zu analysieren und eine Alternative aufzuzeigen, dann geht unsere politische Arbeit ins Leere. Wenn wir an jeder Stelle und von jedem individuellen Standpunkt aus, diese Verhältnisse betrachten und aufzulösen versuchen, dann führt uns das zu Selbstbestimmung und Freiheit. Ich weiß, es ist ein schwerer Prozess, persönlich wie auch gesellschaftlich. Fangen wir also an!
Wie verhalten sich Regierung, Polizei und Anwaltschaft Dir gegenüber? Bist Du Repression ausgesetzt?
Ich kann nicht sagen, dass ich persönlich einem besonderen Druck vom Staat ausgesetzt bin. Als Linke sind wir alle der Repression des Staates ausgesetzt, aber bisher hat es keinen Druck gegeben, der sich gegen mich als Person gerichtet hätte.
Als wir damals, 1994, den Verein der KriegsgegnerInnen in Izmir gegründet und geführt haben, war der Druck stärker zu spüren. Der erste Verein wurde geschlossen, wir haben Zeitschriften herausgebracht, die wir nicht angemeldet haben und wir mussten unsere Vereinsprotokolle und Bücher vorlegen. Irgendwann waren wir als Verein nicht mehr in der Lage, die vielen Anforderungen zu erfüllen. Deshalb haben wir den Verein schweren Herzens Ende 2001 selbst geschlossen.
Als Trainerin habe ich dann in den vergangenen Jahren in einer Gruppe gearbeitet, die keine gesetzliche Struktur hatte, die kein Verein war. Die Trainingsarbeit ist ja auch nicht sehr öffentlich, so dass der Staat darauf keinen Einfluss nimmt.
Woher nimmst Du die Kraft, weiter zu machen?
Aus dem was ich täglich erlebe und mit dem Gefühl lebend, dass „deren“ Gewaltkonzept uns jeden Tag einschnürt, ist es mir ein Bedürfnis, nach Freiheit zu suchen und mit den Dingen weiter zu machen, die wir begonnen haben. Ich empfinde es dabei weniger als ein persönliches Anliegen als viel mehr als eine allgemeine Pflicht. Wenn es etwas gibt, was ich machen kann, um der mich umgebenden Ungerechtigkeit zu begegnen, dann gibt es kein zurück. Es gibt Momente, in denen ich mich müde und mutlos fühle, aber dann schöpfe ich wieder Kraft daraus, dass es richtig ist, wovon ich überzeugt bin. So lange sich noch keine Resignation einstellt, mache ich weiter.
In welchem Projekt arbeitest Du zur Zeit und welche Methoden verwendest Du?
Gerade habe ich die Zusage für eine Stelle in der Frauenstiftung in Ankara erhalten. Ich werde dort in den kommenden anderthalb Jahren in einem Projekt zu Gewalt gegen Frauen in Familien und zum Menschenhandel arbeiten. Wir verfolgen das Ziel, in vier Städten in Zentralanatolien eine Reihe von Frauenselbsthilfegruppen einzurichten und die jeweiligen Behörden zur Unterstützung zu gewinnen. Dabei müssen wir eine Sprache und Methoden wählen, die weder die Frauen, noch die meist männlichen Entscheider vor den Kopf stößt.
Das strategische Ziel ist es, Frauenhäuser auch in diesen Regionen zu eröffnen. Die wieder gewählte AKP ist erstaunlich offen in dieser Frage. Ich vermute, sie versuchen von ihrem konservativen Image weg zu kommen. Durch eine Finanzierung der Europäischen Union sind wir glücklicher Weise von den Parteien unabhängig.
In der Stiftung bin ich nun in einem sehr professionellen Umfeld von Frauen angekommen, die sich schon sehr lange mit diesen Fragen beschäftigen.
Mit den Methoden des Trainings zu gewaltfreiem Handeln habe ich dort etwas beizutragen.
In einem Bericht aus dem Jahre 2003 schreibst Du von dem Vorhaben, ein Zentrum für Gewaltfreiheit in der Türkei einzurichten. Wie steht es mit dem Projekt?
Wir träumen immer noch davon, aber wir wissen auch, dass es in der näheren Zukunft nicht Wirklichkeit werden wird. In der Frauenstiftung lerne ich in den kommenden Jahren, wie ein größeres Projekt aufgezogen wird und ich sammele Erfahrungen mit einer Finanzierung durch die EU.
Dass wir in der Stiftung mit den Methoden gewaltfreien Handelns arbeiten können, ist ein Erfolg unserer bisherigen Aktivitäten. Vor 5 Jahren wäre das nicht möglich gewesen. Großen Einfluss hat aber auch der Annäherungsprozess an die EU, der Finanzierungen ermöglicht und langsam die Meinungen der Entscheider verändert.
Ein Zentrum zu Gewaltfreiheit bleibt in unseren Köpfen und wir verbinden das, was wir heute tun, gedanklich damit, welchen Beitrag es zu diesem Zentrum leisten kann. Zur Zeit ist es aber einfacher, das Konzept Gewaltfreiheit über Themen wie Menschenhandel oder Umweltzerstörung in die Gesellschaft einzuführen, als das Thema Herrschaft, Krieg und Gewalt direkt zu konfrontieren.
Was glaubst Du, wie wichtig Deine Arbeit für andere AktivistInnen ist?
Ich kann die Frage nur für die Türkei beantworten und ich bin froh, dass wir das Programm Training für TrainerInnen erfolgreich beendet haben, dass wir andere angestoßen haben, über Gewalt in der Linken und das Verhältnis der Linken zu Gewalt zu diskutieren. Es wundert mich dabei nicht, dass sich vor allem Frauengruppen, Homosexuelle und Transsexuelle für unsere Arbeit interessieren. Sie erleiden Gewalt und Gegengewalt ist keine Option für sie. Aber über das Thema Kriegsdienstverweigerung kommen wir auch in der patriarchalen Linken an und werden dort ernst genommen.
Anmerkungen
Das Interview wurde am 25.08.07 geführt. Die Fragen lagen Ferda vor dem Interview vor und waren von ihr z.T. schriftlich beantwortet. Das Gespräch beschränkte sich auf Nachfragen.
Übersetzung und Nachfragen: Jörg Rohwedder.
Eine längere Version des hier gekürzten Vorabdrucks erscheint demnächst in dem Buch: Felix Kolb/Bewegungsstiftung (Hg.), Damit sich was bewegt. Wie soziale Bewegungen und Protest Gesellschaft verändern, VSA-Verlag, 128 Seiten, 9.80 Euro, ISBN 978-3-89965-252-9