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„Strike Bike“, Widerstand und Selbstbehauptung

Nordhausen - FahrradwerkerInnen rebellieren gegen die kapitalistische Logik

| Folkert Mohrhof (FAU-IAA und Café Libertad Kollektiv eG, Hamburg)

Seit dem 10. Juli 2007 halten 135 KollegInnen der Fahrradfabrik Bike Systems GmbH in Nordhausen das Werk besetzt. Sie wollen verhindern, dass der Betrieb demontiert und verkauft wird und haben deshalb beschlossen, die Produktion von Fahrrädern in Selbstverwaltung aufzunehmen (GWR-Red.).

Zum Hintergrund

Am 7. November 2005 verkaufte die Biria AG ihre zwei Fahrradwerke im sächsischen Neukirch und thüringischen Nordhausen – zusammen über 400 Arbeiterinnen und Arbeiter ohne Arbeitsplatzgarantie – an den US-amerikanischen Finanzinvestor Lone Star mit Sitz in Brüssel und Frankfurt/Main.

Eingefädelt hat diesen Deal der ehemalige Biria-Bevöllmächtigte Gerhard Urbannek.

Der damals zweitgrößte deutschen Fahrradhersteller mit jährlich einer halben Million Räder und einem Umsatz von 75 Millionen Euro gibt damit auf.

Aufgrund einer Flaute im Fahrradgeschäft konnte oder musste sich der Marktführer, die MIFA – Mitteldeutsche Fahrradwerke AG im sachsen-anhaltinischen Sangerhausen, den Konkurrenten Biria durch den Erwerb sämtlicher Wirtschaftsgüter (Asset Deal) über die Lone Star-„Plünderer“ aus Texas einverleiben. Sie bekommen „notleidende Kredite“ von Banken angeboten und kaufen alles, was ihnen unter die Nägel kommt.

Im Jahr 2005 gründete die Lone Star in Berlin über ihre diversen Anwaltskanzleien die gattus 233. GmbH und konzentrierte dort alle Vermögenswerte der beiden Biria AG-Werke: Patente, Rechte, Forderungen und Fahrrad-Material – vor allem aber die Kundenkarteien als „immaterielle Vermögenswerte“. Damit ist die Biria AG nichts mehr wert und muss in den Konkurs gehen.

Das erledigen die findigen Manager der Hudson Advisors Germany (HAG), die die Drecksarbeit für die imperialen Kreuzzüge der Lone Star rund um den Globus machen, sie fegen die Reste zusammen, kassieren die Profite und wickeln ab. Wie z.B. die Auffanggesellschaften oder die Insolvenzverfahren. Da haben sie ihre eigenen „Hyänen“, die seit Jahrzehnten für sie arbeiten.

Nachdem das Neukirchener Werk Ende 2005 dicht gemacht wurde und ohne nennenswerten Widerstand die Produktion der gelben Postfahrräder an die MIFA überging, war auch das Ende von Nordhausen längst geplant. Durch einen perversen MIFA-Lohnfertigungsauftrag mussten bis zu 30.000 Fahrräder monatlich für Aldi, Metro und Penny produziert werden. So schlachtete die MIFA die Biria AG endgültig aus. Der Preis auch für die maximale Anzahl produzierter Fahrrad-„Einheiten“ betrug laut Vertrag vom 5. Dezember 2006 ganze 204.000 Euro, pro Rad also auf 6,80 Euro. Dieses bewusste Ausbluten gehört zur Strategie der Lone StarAdvisors, die dann lauthals verkünden, dieser Betrieb sei nicht mehr konkurrenzfähig. Es sind die gleichen Typen, die zukünftig die benötigten 4,5 Millionen verkauften Fahrräder vollständig in China zusammenbauen lassen werden.

Die Halbwertzeit des MIFA-Standortes Sangerhausen ist vorprogrammiert: der ehemalige Biria AG-Vorstand Brüning hat für seine hervorragenden Dienste bei der „Komplett-Sanierung“ der Konkurrenz umgehend einen Vorstandsposten bei der MIFA erhalten. Befristet ist dieser Vertrag bis Ende 2009 – just in diesem Jahr will sich auch der ehemalige Direktor des Robotron-Kombinats in Sömmerda, und jetziger MIFA- und Hyrican AG-Aktionär (einer Billig-PC-Firma), Peter Wicht, mit 60 Jahren „zur Ruhe“ setzen.

Bereits einen Tag später, am 6. Dezember 2006, hat „der MIFA-Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats beschlossen, 100 Prozent der Geschäftsanteile an der gatus 233. GmbH von Lone Star Funds zu erwerben. Die gatus 233. GmbH hat zuvor Vorräte und Lagerbestände der Biria-Gruppe sowie Kundenverträge der Biria-Gruppe übernommen. Vorangegangen war ein Beschluss der Biria-Gruppe, den Betrieb in Neukirch stillzulegen.“ Die Integration der gatus 233. GmbH brachte der MIFA „immaterielle Vermögenswerte“ von 6,43 Mio. Euro ein – gekauft für 8 Millionen Euro. (1)

Wie kam es zur „Strike-Bike“-Kampagne?

Die ersten Meldungen über die Besetzungen haben die deutschen Wobblies (u.a. Ex-Genoss/innen der anarchosyndikalistischen FAU) auf ihrer Internet-Seite veröffentlicht – am 11.7.2007 dokumentierten sie einen Artikel aus der Thüringer Allgemeinen. (2)

Danach besuchten viele solidarische Kolleginnen und Kollegen das Nordhauser Fahrradwerk. Die erste Solidaritätsbekundung kam aus Mannheim, vom Betriebsrat der Alston Power, und dem Metallertreff des Stuttgarter Zukunftsforum (Gewerkschaftslinke). Es folgten Beiträge auf de.indymedia.org. In der Region hatte sich die Nachricht von dem besetzten Betrieb längst verbreitet und die Solidarität ist groß.

In Hamburg haben wir bei Café Libertad Kollektiv eG, einem selbstverwalteten Betrieb von FAU-Genoss/innen, der zapatistischen Kaffee aus Chiapas importiert, als Zeichen unserer Solidarität mit der Fabrikbesetzung Kaffee an die Belegschaft geschickt und unsere Werbe-Flyer über unser Projekt und Plakate mitgeschickt. Der Gewerkschaftslinke Dieter Wegner vom Jour Fixe Hamburg schreibt über seinen Besuch in Nordhausen am 31.7.: „Mit der Post wird ein großes Paket mit Kaffee (Marke Störtebeker) gebracht, mit dem Versprechen, bei Bedarf ein weiteres Paket zu schicken. Absender ist ein Hamburger Kollektiv.“ (3)

Auf Nachfrage lieferte das Café Libertad Kollektiv weiteren Soli-Kaffee nach Nordhausen. In der Nacht vom 23. auf den 24. August haben dann zwei Genoss/inn der FAU Hamburg und des Café Libertad das besetzte Werk zum ersten Mal besucht und wurden sehr freundlich empfangen. Bei unserem zweiten Besuch am 27. August wurde die Idee von einer möglichen Produktion angesprochen und wie wohl ein Fahrrad ankäme, das in einer besetzten Fabrik produziert wird.

Kurze Zeit später – am 4. September – meldete sich der Anwalt der Besetzer/innen, J. Metz, der schon während der Kali-Betriebsbesetzung in Bischofferode 1993 aktiv mithalf, bei Café Libertad und erklärte, dass eine Produktion im besetzten Werk prinzipiell möglich ist. Von da an wurde die Kampagne innerhalb der FAU vorbereitet. Es mussten noch rechtliche Dinge und natürlich der Segen der gesamten Belegschaft abgewartet werden.

Die Radspannerei Kreuzberg war der erste Ansprechpartner, wir kannten die Kolleg/innen von einer Veranstaltung in Berlin und als unsere Kunden – und die haben dann auch begeistert das „Strike-Bike“-Modell entworfen und mit Nordhausen koordiniert.

Der Solidaritätskreises „Strike-Bike“ der FAU startete eine Kampagne mit dem Ansprechen von vermeintlich alternativen Fahrradläden im gesamten Bundesgebiet. Trotz wenig Resonanz haben sich eine Reihe von Fahrrad-Kollektivbetrieben und -Läden durchgerungen, das eine oder andere Arbeitersolidaritäts-„Strike-Bike“ zu ordern. Das wichtigste Standbein jeder Kampagne ist wohl die Pressearbeit, die nach anfänglicher Startschwierigkeit eine weltweite Resonanz fand – die Idee der selbstverwalteten Produktion und die mutige Verweigerung einer sang- und klanglosen Abwicklung wurde sofort verstanden. Mittlerweile ist „Strike Bike“ wohl schon ein Synonym für Widerstand und Selbstbehauptung.

Am Abend des 19. September um 19.45 Uhr gab es dann endlich den Startschuss für die gemeinsam abgestimmte Kampagne. Endlich gab es die Verfügbarkeitszusagen für alle benötigten Einzelkomponenten des zu bauenden „Strike-Bike“. Das hat länger gedauert als geplant, weil im kapitalistischen Markt die Lieferanten kein „besetztes Fahrradwerk“ beliefern wollten oder nur gegen Vorkasse. Deshalb die sofortige Anzahlung für die bestellten Räder – abgesichert durch eine „Geld-zurück-Garantie“ der eingehender Gelder über ein Rechtsanwaltskonto. Parallel wurde von den Kolleginnen und Kollegen der Verein „Bikes-in-Nordhausen“ gegründet, der die Produktion abwickeln und die Interessen der beteiligten Fahrradwerker vertreten soll.

Die lokale Zeitung, die unsere Pressemitteilung aufgriff, war die nnz – die Neue Nordhäuser Zeitung – , die am 20.9. schrieb: „Es könnte losgehen …“. Kein Wort über die IG Metall, nur FAU und „Strike-Bike“. Es folgte ein großer Artikel im Neuen Deutschland vom 21.9. unter Überschrift: „Aufmüpfiges Kollektiv sucht Kunden“.

Am 27. September dann die nnz-Mitteilung, dass es „bei der Bike Systems GmbH – vorsichtig ausgedrückt – undurchsichtig“ werde. Denn der vorläufige Insolvenzverwalter ließe „über seinen Kanzlei-Chef ausrichten, das Nordhäuser Unternehmen werde geschlossen. Es gebe keinen Investor. Nach nnz-Informationen ist das so nicht richtig …“ Tags drauf berichtet dann auch Spiegel-online, dass es „zur Weiterführung der Produktion … dieses Interessenten-Trio um Gerhard Urbanek immer noch“ gäbe. „Mehr noch: Sie könnten (…) am 1. März 2008 mit der Fahrrad-Produktion loslegen.

Bestellungen für 77.000 Räder sollen die Herren Urbanek & Co. in der Tasche haben.“ (nnz) Am 28. September dann der endgültige „Durchbruch“ – die ARD-tagesthemen senden einen Kurzbericht. Jetzt ist Nordhausen ein Thema. Mittlerweile gibt es ein „Strike-Bike“-Jingle für freie Radios (4), Videoaufnahmen und eine PowerPoint-Präsentation über die Zusammenhänge und Hintergründe dieser Skandalgeschichte.

Die Internationale Solidarität

Unterschiedlichste Hilfe und Solidarität kommt von Fahrrad-Kollektiven und -Betrieben, lokalen anarcho-syndikalistischen Gewerkschaftsgruppen wie der CNT-AIT Spaniens aus Sevilla, Valencia, Teruel und dem Baskenland, dem Allgemeinen Syndikat aus Wien, der sibirischen SKT, der Betriebsgruppe der CGT bei Airbus in Madrid, FAU-Ortsgruppen, Metaller-Kolleginnen und Kollegen, linken Gewerkschafter/innen; Post kommt aus Kairo, Tel Aviv, Australien, Kanada, Polen, Ungarn, Sibirien, Brasilien, Bolivien, Johannesburg, von den Wobblies der Starbucks-Gewerkschaft in den USA und Schottland, aus Moskau, Finnland, Kanada und anderswo kommen Interviewanfragen, Radio- und Fernsehsendungen berichteten rund um den Globus. Und vor allen Dingen: es werden über 1.800 Fahrräder bestellt!

Wie geht’s weiter in Nordhausen?

Ab dem 23. Oktober beginnt die Produktion von 1809 „Strike-Bikes“. Es wird darüber wieder weltweit berichtet und viele Genoss/innen und Kolleg/innen werden dabei sein.

Zum 1. November sollen die entlassenen Arbeiter/innen in eine Auffanggesellschaft geparkt werden. Vielleicht können sie während dieser achtmonatigen angeblichen „Qualifizierungsmaßnahme“ auch über ihren Arbeitskampf und die Zukunft einer eigenständigen, selbstverwalteten Fahrradproduktion nachdenken. Sollte ein kapitalistischer Investor – wider Erwarten – gefunden werden, stehen Aufträge bereits in den Büchern. Der Verband der selbstverwalteten Fahrradläden (VSF) hat Interesse an einer Abnahme von 20.000 Fahrrädern hoher Qualität und – auch das „Strike-Bike“-Arbeiter-Solidaritäts-Fahrrad dürfte in weiteren Versionen eine konkrete Chance haben. Bestellungen kommen weiterhin aus aller Welt herein (USA, Kanada, Australien) – wir haben deshalb bereits eine neue Warteliste eröffnet für die nächste Edition, diesmal vielleicht in schwarz

Ob vielleicht doch mit einer längerfristigen selbstverwalteten Produktion in Form einer Genossenschaft in Belegschaftsbesitz auf die Beine gestellt werden kann oder muss, hängt von dem „aufmüpfigen Kollektiv“ (Neues Deutschland) der BesetzerInnen ab. Die FAU ist zuversichtlich und davon überzeugt, dass sich im Werk in Nordhausen niemand mehr mit frommen Sprüchen und leeren Arbeitsplatzversprechungen abspeisen lassen wird – und dass die MIFA-Löhne und -Arbeitsbedingungen auch zukünftig in diesem Betrieb nicht akzeptiert werden.

Diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die meinen, sich gegen die kapitalistische Logik wehren zu müssen, ehe sie ihre eigenen Überzeugungen und ihre Würde als Arbeiter/in „zum Teufel“ gehen lassen, müssen sich woanders organisieren als in den DGB-Gewerkschaften.

Das Ziel sollte eine wirkliche Klassenkampforganisation sein, die nicht „in ihren tagtäglichen Zusammenstößen mit dem Kapital feige nachgeben„, weil sie sich dadurch „selbst unweigerlich der Fähigkeit berauben, (eine) irgendwelche umfassendere Bewegung ins Werk zu setzen(5). Da dies der DGB nicht will, bedarf es neuer kämpferischer Gewerkschaften und Organisationen, die den zwingend notwendigen Klassenkampf für eine bessere Gesellschaft führen wollen und fortsetzen können.

In diesem Sinne: „Nicht nur meckern, organisiert Euch!“

Weitere Infos

Solidaritätskreis "Strike-Bike" der FAU:
www.strike-bike.de