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Anarchismus in Costa Rica

Ein Interview mit Erland, Mitglied der libertären Gruppe "Kolectivo Autogestionario Libertario"

| Interview: Black Mosquito

Wenn überhaupt, dann ist Costa Rica vielen nur als "Schweiz Lateinamerikas" bekannt. Im Gegensatz zu der bewegten Geschichte einiger Nachbarländer (z.B. Nicaragua, El Salvador) ist Costa Rica immer für relativen sozialen Frieden und für einen vergleichsweise hohen Wohlstand bekannt gewesen. Aber auch in diesem Land gab und gibt es soziale Bewegungen, aktuell z.B. die Bewegung gegen das Freihandelsabkommen "Tratado de libre comercio" (TLC, engl.: CAFTA). Die anarchistische Szene Costa Ricas ist eine der lebendigsten in der Region. Über sie und ihre Geschichte geht es im folgenden Interview.

Graswurzelrevolution (GWR): Bitte stell Dich den Leser_innen vor. Wer bist Du, was machst Du?

Erland: Mein Name ist Erland und ich arbeite in dem kleinen Kollektiv „Kolectivo Autogestionario Libertario“ (Selbstbestimmtes libertäres Kollektiv). Es hat 10 Mitglieder. Wir machen verschiedenste Sachen, aber ich denke, das wichtigste ist unser Fanzine Re-Axion, weil es uns die Möglichkeit gibt unsere Positionen in die Öffentlichkeit zu tragen. Im Moment machen wir viel zum TLC – dem Freihandelsabkommen mit den USA.

GWR: Wie siehst Du die anarchistische Bewegung in Costa Rica im Moment?

Wächst sie ? Kannst Du uns was zu den verschiedenen Organisationen sagen?

Erland: Die anarchistische Bewegung ist in Costa Rica relativ klein, aber wir machen das Beste draus. Ich denke, die Bewegung wächst, allerdings qualitativ und nicht quantitativ – es gibt einige Aktive, die für eine lebenswerte Welt kämpfen.

Ich glaube, vor 50 Jahren war die anarchistische Bewegung größer und besser organisiert.

Es gab einige verschiedene Organisationen im Land, aber im Moment weiß ich nur von unserem Kollektiv, dem Circulo de Estudios de la libertad, welche das Magazin La Libertad (Die Freiheit) – das wichtigste anarchistische Magazin in Costa Rica – herausbringen, die G.A.E.S. (Grupo Anarquista de Expresión Social) – ein kleines Kollektiv aus der Provinz Guanacaste und ein anderes Kollektiv aus der Kleinstadt San Ramón, dessen Name mir gerade nicht einfällt.

Es gibt noch andere aktive Leute, allerdings habe ich darüber kaum Informationen.

GWR: Hat die anarchistische Bewegung in Costa Rica eine Basis im Anarchopunk (wie in vielen Ländern in Lateinamerika)? Wie steht es um den Anarchopunk in Costa Rica (Bands, Orte…)?

Es gibt viele aktive Anarchopunks, auch in unserem Kollektiv identifiziert sich ein Großteil (inklusive mir) mit Anarchopunk, aber allgemein ist die anarchistische Bewegung hier nicht im Anarchopunk verwurzelt. Die meisten Aktiven bei La Libertad sind keine Punks, aber es gibt einige. Es gibt Aktive aus allen Schichten und Altersklassen.

Es gibt einige politische diy-Bands, die größtenteils anarchistisch sind, z.B. Barrakas (meine Band), Enemig@s del Enemigo, K.A.M., Embolia Cerebral, Kaso Perdido, Infame, Anti-Dogma. Konzerte gibt es wenige, es ist schwer einen Ort zu finden und Geld ist ein weiteres Problem. Ein Frauenkollektiv mit dem Namen Ellas Arriba organisiert ab und an diy Konzerte. In Guanacaste ist es einfacher Konzerte zu organisieren, aber Guanacaste ist ziemlich weit weg von San José.

Wir haben mal über ein besetztes Haus in San José geredet. Kannst du uns die Geschichte dazu erzählen? War es die erste Besetzung in Costa Rica?

Vermutlich war es nicht das erste Squat, aber es war wohl das erste mit der Idee ein anarchistisches soziales Zentrum zu betreiben. Es gibt eine Menge Leute, die in leerstehende Häuser gehen, aber oft nur um dort zu saufen und Drogen zu nehmen und um dann wieder zu gehen.

Das Squat war sehr zentral in San José, bei der Universität von Costa Rica. Früher war es eine Fabrik für Unterwäsche oder sowas. Wir waren für ca. zwei Monate drin. In der Zeit haben wir nur renoviert und geplant, was mensch mit dem Raum machen kann.

Wir haben das Projekt im Januar 2006 gestartet und im März hat uns die Universität, der das Haus gehört, räumen lassen.

Gab es in der Vergangenheit eine große anarchistische Bewegung in Costa Rica? Kannst du uns ein wenig über die Geschichte des Anarchismus in Costa Rica erzählen?

In der Vergangenheit waren die anarchistische Bewegung und die sozialen Bewegungen größer. Hier gibt es eine große Gewerkschaft – die CGT (die nichts mit den gleichnamigen Organisationen aus Frankreich und Spanien zu tun hat). Als sie sich gründete gab es viele Anarchist_innen und anarchistische Ideen in der Gewerkschaft. Heute ist sie aber eine „kommunistische“ Gewerkschaft.

Die ersten anarchistischen Ideen kamen Ende des 19. Jahrhunderts nach Costa Rica, durch italienische Arbeiter, die die Zugverbindung an die Karibik-Küste gebaut haben. Es gab große Arbeitskämpfe und Demonstrationen in Limon (eine arme Stadt an der Karibik-Küste) und dieser Protest kam bis San José. Das ist bemerkenswert, da zu dieser Zeit der Weg San José-Limon sehr schwierig war. Es waren die ersten großen Proteste in Costa Rica. In dieser Zeit gab es einige libertäre Zeitungen: La aurora social, Hoja obrera, Orden Social, El trabajo, El arraigo del pueblo, Grito del pueblo, La lucha, El derecho und La causa del pueblo.

1909 gründeten einige Leute, darunter anerkannte Intellektuelle aus Costa Rica, Centro de estudios sociales germinal, vermutlich die erste anarchistische Organisation im Land. In diesem Jahr erschienen einige Publikationen, die wichtig für die anarchistische Bewegung waren, einige davon sind: Renovación, Le semour (auf Französisch), und El sol, die immer noch sehr bekannt ist.

Die soziale Geschichte dieses Landes ist verzweigt mit anarchistischen Menschen, Zeitungen und Organisationen, aber die „roten“ Organisationen versuchen den anarchistischen Hintergrund zu verschweigen und sich die Geschichte anzueignen.

Ich kann noch mehr zur Geschichte des Anarchismus in Costa Rica schreiben, es gibt einiges zu erzählen, aber ich glaube der Platz reicht hierfür nicht aus.

Es gibt eine große Bewegung gegen das TLC in Costa Rica. Kannst du etwas dazu sagen? Gibt es Verbindungen zur anarchistischen Bewegung?

Momentan ist Costa Rica das einzige Land im CAFTA, welches das TLC noch nicht angenommen hat, weil es eine so große Bewegung dagegen gibt.

Im Februar 2007 gab es in San José eine Demo mit ca. 170.000 Menschen gegen das TLC, dabei hat Costa Rica insgesamt nur 4 Millionen Einwohner_innen. Nun hat die Regierung sich entschlossen ein „Referendum“ einzuberufen, damit die Bevölkerung entscheiden kann ob das TLC angenommen wird oder nicht. Das ist allerdings nur eine politische Startegie, weil die Regierenden wissen, dass das die letzte Chance ist das TLC durchzukriegen.

Die eine Hälfte der Bevölkerung ist für das TLC, die andere dagegen. Die Statistiken sagen, dass die Gegner_innen mit ca. einem Prozent vorne liegen. Das ist bemerkenswert, da die Befürworter_innen des TLC das Geld haben um im Fernsehen und den anderen Massenmedien Werbung für das Abkommen laufen zu lassen. Die Gegner_innen liegen trotzdem vorn, obwohl wir nur durch Demos, Info-Veranstaltungen und Gespräche gegen das TLC mobilisieren konnten. Das läuft allerdings sehr gut.

Die anarchistische Bewegung arbeitet mit der Anti-TLC Bewegung zusammen, aber wir haben unterschiedliche Visionen. Und wir haben verschiedene Motivationen gegen das TLC. Ein Teil der Anti-TLC Bewegung ist z.B. patriotisch. Allerdings arbeiten wir in diesem Punkt mit der Bewegung bei einigen Aktionen zusammen, um eine starke Bewegung gegen diese beschissene, korrupte Regierung zu haben.

Was für Aktionen organisiert die anarchistische Bewegung? Gibt es viele Aktionen?

Im Moment arbeitet die Bewegung hart gegen das TLC: Informationen unter die Leute bringen, Beteiligung an kulturellen Aktionen, Konzerte und die Demonstrationen. Wir machen auch andere, regelmäßige Projekte wie z.B. Studien-Kreise, Kunst-Ausstellungen, Seminare, Filmveranstaltungen.

Wie sind die internationalen Kontakte?

Wir haben einige Kontakte. Ich glaube aber, dass die Leute trotzdem nicht wissen was in Costa Rica los ist. Ich persönlich stehe in Kontakt mit Leuten aus Kanada, U.S.A, Mexiko, Guatemala, El Salvador, Nicaragua, Kolumbien, Venezuela, Ecuador, Peru, Brasilien, Chile, Argentinien, Puerto Rico, Bolivien, Frankreich, Spanien, Deutschland, Belgien, Singapur, Japan, Israel und Ungarn. Ich glaube, wir haben gute Kontakte in alle Welt, weil auch andere Leute internationale Kontakte haben.

Kannst du uns etwas über die anarchistische Bewegung (aktuell und historisch) in den Nachbarländern (Panama, Nicaragua, Honduras, El Salvador) von Costa Rica erzählen?

Wir haben keine Kontakte in Honduras und Panama. Wir wissen von aktiven Leuten in Nicaragua, Guatemala und El Salvador, aber nicht allzu viel. Ich weiß, dass es in Guatemala und El Salvador aktive Anarchopunks gibt, die Fanzines rausbringen, Distros und Bands machen.

Gibt es in Costa Rica soziale Bewegungen, z.B. wie die Landlosen-Bewegung in Brasilien oder die Bewegungen in Argentinien?

Es gibt keine Bewegungen wie die in Brasilien und Argentinien. Aber mit der ganzen TLC Geschichte entsteht eine schnell wachsende soziale Bewegung. Diese Bewegung („NO“) ist sehr wichtig für Costa Rica und sie wird langsam auch international bekannt.

Anmerkungen

Kontakt zu Erland (in Englisch oder Spanisch): liberpunka@yahoo.es

www.myspace.com/barrakas

Hintergrund-Infos u.a. zur Geschichte des Anarchismus in Costa Rica:
www.black-mosquito.org