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Spanischer Herbst

In Spanien verhärten sich die Fronten zwischen linksnationalen BaskInnen und der Justiz

| Gaston Kirsche (gruppe bricolage)

"Linksabertzal" nennen sie sich selbst - abertzal ist das baskische Wort für patriotisch, und für die Abgrenzung von den christdemokratischen Abertzalen der PNV, der Baskisch-Nationalen Partei, steht das links. Die Linksabertzalen igeln sich in ihrem Nationalismus ein, gegen eine Kritik an ETA, dem Anagramm für Baskenland und Freiheit, werden die Reihen fest geschlossen.

Kepa Bereziartua, Parteivorsitzender der ANV, Baskisch-Nationalen Aktion, schaute grimmig in die Runde der MedienvertreterInnen. Die waren am 10. Oktober 2007 zahlreich wie selten der Einladung zur Pressekonferenz der ANV gefolgt.

Geplant war, dass Kepa Bereziartua und die Parteisprecherin Arantza Urkaregi den Aufruf der ANV zur Großdemonstration am 12. Oktober vorstellen, Motto: „Unabhängigkeit für das Baskenland!“.

Der 12. Oktober war zu Zeiten der Franco-Diktatur der höchste nationale Feiertag Spaniens: „Tag der Rasse und der Hispanität“. Am 12. Oktober 1492 landete Kolumbus für die spanische Krone in Amerika, es ist das symbolische Datum schlechthin für einen spanischen Nationalismus, wird heute als Tag der Nation und der Armee in Madrid mit einer Militärparade gefeiert.

Baskische NationalistInnen, die sich in kolonialer Abhängigkeit von Spanien sehen, fordern aus diesem Anlass alljährlich die Unabhängigkeit.

Doch die meisten MedienvertreterInnen wollten nur wissen, ob sich ANV denn vom letzten Attentat von ETA distanzieren würde.

Ein Journalist fragte Bereziartua viermal hintereinander, ob er das Attentat von ETA verurteile. Bereziartua und Urkaregui wiederholten beinahe gebetsmühlenartig, im Statut von ANV aus dem Jahre 1977 werde jede Art von Gewalt abgelehnt.

ANV entstand in den 30er Jahren als Abspaltung von der PNV, ist somit wesentlich älter als die 1959 aus einer Abspaltung von der PNV-Jugendorganisation entstandene ETA.

Bereziartua und Urkaregui betonten mehrmals, sie würden das Attentat von ETA genauso ablehnen wie die Gewalt des spanischen Staates, die sich in der Verhaftung der Parteileitung von Batasuna manifestiere. Beides sei Ausdruck des Konfliktes um Selbstbestimmung des baskischen Volkes – eine Formulierung, wie sie auch Vertreterinnen der Partei Batasuna, baskisch für Einheit, standardmäßig nach Attentaten von ETA benutzt hatten.

Prompt wurde Bereziartua in spanischen Medien als Hardliner eingestuft und gefragt, wann die ANV denn nun wie Batasuna verboten werden würde.

Unter den TeilnehmerInnen der von der Polizei am 4. Oktober in Segura festgesetzten Sitzung waren auch einige Mitglieder von ANV. In internen Papieren von Batasuna ist die Rede davon, dass ANV und EHAK, die im Regionalparlament vertretene Kommunistische Partei der baskischen Länder, beide mit Batasuna „das Ziel eines sozialistischen und unabhängigen Baskenlandes teilen“.

Aber am Tag zuvor war am Auto von Gabriel Ginés eine Sprengfalle von ETA explodiert, als er sein Auto öffnete, das er am Abend zuvor in der Altstadt von Bilbao geparkt hatte. Ginés, der als Leibwächter des sozialdemokratischen Kommunalpolitikers Juan Carlos Domingo aus der baskischen Kleinstadt Galdakao arbeitete, erlitt schwere Verletzungen, wird aber überleben. Der Anschlag lässt auf ETA schließen, die in der Vergangenheit häufig solche Sprengfallen eingesetzt hat, um gezielt zu Töten. Anders als bei der Autobombe, die ETA während ihres Waffenstillstandes an Sylvester 2006 im Parkhaus des Flughafens von Madrid zündete, gibt es bei den Sprengfallen keine Vorwarnung und ETA bekennt sich in der Regel in ihren Kommuniques erst später zu einer Reihe vorangegangener Anschläge.

Trotzdem zweifelt niemand daran, dass ETA für den Anschlag auf Gabriel Ginés verantwortlich ist. Denn ETA hat seit der Aufkündigung des Waffenstillstandes am 6. Juni bereits dreimal Bomben gezündet.

Am 24. August explodierte eine Autobombe vor einer Polizeikaserne in Durango nahe Bilbao, es gab trotz Vorwarnung zwei leicht verletzte PolizistInnen und erheblichen Sachschaden, am 25. September ging ein Sprengsatz nachts in einem Kommissariat in Zarautz in der Nähe von San Sebastian hoch, mit erheblichem Sachschaden, am 2. September beteiligte sich ETA am jährlichen Verkehrschaos zum Ende der Sommerferien mit dem Zünden von elf kleinen Sprengsätzen an diversen Autobahnen Spaniens nach Vorwarnung, weshalb die Straßen stundenlang gesperrt wurden.

Das Kommunique, in dem sich ETA im September zu diesen Anschlägen mit Sachbeschädigung bekannte, endete mit der Feststellung „solange im Baskenland keine demokratischen Bedingungen herrschen für alle politischen Projekte des Baskenlandes, wird ETA fortfahren die Einrichtungen des spanischen Staates an allen Fronten anzugreifen.“

Gemeint war damit neben vielen anderen Einrichtungen wie der 1999 verbotenen Tageszeitung egin oder baskisch-nationalen NGOs die als angeblicher Bestandteil von ETA seit 2003 verbotene Partei Batasuna, der wichtigsten Organisation der linksabertzalen oder linksnationalen BaskInnen. Deren komplette Leitung, der „nationale Tisch“, wurde am 4. Oktober während einer heimlichen Sitzung im Dorf Segura verhaftet, 19 PolitikerInnen sitzen wegen Fortführung einer verbotenen Partei und Unterstützung von ETA ohne Chance auf Haftverschonung ein.

Unter den TeilnehmerInnen der von der Polizei am 4. Oktober in Segura festgesetzten Sitzung waren auch einige Mitglieder von ANV.

In internen Papieren von Batasuna ist die Rede davon, dass ANV und EHAK, die im Regionalparlament vertretene Kommunistische Partei der baskischen Länder, beide mit Batasuna „das Ziel eines sozialistischen und unabhängigen Baskenlandes teilen“.

In spanischen Zeitungen wie El País, El Mundo oder ABC reichte diese Feststellung den meisten Kommentatoren, um ein Verbot von ANV und EHAK zu fordern.

ANV kandidierte dieses Jahr im Mai bei den Kommunalwahlen im Baskenland und regiert seitdem in über 40 Rathäusern kleinerer Städte und Dörfer.

Obwohl die Hälfte Ihrer Kandidaturen verboten wurde und sie in zahlreichen Hochburgen der Linksabertzalen nicht antreten durfte. Angesichts des drohenden Verbotes betonte Kepa Bereziartua von der ANV: „Wir sind eine politische Kraft mit 190.000 Stimmen bei den letzten Kommunalwahlen, 190.000 Personen, welche eine Idee und ein politisches Ziel verteidigen: die Unabhängigkeit für dieses Volk“.

Nekane Erauskin, die Sprecherin der Fraktion von EHAK im baskischen Regionalparlament, erklärte anlässlich der Razzia gegen die Parteiführung von Batasuna, bei der zeitgleich am 4. Oktober auch der Parteisitz von EHAK in San Sebastián/Donosti von einem martialischen Großaufgebot der Polizei durchsucht wurde, diese sei „faschistisch“.

Erauskin verwahrte sich gegen die drohende Kriminalisierung von EHAK und betonte, sie hätten „alles Recht der Welt, unsere Parlamentsarbeit fortzuführen“. Mit der massiven Repression würde die sozialdemokratische Zentralregierung Spaniens versuchen, „die Türen zur Unabhängigkeit zu verschließen“.

Der Untersuchungsrichter Baltasar Garzón, der die Razzia gegen die Parteileitung von Batasuna anordnete, begründete die juristische Härte damit, dass sich Batasuna anders als zu Zeiten des Waffenstillstandes von ETA nicht um Verhandlungen bemühe, sondern sich auf die Rechtfertigung der Anschläge von ETA und die Konfrontation vorbereite.

Als Beleg dafür zitiert er aus dem internen Batasuna-Papier „Anleitung für die Volksversammlungen“, in dem es laut Garzón heißt: „Der Prozess der Verhandlungen ist beendet und es gibt kurzfristig keine Möglichkeit, ihn wieder zu aktivieren“, weshalb „es nötig ist, sich auf eine Phase der Konfrontation einzurichten.“

Das nicht verhaftete Leitungsmitglied Pernando Barrena sprach am 12. Oktober von „einem rein repressiven Kurs, den die Justiz auf Anweisung der spanischen Regierung eingeschlagen hat“. Es würden jetzt wieder finstere Zeiten anbrechen, aber das sei für Batasuna nichts ungewöhnliches: „Die abertzale Linke und ihre SprecherInnen sind es seit langer Zeit gewohnt unter Repression zu leiden“, so Barrena.

Mit der verstärkten Repression bestätigt die spanische Justiz die Selbstwahrnehmung der Linksabertzalen als Opfer spanischer Fremdherrschaft

Mit den Worten von Barrena: „Bei einer Razzia dieser Art ist es nicht vorhersehbar, wann sie stattfindet, aber sie passt perfekt in unsere Analysen und unsere Vorhersagen“.

Es sei eine „Kriegserklärung an die baskische Unabhängigkeitsbewegung“, so Barrena.

Ungewöhnlicherweise antwortete ihm der spanische Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba umgehend auf einer Pressekonferenz am selben Tag im Oktober: „Der Staat wird immer gegen jene vorgehen, die Bomben legen und auch gegen diejenigen, welche ETA unterstützen oder politisch legitimieren.“ Rubalcaba versuchte Barrena zu kontern: „Wer davon redet, dass jetzt finstere Zeiten anbrechen, muss die Erinnerung verloren haben, denn finster ist die gerade vergangene Zeit, weil es sieben Versuche von ETA gab, Bomben zu legen“.

Jenseits dieses Schlagabtausches entlang der imaginären, national aufgeladenen Frontlinie gibt es auch andere Stimmen: Etwa von Patxi Zabaleta, Parteikoordinator und Abgeordneter im Regionalparlament für Aralar. Aralar, benannt nach einem beeindruckenden Berg im Zentrum des Baskenlandes, spaltete sich im Jahr 2000 von Batasuna ab, nachdem diese sich auch damals nicht distanzierte, als ETA nach einem einjährigen Waffenstillstand ähnlich wie jetzt im Juni wieder zum bewaffneten Kampf zurückkehrte. Zabaletas Partei hat nichts vom Nationalismus von Batasuna abgelegt, aber das militaristische Denken.

Die Inhaftierung der Parteileitung von Batasuna kritisiert er, weil sie „jede Möglichkeit zur politischen Entwicklung“ in der Partei verhindere, „weil jetzt alle zusammenstehen gegen eine Regierung, die sie verfolgt“.

Auch die in der Region Navarra aktive Partei Batzarre, baskisch für Versammlung, in der etliche undogmatische Linke der Region mitwirken, erklärte ihre absolute Ablehnung der Verhaftung der Leitung von Batasuna: „Dies ist eine schwere Verletzung der Menschenrechte der Inhaftierten.“ Außerdem „fern davon, das Zusammenleben in Frieden und Freiheit zu erleichtern“.

Vielmehr würde die Repression „die Konfrontation verstärken und jenen Vorwände liefern, die den Gebrauch von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele rechtfertigen und damit das Gegenteil davon bewirken, die Gewalt sozial zu delegitimieren, wofür die ungeteilte Achtung der Menschenrechte eine unverzichtbare Voraussetzung ist“.