Ist das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ein Konzept, das uns beim Kampf gegen Lohnarbeit und (Selbst-)Ausbeutung weiter bringt? Eine Frage, die wir in der Graswurzelrevolution (GWR) verstärkt diskutieren wollen. Den Anfang machte im Oktober in der GWR Nr. 322 die Labournet-Redakteurin Mag Wompel. Auf ihren Artikel "Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) - eine unkapitalistische Forderung gegen den Fetisch Lohnarbeit" antwortet nun Heiner Stuhlfauth. Er ist Mitglied der Industrial Workers of the World (IWW). 2003 war er Mitbegründer des inzwischen aufgelösten Arbeitslosensyndikats Köln (FAU) und danach Pressesprecher der Aktion "Agenturschluss" am 2. Januar 2005 in Köln. (GWR-Red.)
Wer gegen das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist, muss sich warm anziehen. Denn es erfüllt derzeit eine merkwürdig breite Front von VordenkerInnen aus FDP, CDU, Grünen, Gewerkschaften, attac bis hin zu radikalen Linken mit neuer Hoffnung. Als wäre es die beste Idee seit der Abschaffung der Kinderarbeit.
Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin eigentlich kein schlechter Mensch. Ich bin weder für Hartz IV, noch für sonst eine staatlich organisierte Armut, noch für einen staatlichen Zwang zur Arbeit (Ein-Euro-Jobs). Auch predige ich keinen protestantisch-kapitalistischen Arbeitsethos. Ich bin libertärer Kommunist und meine, die Menschen sollten arbeiten, weil sie entweder Spaß daran haben oder eine Notwendigkeit in ihrem Tun sehen. Ich meine ferner, dass die Klassengesellschaft durch umfassende Enteignung, Selbstverwaltung und prinzipiellen Zugang aller zu allen Ressourcen abgeschafft werden müsste.
Dennoch, nein, genauer gesagt: gerade deshalb halte ich die Forderung nach dem Bedingungslosem Grundeinkommen (BGE) für ausgemachten Unsinn. Die Debatte hat – wie es mir scheint – mehrere Ebenen: eine realpolitische, eine philosophische und eine bewegungstheoretische. Ich will versuchen, diese nacheinander kurz anzureißen.
Die wirkliche Welt da draußen
Die Bilder von Hunderten von AfrikanerInnen, die gemeinsam versuchen, die meterhohen Zäune der EU-Exklaven Ceuta und Melilla in Marokko zu stürmen, dürften euch noch im Gedächtnis sein. Im Mittelmeer schwimmen jeden Tag Dutzende von Leichen derer, die Leib und Leben riskieren, um in das gelobte Land Europa zu kommen. Die taz schreibt am 13.11.07: „Nach neuesten Angaben der europäischen Flüchtlingskoalition ‚Fortress Europe‘, die laufend Daten sammelt, sind dieses Jahr bereits 1.343 Menschen beim Versuch der illegalen Einreise aus Afrika nach Europa gestorben, davon über 500 im Mittelmeer – und die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. […] Marokko, Frontstaat der Emigration Richtung Spanien, hat nach eigenen Angaben in den ersten neun Monaten dieses Jahres 9.652 illegale Migranten abgefangen, davon 3.000 Richtung Kanaren.“ Wie die taz weiter berichtet, „landeten zwischen Januar und September 2007 12.753 illegale Migranten auf Sizilien, 1.396 auf Sardinien und rund 1.000 in Kalabrien. Malta verzeichnete 1.552 Ankömmlinge“.
Wir wissen nicht genau, wie diesen internationalen Wanderern Deutschland erscheint, wie sie es sich in ihren Träumen und Legenden ausmalen. Allgemein ist Deutschland in der Welt bekannt als das einzige Land, das flächendeckend asphaltiert ist und in dem es auf Autobahnen keine Geschwindigkeitsbeschränkungen gibt. Wenn der Ruf hinzukommt, dass man hier fürs bedingungslose Nichtstun im Weltmaßstab viel Geld bekommt, dürften deutsche Arbeitslose im Auslandsurlaub zu den begehrtesten SexualpartnerInnen der Welt werden (spätere Heirat erwünscht), und die europäischen Grenzen würden im DDR-Stil – allerdings nach außen – gesichert werden.
Kurzum: Die Forderung nach dem BGE ist nationalstaatlich gedacht, verkennt die globalisierte Welt in ihrem Kern, sie ist borniert. Sie würde – vorausgesetzt, eine BGE-Variante würde sich durchsetzen, die mehr als ein Etikettenschwindel wäre – eine ungeahnte Dynamik von Einschluss und Ausschluss in Gang setzen. LohnarbeiterInnen werden beginnen, Arbeitslose zu hassen, weil sie für diese mitarbeiten, deren „schönes Leben“ erwirtschaften müssen. Arbeitslose beginnen, illegale EinwanderInnen zu hassen, weil diese ihr kleines Paradies bedrohen. In die lange dunkle Röhre guckt das Heer der illegal Beschäftigten in Deutschland, das geheime Schmiermittel jeder kapitalistischen Ökonomie; denn diese würden mit faschistoiden Razzien und Menschenjagden davon abgehalten, in die Kaste der BGE-EmpfängerInnen aufzusteigen.
Soweit wird es aber nicht kommen, denn das BGE in linker Variante ist … Ja, was eigentlich? Naive Illusion? Kalkulierte Bauernfängerei? Mogelpackung? Es schillert in diversen Nuancen.
Mal philosophisch gedacht
Der Staat an sich. Ein großer Beitrag, den die anarchistische Betrachtung für die sozialen Bewegungen einschließlich der Arbeiterbewegung in den letzten 150 Jahren geleistet hat, liegt in ihrer Staatskritik.
Karl Marx und die seinen sahen in dem Staat ein Werkzeug, dass es in die Hand zu nehmen (zu erobern) gälte, mit dem dann der Sozialismus aufgebaut werden könnte.
Das unverhohlene Instrument bürgerlicher Unterdrückung sollte in einer Übergangsphase die Diktatur des Proletariats ermöglichen, gegen die herrschende Klasse gerichtet werden und dann langsam absterben.
In einem Brief von Bakunin, der diese Auffassung gegenüber Marx kritisierte, sind bereits die elenden Verhältnisse der real-sozialistischen Staaten des Ostblocks ausgemalt (siehe Michail Bakunin (1873): „Niemals wird es Arbeiter- oder Bauernstaaten geben“, in: GWR 138, Nov. 1989, S. 5).
Ich bewundere Bakunin bis heute für diese Weitsicht.
Mag Wompel geht in ihrem Lob des BGE in der GWR 322 vom Oktober 2007 noch hinter Marx zurück. Der Staat, welcher uns in Zukunft das Grundeinkommen zu geben hat, erscheint hier – ohne erobert und umgedreht werden zu müssen (oder zu können) – wieder im Sinne Hegels und Kants als gesamtideeller Vertreter von Sitte und Moral einer Gesellschaft, als eine (zumindest potentiell) neutrale Instanz. Dieses Denken ist vermutlich seit Friedrich dem Großen metertief in diesem Land verwurzelt. (Oder reicht es bis Martin Luther zurück?)
Der Staat als Ansprechpartner: Er müsste doch, er sollte doch, wenn er doch nur vernünftig geleitet würde …
Vermutlich waren es Bismarck und die SPD, die diesen Pflock auch in die Arbeiterbewegung getrieben haben. Bismarck mit seiner Dialektik aus Sozialistenverfolgung und Sozialstaatsgesetzgebung (ab 1871, dem Jahr der Niederschlagung der Pariser Commune) und dann die SPD, 1914 zu Beginn des 1. Weltkriegs, mit ihrem Geben und Nehmen, der parlamentarischen Absegnung der Kriegskredite und der staatlichen Gegenleistung: Anerkennung der Gewerkschaften in den kriegswichtigen Industrien.
Der Staat an sich ist in den vergangenen 30 Jahren ziemlich gezaust und gerupft worden. Haben wir in den 1980ern noch gerufen: „BRD – Bullenstaat – wir haben dich zum Kotzen satt“, steht er heute mit leeren Taschen da.
Ein hilfloser Akteur, eine Art Zwischenhändler im Spiel der Globalisierung, der zittert vor Finanzkrisen, multinationalen Konzernen, Hedgefonds, Energieknappheit. Ihm steht inzwischen eine sympathische Frau vor, die wir – würden wir sie nicht kennen – auch für die Leiterin der Grundschule nebenan halten könnten.
Glaubt es oder nicht, lasst euch von attac und Sozis das Gegenteil rund rechnen: Der Staat hat tatsächlich keine Kohle über.
Er wird in den nächsten Jahren genug damit zu tun haben, abrutschende Währungen, strauchelnde Banken und Börsen, vor dem Chaos stehende Schuldnerländer zu stützen. Er zittert nicht vor dem Heer der Arbeitslosen, sondern vor dem drohenden ökonomischen Zusammenbruch der USA.
Daneben erscheint die Vorstellung, wir könnten ihm jedes Jahr eine angemessene Erhöhung des BGE aus der Tasche streiken, welche zu erwartende Kaufkraftverluste und Geldentwertung auffängt, absolut Banane. Wie haben wir uns das vorzustellen? Tausende Arbeitslose blockieren die Autobahnen – die Piquetero-Bewegung in Deutschland? Anders als in Argentinien werden hier sicherlich keine mafiösen Regionalpolitiker aufkreuzen und zur Beruhigung der Gemüter Taler unter die Menge werfen, damit die Straße wieder freigegeben wird. Das wird der Moment, in dem – flankiert durch Hasspropaganda von BILD, BamS und Glotze – wir notfalls abgeschossen werden wie die Fasane.
Soweit wird es glücklicherweise nicht kommen. Denn diese militanten Arbeitslosen, die da kampfbereit über das BGE wachen, gibt es weit und breit nirgendwo.
Bewegungslehre: Eine Niederlage zu verdauen
Der Kölner Autor Felix Klopotek hat einem lesenswerten Beitrag für „konkret“ nachgehalten, dass die Forderung nach BGE ursprünglich aus dem linken, operaistisch beeinflussten Milieu kam, zu dem in Frankfurt auch Joseph Fischer und Thomas Schmid gehörten. Letzterer ist inzwischen Chefredakteur der Tageszeitung Die Welt (Springer-Verlag). 1984 veröffentlichte er im Wagenbach-Verlag ein Büchlein mit dem Titel „Befreiung von falscher Arbeit. Thesen zum garantierten Mindesteinkommen“. Die Frankfurter Sponti-Gruppe „Revolutionärer Kampf“ hatte Anfang der 1970er zeitweilig sehr engagiert versucht, unter anderem durch Schichtarbeit an den Fließbändern, Kontakte ins Industrieproletariat aufzubauen.
Der Schwenk vom Lob der Arbeiterklasse zum Abgesang auf die Arbeit erscheint heute als ideologische Verbrämung der eigenen Niederlage, als Verarbeitung des Scheiterns an den eigenen hochtrabenden Visionen. Hinter dem Abschwören vom Fetisch „Lohnarbeit“ stand in Wirklichkeit das Lossagen von der Arbeiterklasse. Eine ähnliche Drehung vollführten die italienischen OperaistInnen in ihrer Theorie, als sie die Figur des rebellischen „industriellen Massenarbeiters“ durch die neue Konstruktion des „sozialen Arbeiters“ ersetzten. Nicht die Fabrik, sondern der Stadtteil sei der neue Ort der Auseinandersetzung.
Die Stadtteile, die sie damals meinten, sind heute meist luxussanierte Altbau-Viertel, die von Öko-Yuppies bewohnt werden.
Die Niederlage, die derzeit die Chimäre vom BGE hervorbringt, ist die letztendlich doch reibungslose Einführung von Hartz IV seit dem 2. Januar 2005, der Umbau des Arbeitsamtes, der Niedergang der Montagsdemos und das Feststecken der Versuche, eine radikale Arbeitslosengegenwehr auf die Beine zu stellen. Die Niederlage der gesamten arbeitenden Klasse lässt sich am Absinken des Reallohnniveaus messen, an Prekarisierung, vermehrtem Working poor und vorhersehbarer Altersarmut. Sie war nach dem Stand der Dinge kaum zu verhindern.
Eine starke sozialrevolutionäre Bewegung hätte aber vielleicht in keimenden Ansätzen daraus erwachsen können. Auch das ist bislang ausgeblieben. Wir arbeiten noch daran – mal optimistisch formuliert.
Was die allgemeine Akzeptanz der Hartz-IV-Realitäten angeht, will ich hier nur kurz auf einen Aspekt des bedingungslosen Grundeinkommens eingehen: das Adjektiv „bedingungslos“. Gemeint ist beim BGE, dass niemand zu Diensten wie Ein-Euro-Jobs gezwungen werden soll, um an das volle Geld zu kommen. Traurige Realität ist, dass die allermeisten Ein-Euro-JobberInnen diese Tätigkeit eher „freiwillig“ und „bereitwillig“ tun und dass die allermeisten Versuche, gegen Ein-Euro-Jobs Widerstand zu organisieren, fehlschlagen. Die Leute akzeptieren mehr oder weniger den Deal, bis zu 160,- Euro im Monat mehr zu kriegen; sie arbeiten sich nicht kaputt dabei, und sie sind froh, etwas anderes zu tun zu haben, als den ganzen Tag vor der Glotze zu hängen oder am Büdchen zu stehen oder morgens schon bekifft zu sein. Noch trauriger ist vielleicht das Bild der neuen BriefzustellerInnen, die da in orange (TNT) oder grün (PIN) durch unsere Städte radeln. Sie leisten echte Arbeit und erhalten oftmals aufstockendes Arbeitslosengeld II (Alg II).
Warum tun sie das? Sicher nicht nur des Geldes wegen.
Die vom Lohnarbeitsfetisch Befallenen
Die Leute wollen Teil dieser Gesellschaft sein, einen Beitrag leisten, im Rhythmus dieser Gesellschaft leben. Sie haben als ProletInnen nichts anderes anzubieten als ihre Arbeitskraft. Wenn dieses Kapital vor sich hin fault, fühlen sie sich unglücklich. Sie spüren die nicht umgesetzten Möglichkeiten am eigenen Leib. Daher sind Krankheiten und Süchte unter Arbeitslosen so verbreitet. Es geht nicht nur ums Geld, es geht auch um etwas Archaisches wie Produzentenstolz.
Sie wollen tatsächlich Freitag abends geschafft nach Hause kommen und Feierabend haben. Ausgehen mit KollegInnen. Überhaupt KollegInnen!
Die sind doch was Tolles. Sie wollen ihren Kindern eine vernünftige Antwort geben können, wenn diese nach dem Beruf fragen. Sie beneiden die LokführerInnen momentan für ihre Macht.
Man kann darüber lachen, es als Lohnarbeitsfetisch abtun. Ich verstehe es, denn mir geht es seit drei Jahren genauso.
Den Leuten als Stillhalteprämie einfach nur mehr Geld geben zu wollen, geht am Kern des Problems vollkommen vorbei. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Aus der Asche der Hartz-IV-Kämpfe steigt derzeit einzig die Linkspartei, und sie wird auch der Motor des BGE linker Prägung sein. Auf ihr ruhen die Hoffnungen, während die FDP schon seit langem fordert, die Arbeitsämter einfach abzuschaffen und das Geld direkt zu überweisen. Die Neoliberalen werden das „Bürgergeld“ voran treiben. Ein Sockelgeld, das zum guten Leben nicht reicht und einen Anreiz bietet, für kleines Geld dazu zu arbeiten. (Was jetzt schon mit dem Alg II passiert, das die Schwarzarbeit als Dazuverdienst befördert.)
Alle Organisierungsbemühungen von linker Seite sind nach 2005 weitgehend stecken geblieben und über temporäre Bündnisse und Kampagnen nicht hinaus gekommen.
Es wäre besser, einen Moment inne zu halten und diese Niederlage zu begreifen, sie an sich heran zu lassen, sich als arbeitsloser Teil der gesamten arbeitenden Klasse zu begreifen, anstatt direkt die nächste Kampagne zu reiten und sich damit hoffungslos auf dem Feld parlamentarischer Politik zu verrennen.
Und bitte, hört auf mit diesem arroganten Lohnarbeitsfetisch-Geschwafel. Das kenne ich sonst nur von superradikalen Autonomen (Bürgerkindern), Szene-AristokratInnen und Linken in wohligen Nischenjobs, die sich wundern, warum diese Idioten da draußen immer noch rennen und schuften.
Luxus für alle! Klaro! Wird gemacht.
Quellen / Links
"Hartz IV für alle", Felix Klopotek in Konkret Nr. 10, Oktober 2006. www.kpoe-steiermark.at/43.1904.0.0.1.0.phtml
"Boatpeople sterben weiter", Dominic Johnson, taz, 13.11.07. www.taz.de/nc/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=sw&dig=2007%2F11%2F13%2Fa0107&cHash=fa5f491d84
BGE bei Wikipedia
http://de.wikipedia.org/wiki/Bedingungsloses_Grundeinkommen
Archiv Grundeinkommen
www.archiv-grundeinkommen.de