Was ist, wenn Fanatiker ein großes Flugzeug kapern, mit der Absicht, damit in ein Atomkraftwerk zu brettern und dadurch einen Super-GAU auszulösen? Diese nach dem 11. September 2001 aufgetauchte, nicht ganz unberechtigte Frage hat im Prinzip drei Antworten gefunden.
1. Die Innenminister- und Feldwebel-Variante: Das Flugzeug muss rechtzeitig abgeschossen werden. Die darin befindlichen Passagiere usw. müssen zu diesem Opfer für die nationale Sicherheit bereit sein. Die kitzelnde Frage lautet, wie konkret eigentlich der Verdacht sein muss, um den Abschuss zu rechtfertigen. Atta hat ja auch nicht vorher herumposaunt, dass er ins World Trade Center zu fliegen beabsichtige.
An welcher Stelle der Flugroute hätte man dann ihn samt Kumpanen und Geiseln pulverisieren sollen?
2. Die Vernebelungsvariante:
Im Gefahrenfall werden alle deutschen Atomkraftwerke in künstlich erzeugten Nebelschwaden unsichtbar gemacht. Vermutlich ersonnen von Politikern, die ihr Verständnis von Öffentlichkeitsarbeit auf technische Phänomene übertragen zu können glaubten.
Die Methode hat den Schönheitsfehler, dass sie nur bei Windstille funktioniert, und außerdem unterstellt sie, dass niemand den Terroristen verraten hat, dass es GPS gibt.
3. Die Vogel-Strauss-Variante: Sie setzte sich recht schnell durch. Eine Verdrängung des Themas durch Hypen erfolgversprechenderer Fragen in den Medien, wie zum Beispiel die Höhe der Benzinpreise oder das außereheliche Balzverhalten von Prominenten.
Die vierte Variante – ein zügiges, geordnetes Beenden des Reaktorbetriebes, oder, mit einem bekannteren Begriff: der Ausstieg aus der Atomtechnologie – wurde nicht ernsthaft erwogen, weil ein höheres Rechtsgut dem im Wege stand: das Recht auf Profitmaximierung der Eigentümer von Eon, RWE, Vattenfall und Konsorten.
Aber wer nun glaubt: „Kismet – dann müssen wir eben mit diesem zusätzlichen Katastrophenrisiko auch noch leben!“ – hat den Einfallsreichtum deutschen Ingenieursgeistes unterschätzt. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hat ein kleiner Daniel Düsentrieb in der Klingenstadt Solingen eine ganz neue, fünfte Lösung für unser Problem ersonnen.
Egon Evertz – so heißt dieser Erfinder – ließ das Problem der luftterroristischen Gebäudegefährdung nach dem 11. September keine Ruhe mehr. Und er erfand – das „Eierschneider-Prinzip“. Gefährdete Gebäude – und er denkt vor allem an Atommeiler – sollen derart mit Drahtseilen umspannt werden (Abb.1), dass ein anfliegendes Flugzeug von diesen Drähten in Scheiben geschnitten wird wie ein hartgekochtes Ei mit dem auch „Eierharfe“ genannten Haushaltsgerät. Vielleicht wäre übrigens „Eierharfen-Prinzip“ ein Name, der für die Vermarktung dieser Erfindung noch erfolgversprechender wäre, weil er auf sympathische Weise an das künftige Dasein der scheiblierten Flugzeug-Passagiere als Engel gemahnt.
Wir sollten indes nicht zynisch werden, denn die schräge Zeltdach-Verspannung, die für AKWs vorgeschlagen wird, soll idealerweise zum „Aufgleiten des Fliegers“ führen, so dass die Insassen sogar eine Überlebens-Chance hätten.
Dass die Seile zugleich mit Sägezahnreihen ausgestattet werden (Abb.2), die die „Schneidwirkung“ verbessern sollen, scheint zwar gegen die Idee des Aufgleitens zu sprechen; aber wir sind schließlich keine Ingenieure wie Herr Evertz, er wird sich schon etwas dabei gedacht haben. Vielleicht ein „aufgleitendes Eierschneiden“ oder dergleichen. Als alternative Wege zur Verbesserung der Schneidwirkung bringt der Erfinder die Bestückung der Seile mit „heißverpresster Schleifschneidmasse“ nach eigenem Patent oder die Verwendung „kleinerer Haken, die das Flugzeug langsam aufreißen“, ins Spiel.
Wir sehen also: Der Mann hat an alles gedacht! Nun könnte man einwenden, dass, je sauberer das Flugzeug in Scheiben geschnitten wird, desto weniger seine kinetische Energie aufgezehrt wird. Ob die 500 Tonnen eines Airbus A380, die die Reaktorwand in einem Augenblick treffen, in einem Stück oder in drei oder fünf Eierscheiben treffen, dürfte der Reaktorwand eigentlich ziemlich egal sein: Sie geht zu Bruch, insbesondere wenn die Geschwindigkeit infolge der sauberen Schnitte kaum reduziert ist. Aber es ist leicht, an genialen Erfindungen herumzukritteln.
Auch die Brüder Wright wussten, als sie das Motorflugzeug erfanden, nicht, dass man mit einer ausgereiften Variante ihrer Erfindung hundert Jahre später in Atomkraftwerke würde knallen können. Auch der Eierschneider des Herrn Evertz wird gewiss vervollkommnet werden, der passende Kompromiss zwischen Schneide- und Bremswirkung gefunden und die Erfindung am Ende vielleicht noch z.B. mit einem Energieumlenker nach dem Sahneschläger-Prinzip kombiniert.
Oder sollte man hier besser von einem Schaumschläger-Prinzip sprechen?
Das beste an Evertz‘ Erfindung ist jedoch, dass sie uns – in Verbindung mit anderen tollen Neuerungen wie flächendeckender Videoüberwachung, dem „gläsernen Bürger“ oder dem „war on terrorism“ – ein Stück weit in die Lage versetzt, uns mit dem Terrorismus zu arrangieren und uns die lästigen Fragen nach dessen Ursachen zu ersparen.