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Die Aktionstage für Freiräume - Aktivitäten in Österreich

| Sebastian U. Kalicha

"On Friday the 11th and Saturday the 12th of April 2008, we call for two days of demonstration, direct action, public information, street-party, squatting… in defence of free spaces and for an anti-capitalist popular culture." (1) So beginnt der Call for decentralized days of action for squats and autonomous spaces, dem zahlreiche AktivistInnen in Europa und International gefolgt sind.

Wie fast überall, hatte es dieses Wochenende auch in Österreich in sich. Die beiden Aktionstage im Zeichen von Freiräumen und Besetzungen waren vollbepackt mit kreativen Aktionen, Demonstrationen, Hausbesetzungen und vielem mehr. Es gab Aktionen in Wien, Linz, Graz, Innsbruck und Salzburg.

Tag 1: Besetzungen, Demos, Wagenplatz

Begonnen hatten die sog. Squatting Days in Wien mit einer Demo, die ganz im Zeichen der prekären Situation der Wiener Wagenburg stand, die sich in der Vergangenheit immer wieder mit heftiger Repression konfrontiert sah. (2) Die laute Demonstration durch die Innenstadt endete, nach einem Zwischenstopp vor der argentinischen Botschaft für eine Solidaritätskundgebung mit den BesetzerInnen der argentinischen Fabrik Mafissa, mit der temporären Besetzung eines leerstehendes Grundstückes an der Arsenalstraße. Mit der Polizei wurde eine Übereinkunft getroffen, dass man am darauffolgenden Tag um 13 Uhr wieder abziehen werde, da der Anwalt des Eigentümers des Grundstücks – die Telekom Austria – angekündigt hatte, das Areal räumen lassen zu wollen. Trotz der Zusage der Polizei, keine Kontrollen durchzuführen, wurde dies vermehrt gemacht.

Unterdessen wurde nach einer Demonstration die seit Jahren leerstehende Talstation der Hungerburgbahn in Innsbruck von AktivistInnen besetzt, am darauffolgenden Tag jedoch wieder verlassen. Um ca. 23 Uhr wurde in Graz, trotz großer Anstrengungen der Polizei, die beinahe jedes Haus in der Stadt, das schon einmal besetzt wurde, bewachte, die Annenstraße 3 besetzt und das Projekt A-Z ins Leben gerufen. Am 18. April wurde das Haus von der Polizei geräumt. AktivistInnen versperrten den Eingang mit einer Sitzblockade, welche aber bald aufgelöst wurde, und die über das Dach ins Haus eingedrungene Polizei schaffte die sich im Haus befindlichen AktivistInnen ins Freie.

Ebenfalls am 11. April besetzten AktivistInnen in Linz das Haus in der Kaisergasse 17 und gaben dem Projekt den Namen Luise, „in Anlehnung an Louise Michel, einer französischen Autorin, Feministin, Anarchistin & Antimilitaristin, die vor allem in Frankreich wirkte und sich an der Pariser Commune beteiligte.“ (3)

Tag 2: „Bimparty“ und Besetzung der Spitalgasse 11 in Wien

Der Samstag begann mit einer Kundgebung in Salzburg vor dem Festspielhaus für mehr Freiräume. Die besetzten Häuser in Linz und Graz blieben auch weiterhin besetzt, und die AktivistInnen veröffentlichten bereits Kulturprogramme für die kommenden Tage. In Wien wurde zu einer „Bimparty“ (4) aufgerufen. Über 100 AktivistInnen fuhren mit Straßen- und U-Bahnen quer durch Wien, hatten eine Menge Spaß dabei und hielten die Polizei und die Wiener Linien einige Stunden lang zum Narren.

Um 20 Uhr wurde schließlich die Spitalgasse 11 in Wien/Alsergrund besetzt, ein fünfstöckiges, seit Jahren leerstehendes Haus direkt gegenüber vom Campus der Universität Wien, wo es vor Jahren durch die Gruppe Freiraum (5) bereits mehrere Versuche gab, den sich dort befindlichen „Narrenturm“ zu besetzen. Rund 200 AktivistInnen versammelten sich in dem Haus, machten Workshops und Plena, organisierten eine Vokü und einen Kinoraum, entspannten sich am Dach und genossen die wunderbare Aussicht über Wien, bemalten die langweilig weißen Wände und feierten bis in die frühen Morgenstunden. Auch die Clowns Armee war ständig anwesend und sorgte bei den PolizistInnen immer wieder für gehörige Verwirrung.

Am nächsten Morgen wurde in zahlreichen Plena diskutiert, wie mit dem Haus weiterverfahren werde sollte, wobei schnell klar wurde, dass es die meisten AktivistInnen durchaus ernst meinten, das Haus behalten zu wollen. Es gab im Laufe des Tages immer wieder Verhandlungen mit der Polizei und mit VertreterInnen der Stadt Wien, es war aber bis 18 Uhr, als die Polizei mit einem Großaufgebot anrückte, nicht klar, wann und ob geräumt werden würde. Neben eben erwähntem Großaufgebot von Riotcops, Hundestaffeln und WEGA-Beamten (6) wurden auch vier Ambulanzen, zwei Notarztwägen, vier Löschzüge der Feuerwehr und sogar ein Polizeihubschrauber – alles vermutlich deshalb, um die AktivistInnen einzuschüchtern und um für die anstehende Fußball-Europameisterschaft zu üben – in die mittlerweile großräumig abgesperrte Spitalgasse beordert und ein Kessel um das Haus gezogen.

Zu der Zeit waren rund 150 AktivistInnen im und um das Gebäude, von denen sich knapp 50 entschlossen, in dem Haus zu verbleiben, um es zu verbarrikadieren. 20 weitere fassten den Entschluss, sich zu einer Blockade vor der Eingangstür zu formieren. Die Polizei führte zuerst alle im Kessel verbliebenen AktivistInnen ab, um danach die Blockade vor dem Haupteingang unter Einsatz äußerster Gewalt aufzulösen.

AktivistInnen wurden am Boden dahingezerrt, bedroht und wüst beschimpft, es gab blutige Nasen, Blutergüsse und kaputte Kleidung. Während der Räumung der Blockade vor dem Haus wurden die PolizistInnen von BesetzerInnen aus den Fenstern mit Tomaten beworfen und mit Wasser übergossen. Nachdem die AktivistInnen weggeschafft wurden, verschaffte sich die Polizei Zugang in das Haus selbst und ging drinnen wiederum brutal gegen die AktivistInnen vor.

Es dauerte bis Mitternacht, bis alle AktivistInnen aus dem Haus geschafft, alle Transparente weggerissen und die Tür wieder verschlossen wurde.

Insgesamt wurden von 126 AktivistInnen die Personalien aufgenommen. Eine Person wurde festgenommen, kam aber, auch dank einer spontanen Soli-Demo vor der Polizeiwache, wieder frei. (7)

Desinformation in Medien und Kommunikationsguerilla

In vielen bürgerlichen Medien wurde das Schreckgespenst der gewaltbereiten „Autonomen“, „Punks“ und „Linksextremisten“ wieder aufgewärmt, wobei die BesetzerInnen in Wien weder von Autonomen noch von Punks dominiert wurden. Ferner wurde gegen die Polizei in keiner Phase Gewalt angewendet. In ersten Berichten hieß es, es seien Blumen, Wasserbecher und Tomaten auf die PolizistInnen geworfen worden, einen Tag später wurde in manchen Zeitungen aus den Blumen ganze Blumentöpfe, aus den Wasserbechern Bierflaschen und die angeblich geworfenen Fliesen wurden überhaupt frei erfunden.

Die gewaltfreien Blockaden wurden zu einer „Straßenschlacht am Alsergrund“ hochstilisiert und daneben Fotos von PolizistInnen einer Anti-Terror-Einheit, bewaffnet mit Maschinengewehren, abgebildet, die sich zu keiner Phase in der Gegend befanden.

Aufgrund der letztklassigen, aber nichtsdestotrotz gerade deshalb manchmal witzigen Berichterstattung über die Besetzung in Wien von boulevardesken (gratis) Zeitungen wurde von AktivistInnen mittels einer kreativen Kommunikationsguerillaaktion zum journalistischen Gegenschlag ausgeholt.

Es wurden rund 20.000 Stück einer „Extrabeilage“ für die gratis U-Bahn-Zeitung Heute gedruckt, um diese in den frühen Morgenstunden überall in Wien diesen Zeitungen beizulegen. Die falschen Beilagen sahen dem Original zum Verwechseln ähnlich, nur bei genauem Hinsehen merkte man, dass diese Beilage nicht Heute, sondern Heule hieß. Hier wurde neben dem Communique der HausbesetzerInnen und einigen Richtigstellungen auch allerlei Satirisches abgedruckt, das die Art der Berichterstattung dieser Zeitung auf den Arm nahm. In Anlehnung an die „deutschen Berufsdemonstranten“, die bei jeder größeren Demonstration in Österreich von diesen Zeitungen immer wieder herbeiphantasiert werden (und was mittlerweile in der Szene schon zu einem echten Running Gag geworden ist), entstand z.B. die Schlagzeile „Schockierend: Deutsche Berufspolizisten wüten in Wien!“ (8)

Auszüge aus dem Communique der HausbesetzerInnen

Andere, qualitativ hochwertigere Medien zitierten jedoch teilweise sogar das Communique vom Plenum der Hausbesetzung in der Spitalgasse: „Die Raumsituation in Wien spricht unerträgliche Bände. Überteuerte Mieten machen das Leben für die meisten Menschen zu einem täglichen Kampf, gleichzeitig stehen unzählige Häuser in Wien leer. Es ist das bekannte Spiel im Kapitalismus um die Steigerung des Marktwerts.

Nicht nur, dass der Raum zur Ware wird, sondern die selben Maßstäbe der Verwertung gelten für den Mensch als solches. Wenn man dabei nicht mitspielen will, steht mensch als Unangepasste am Rande des öffentlichen Lebens.

Viele, die nicht als zugehörig zum nationalen ‚Wir‘ betrachtet werden, werden von vornherein von der Raumnahme ausgeschlossen oder gar abgeschoben. […] Hiermit ist der Versuch gestartet, das Neue im Jetzt und Hier zu verwirklichen, welches wir betitelt haben mit Autonomie, Solidarität, Freiheit, Anarchie und anderen schönen Begriffen. Dies sind jedoch nichts als Wörter.

Wir wollen das Neue erleben, erfahren; zeigen, dass es noch ein anderes Dasein geben kann! Diese Bewegung hat zur Besetzung geführt und fordert nicht nur alle dazu auf, den atopischen [!] Raum zu verteidigen, sondern gemeinsam diesen neuen Raum zu gestalten und zu erweitern. Es ist an der Zeit.“ (9)

(1) http://april2008.squat.net:8080/index.php/2007/11/28/call-2/, 15.4.08

(2) Homepage der Wiener Wagenburg: http://wagenplatz.at/

(3) http://at.indymedia.org/node/9927, 15.4.08

(4) Mit "Bim" ist in Wien die Straßenbahn gemeint.

(5) Homepage der Gruppe Freiraum: http://freiraum.at.tt

(6) WEGA: Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung; Spezialeinheit der Wiener Polizei

(7) Video zur Hausbesetzung in Wien von Kanal B: http://austria.kanalb.org/clip.php?clipId=2023, 19.4.08

(8) Stellungnahme der AktivistInnen und pdf-file der Heule-Extra Beilage: http://at.indymedia.org/node/10036, 19.4.08

(9) http://at.indymedia.org/node/9961, 15.4.08