schwerpunkt: anarchie und musik

The pen is mightier than the sword

Chumbawamba: The Boy Bands Have Won

| Rüdiger Haude

Die englische Band Chumbawamba hat in ihrer über 25-jährigen Geschichte atemberaubende stilistische Wandlungen vollzogen: vom Punk über sample-befrachtete Popmusik bis hin zu Folklore und harmonischen A-Cappella-Arrangements.

Was als schwarz-roter Faden durch diese Entwicklung läuft, ist eine konsequente anarchistische Message, die intelligente Absage an alle Formen von Unterdrückung, Rassismus, Sexismus und Opportunismus.

Dies ist auch bei ihrem neuesten Album so, das auf dem Kontinent im März veröffentlicht wurde.

Aber es gibt doch einen neuen Zungenschlag auf dieser Scheibe, der sie für Leserinnen und Leser der Graswurzelrevolution vielleicht besonders interessant macht. Hatten frühere Songs zuweilen mit Ratschlägen aufgewartet wie „Give the fascist man a gunshot“ oder wie in „A Stitch in Time“ geschildert, wie eine Frau sich an ihrem prügelnden, besoffenen Gatten rächt, indem sie den Schlafenden in sein Bettzeug einnäht und anschließend mit einer Bratpfanne schwarz und blau drischt – so hat das neue Album eine klare Botschaft der Gewaltlosigkeit. Die Leitvokabel ist „Worte“, und die CD stellt im Ganzen nicht weniger dar als eine anarchistisch-pazifistische Sprachphilosophie.

Konsequenterweise hat die Platte den längsten Titel, den je eine Schallplatte trug: 158 Wörter. „The Boy Bands Have Won“ ist nur die Kurzfassung davon, der ausgeschriebene Titel hat diese Phrase als Anfang und als Schluss, und dazwischen steht ein flammendes Plädoyer für Kreativität und gegen die grassierende Kultur des Nachmachens, des Anpassens an die Logiken der Casting-Shows usw. Das einzige Mittel aber, Musik zu beschädigen, sei, sie nicht zu verändern.

Etwas im Widerspruch dazu scheint der musikalische Charakter des Albums zu stehen.

Genau wie sein Vorgänger, der lustigerweise „Get on with it“ hieß, haben wir wieder ausschließlich Unplugged-Stücke mit mehrstimmigen harmonischen Gesängen, teilweise auch a cappella vorgetragen; mal fröhlich, mal traurig; im Ganzen ein lieblicher Sound, der seine Texte manchmal Lügen zu strafen scheint, sie manchmal aber auch auf herzergreifende Weise unterstreicht.

Widmen wir uns also den „Worten“. Chumbawamba sehen sie als strikte Alternative zur brutalen Gewalt. Das Lied „Word Bomber“ z.B. bezieht sich auf die vier Selbstmordattentäter, die 2005 in London 52 Menschen mit in den Tod rissen. Die jungen Männer kamen aus Leeds, der Heimatstadt von Chumbawamba. Der Liedtext entwickelt die Utopie, dass all die jungen, zornigen Männer sich nicht Sprengstoff, sondern „Worte“ um die Taillen binden und in den U-Bahn-Katakomben „Reime“ auf die Passanten schleudern.

„Words Can Save Us“ ist ein anderer Song, der die Gegenüberstellung ganz ähnlich konzipiert. Konfrontiert mit Nachrichten von anhaltenden Bombenangriffen auf irakische Städte, und von einem weiteren High-School-Massaker in den USA, heißt es: „Wir sehen unsere Zukunft brennen / Und fragen uns, ob wir je kapieren / Dass Worte uns retten können.“

Das klingt natürlich ein bisschen blauäugig. Ist es aber nicht. Denn es geht hier nicht um ein plattes ‚Reden statt Schießen‘, sondern um ein anspruchsvolles Konzept von Kommunikation, die entweder schon frei (also gleichberechtigt) ist oder aber Herrschaft unterläuft. Die dritte Nummer, welche die „Words“ direkt in ihrem Titel führt, ist deshalb Bertolt Brecht und seiner Radiotheorie gewidmet: „Words Flew Right Around The World“. „Wie Vögel“ fliegen diese Worte, und das können sie nur, wenn sie, wie Brecht es in den 30er Jahren von der technischen Fortentwicklung des Radios erwartete, von der bloßen Verlautbarung zur Interaktion fortschreiten, wenn also jeder zugleich Sender und Empfänger ist (hat). In dem Lied ist dieser Gedanke durch das schöne Wortspiel eingefangen: „Bert told Brecht / Brecht told Bert.“

Es ist das freie, das egalitäre Wort, das die Kraft haben kann, die erdrückendste Übermacht der Gewalt zu besiegen. In dem Lied „El Fusilado“ wird die unglaubliche, aber wahre Geschichte eines mexikanischen Revolutionärs erzählt, der standrechtlich erschossen werden sollte, aber die Salve des Erschießungskommandos überlebte: „Als alles still wurde, kroch ich fort / Ich ergab mich nicht der Herrlichkeit (Gottes) / Zehn gute Schüsse, ich nahm sie alle auf / Und lebte weiter, um meine Geschichte zu erzählen.“ Man sieht freilich, dass dieses Erzählen prekär ist, bedroht: Wie viele Fusilados waren gerade zum Schweigen gebracht worden! – Das erste Stück des Albums, „When An Old Man Dies“, besteht nur aus dem einen traurigen Satz: „Zusammen mit den Schuhen und den Hemden und den Krawatten / Geht eine ganze Bibliothek verloren, wenn ein alter Mann stirbt …“

Zudem ist diese Sprache als offene, nicht vor-entschiedene, herrschaftsfreie, sich ihrer selbst nicht immer sicher. Das letzte, fünfundzwanzigste Lied der CD, wie das erste weniger als eine Minute lang, besteht aus dem freimütigen Bekenntnis: „Wir wissen, was wir wollen / Wir wissen, was wir haben / Aber was ist es, das wir brauchen?“

Die Sprache der anderen Seite, der Unterdrücker, des Staates, ist dagegen eindeutig. Es ist die Nationalsprache, die die regionalen Dialekte aufsaugt, vereinheitlicht und so vernichtet („RIP RP“). Es ist ein Markenrecht, das es erlaubt, ausgerechnet eine Kombination der Begriffe „Theater“ und „Träume“ für die ökonomische Verwertung gesetzlich zu schützen („Theatre of Dreams™“, in „All Fur Coat & No Knickers“). Es ist der Urteilsspruch der rassistischen Geschworenen, die 1975 den schwarzen Teenager Gary Tyler zu lebenslangem Knast verurteilten, für ein Verbrechen, das er nachweislich nicht begangen hatte („Waiting For The Bus To Take Me Home“). Aber es ist auch das Stammeln der deformierten Subjekte, die auf Internet-Portalen wie MySpace die Monstrosität ihrer beschädigten Persönlichkeiten zur Schau stellen („Add Me“).

Wenn wir der Logik dieses Albums folgen, ist das ausbeuterische und unterdrückerische Sprechen eigentlich gar keine Sprache. Chumbawamba haben hierfür das Gedicht „August 1968“ von W.H. Auden adaptiert, in dem der imperialistische Staat (die Sowjetunion, die in der CSSR den „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ niederwalzte; die USA, die Vietnam, wie US-General LeMay formulierte, „in die Steinzeit zurückbombten“) als Monster, als „Oger“ aufgefasst wurde. Bei Chumbawamba („The Ogre“) hat das Gedicht ungefähr folgenden Wortlaut angenommen: „Der Oger tut, was Oger so können, / Doch eine Beute bleibt außerhalb seiner Reichweite: / Er besiegt die, welche die Welt schreiben, / Aber er beherrscht nicht die Sprache. / Zwischen den Verletzten und Erschlagenen / Auf unterjochtem Feld: / Die Worte des Ogers, so krank und so banal.“

Dagegen ist das fragende, das vielfältige, das solidarische Wort zu setzen. Chumbawamba haben das mit diesem Album sehr überzeugend getan. Wir können das auch!

Was den immer noch inhaftierten Gary Tyler betrifft: www.freegarytyler.com besuchen!

Lasst eure Worte wie Vögel um die ganze Welt fliegen!

Anmerkungen

Chumbawamba: The Boy Bands Have Won. No Masters/Westpark Music 2008

www.chumba.com