Etwa 7.000 Menschen demonstrierten am 20. September 2008 in Berlin gegen die Verlängerung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr. Das ist noch keine antimilitaristische Massenbewegung.
Deutschland ist im Krieg und kaum eineR kriegt’s mit?
Das wäre nicht verwunderlich angesichts der Berichterstattung über den oft als humanitäre Brückenbauinitiative verklärten Kriegseinsatz der jetzt auf 4.500 aufgestockten deutschen SoldatInnen in Afghanistan. Wenn es darum geht, die Menschen einzulullen, spielt die grün-nahe taz eine herausragende Rolle. Als vermeintlich alternative Tageszeitung wird sie von vielen tatsächlichen oder potentiellen BewegungsaktivistInnen gelesen.
Und was wir da zu lesen bekommen, ist am Tag der bundesweiten Antikriegsdemo Volksverdummung.
„Sind wir schon im Krieg?“, fragt Ulrike Winkelmann im Titel ihres Leitkommentars.
Sie ist die Parlamentsredakteurin der taz, und der dauerhafte Besuch im Raumschiff Bundestag hat offensichtlich dazu geführt, dass sie einen beachtlichen Realitätsverlust vorzuweisen hat.
Ulrike Winkelmann trifft sich mit den Verantwortlichen im Reichstag. Sie setzt ihre Hoffnungen nicht auf soziale Bewegungen, auf antimilitaristische und feministische Initiativen von unten, wie mensch es früher zumindest von Redakteurinnen alternativer Zeitungen erwarten konnte.
„Jetzt ruht die Hoffnung auf Sicherheit auf der afghanischen Armee“, so Frau Winkelmann, und im nächsten Satz informiert sie uns, wer ihre wahren Hoffnungsträger sind. Natürlich diejenigen, die diese – übrigens durch und durch korrupte – afghanische Söldnertruppe finanzieren. „Sie wird übrigens von den USA ausgebildet, ausgerüstet und bezahlt“, so die für gewöhnlich gut unterrichtete Redakteurin.
Wie beantwortet Frau Winkelmann nun ihre oben schon erwähnte Frage?
So: „Alles in allem verweist die Rede vom ‚Krieg‘ vor allem auf die eigene Unsicherheit, und sie führt weg von der eigentlichen Verantwortung der internationalen Gemeinschaft. Die Betonung auf ‚Krieg‘ verhindert, dass über den Aufbau eines halbwegs sicheren, halbwegs funktionierenden Staates Afghanistan gesprochen wird. Dabei ist doch klar, dass es kein ‚Raus‘ geben kann, ohne dass das ‚Wie‘ beantwortet wird.“
Och nö, Ihr bösen Pazifisten, nun sagt doch bitte nicht, dass das Krieg ist, was die Bundeswehr und die anderen NATO-Friedenstruppen in Afghanistan machen. Die dauerbekifften, afghanischen Barbaren müssen doch von unseren olivgrünen Jungs erst mal richtig zu mündigen Staatsbürgern erzogen werden, damit sie auch so einen schönen, ordentlichen Staat aufbauen können wie wir.
Frau Winkelmann erwähnt nicht, dass allein im Jahr 2007 nach Angaben der Informationsstelle Militarisierung (IMI) mehr als 8000 AfghanInnen durch die NATO-Truppen und -Bomber getötet wurden. Die bewaffneten Auseinandersetzungen, an denen die NATO-SoldatInnen beteiligt sind, stiegen von 1.755 im Jahr 2005 auf über 6.000 im Jahr 2007 an. Laut Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) hat sich die Lage der afghanischen Bevölkerung seit Beginn des NATO-Einsatzes weiter verschlechtert: 61% der AfghanInnen sind chronisch unterernährt, 68% verfügen über keinen Zugang zu Trinkwasser.
Das dürfte der taz-Redakteurin ziemlich egal sein. Als Elitejournalistin vertritt sie die neokoloniale Sichtweise der PolitikerInnen, mit denen sie bei ihrer täglichen Arbeit als Hofberichterstatterin im Bundestag zu tun hat. Und die stehen „in Treue fest“ hinter der imperialen Supermacht USA und dem sakrosankten NATO-Kriegsbündnis.
Wie viele Menschen bisher direkt durch BundeswehrsoldatInnen oder durch die geheim in Afghanistan agierende KSK-Eliteeinheit getötet wurden, ist nicht bekannt. Die deutsche Armee gibt offiziell zu, im August 2008 einen Schäfer getötet zu haben, weil er Bundeswehrsoldaten angegriffen habe, die er für Viehdiebe hielt.
Ebenfalls im August durchsiebten Bundeswehrsoldaten an einem Checkpoint ein Auto. Die Insassinnen, eine Frau und zwei Kinder, hatten keine Überlebenschance.
Solche „fahrlässigen Tötungen“ verdeutlichen den AfghanInnen, was vielen ohnehin schon bewusst sein dürfte: Die Bundeswehr ist Teil einer Besatzungsmacht, die das Land vergewaltigt und versucht, es in die Moderne zu bomben.
Weltweit gibt es viele Menschen, die sich nicht verdummen lassen. Eine Mehrheit auch der Bevölkerung Deutschlands lehnt den Krieg in Afghanistan und die Verlängerung des Bundeswehrmandats ab.
Nicht nur in Stuttgart und Berlin gab es am 20. September Aktionen und Demos gegen den Krieg. Tausende protestierten auch in Frankreich, Britannien, Griechenland, Italien, Belgien und beim Europäischen Sozialforum in Malmö.
In Manchester forderten die DemonstrantInnen den Rückzug der Truppen aus Afghanistan und dem Irak. In einer Botschaft an Berlin und Stuttgart hieß es: „… unterdessen wird uns erzählt, Afghanistan sei – im Gegensatz zum Irak – der gute Krieg. Die Fakten zeigen, dass das nicht stimmt: Hilfsorganisationen haben im August darauf hingewiesen, dass Gewalt so verbreitet ist wie seit 2001 nicht mehr. Die Zahl der zivilen Opfer nimmt mit jedem Bombenangriff zu. Es gibt keinen Wiederaufbau mehr. Mehr und mehr britische Soldaten sterben mit dem Anstieg des Widerstands. Es ist eine Schande, dass New Labour diesen Krieg immer noch unterstützt.“
Aus Belgien wurde in Berlin folgende Botschaft verlesen: „Es ist gut, dass in verschiedenen Ländern der EU dieselben Demonstrationen stattfinden und dieselben Forderungen erhoben werden. In Belgien wird mehr und mehr Menschen bewusst, dass die Armee in Afghanistan keine humanitäre Hilfe leistet, sondern einen kriminellen Krieg führt und tausende von Zivilisten getötet hat. (…) Nato raus aus Afghanistan!“
Wer eine menschengerechte Welt will, muss soziale, antimilitaristische Bewegungen unterstützen, anstatt sich gemein zu machen mit den Herrschenden. Der Krieg der NATO ist keine Entwicklungshilfe für Afghanistan. Er ist ein Verbrechen an der Menschheit.