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Ein revolutionärer Matrose in der Mühle der Geschichte

Die Autobiographie des Hermann Knüfken

| Alexander Krohn

Nach etwa 50 Jahren ist endlich die brisante Lebensgeschichte des Hermann Knüfken erschienen. Knüfken gehört zu den Unpersonen des 20. Jahrhunderts, die mehr oder weniger von der Geschichtsschreibung unberücksichtigt blieben, da weder die rechte noch die offizielle linke Seite großes Interesse an der Erinnerungsförderung solcher Menschen hatte.

Geboren wurde Knüfken 1893 in Düsseldorf. Während des 1. Weltkrieges betrieb er subversive Aktionen und desertierte 1917 nach Dänemark. Im Anschluss wurde er in Kiel inhaftiert, wo er 1918 durch revolutionäre Matrosen befreit und sofortiges Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates Kiel wurde. Am 28. Dezember 1918 reiste er zum Gründungsparteitag der KPD nach Berlin und wurde bald Teil der parteiinternen Opposition.

Nach Abspaltung der KAPD entführte er 1920 den Fischdampfer „Senator Schröder“, um die beiden KAPD-Delegierten Franz Jung und Jan Appel nach Murmansk zu bringen. In Russland trafen sie anlässlich der II. Kommunistischen Internationale Radek, Bucharin, Sinowjew, Kamenew, Trotzki und Lenin.

Nach erneuter Haft in Deutschland und Abschiebung in die Sowjetunion arbeitete er – gedeckt durch die persönliche Bekanntschaft russischer Spitzenleute – von 1923 bis 1929 als Leiter des relativ unabhängigen Interklubs für Seeleute in Leningrad. 1929 war jedoch seine Verhaftung durch die Nachfolgeorganisation der Tscheka (GPU, auch OGPU), die nun zum „Staat im Staate“ avanciert war, unaufhaltbar.

Es folgen die niederschmetternden Erfahrungen im berüchtigten Geheimdienstgefängnis „Lubjanka“, die Totalisolation und letztlich die Bekanntschaft der zum Tode verurteilten Genossen – überwiegend gestandene Altbolschewiken.

Knüfken beschreibt die Verhältnisse unabhängig von herrschenden Ideologien aus der Sicht eines Widerständigen und prangert Zentralismus und Bürokratie der Parteien an.

Mehrmals hebt er die beeindruckenden Aktionen, die ohne „eigentliche Führer“ stattfinden, hervor. Beim Lesen wird irgendwann klar, dass die Matrosen – ihr Zusammenhalt und ihre Aktionsbereitschaft – eine besondere Rolle innerhalb der revolutionären Bewegung spielten; Knüfken sah seine Genossen als „heimatlose Gesellen, ohne Plüschmöbel und Dreizimmerwohnungen, Rebellen, die immer schlecht organisiert waren, aber den großen Vorteil hatten, sich so leicht nicht unterdrücken zu lassen!“

Der Herausgeber Andreas Hansen hat in Zusammenarbeit mit Dieter Nelles hier ein sorgfältig ediertes Werk vorgelegt, das im Anhang parteiinterne Akten, ITF-Dokumente, Geheimdienstschreiben, Personenregister und Chronik bereithält und in seiner Aufmachung eines der großen Außenseiter-Bücher des 20. Jahrhunderts im Rahmen antiideologischer Geschichtsforschung darstellt.

Herman Knüfken - Von Kiel bis Leningrad. Erinnerungen eines revolutionären Matrosen 1917 bis 1930. Wir sind die Genossen Piraten: Band 1. Herausgegeben von Andreas Hansen in Zusammenarbeit mit Dieter Nelles. BasisDruck Verlag, Berlin 2008, 478 Seiten, ISBN 978-3-86163-110-1, 28 Euro