anarchismus

Die Münchner Räterepublik

Eine historische Replik auf die Jahre 1918/19 (Teil 1)

| Michael Fischer

Vor 90 Jahren neigte sich der Erste Weltkrieg, der bis dahin über neun Millionen Menschenleben in Europa, im Nahen Osten, in Afrika und in Ostasien forderte, seinem Ende zu.

Die anfängliche Begeisterung, mit der ein Großteil (nicht nur) der deutschen Bevölkerung den Ersten Weltkrieg 1914 noch begrüßt hatte, wich schon bald einer Ernüchterung, die gegen Ende des Krieges in eine bittere Enttäuschung umschlug.

Zu der Erfahrung über den verlorenen Krieg kam eine sich immer weiter verschlechternde Lebensmittelversorgung.

Die schmerzhaften Verluste des Krieges und die missliche Wirtschaftslage trugen dazu bei, dass ab dem Winter 1916/17 immer mehr Menschen begannen, sich nach einem schnellen Ende des Krieges zu sehnen.

Der Januarstreik von 1918

Inspiriert durch die russische Oktoberrevolution streikten im Januar 1918 erstmals über eine Million ArbeiterInnen in Deutschland für bessere Arbeitsbedingungen, demokratische Reformen und ein sofortiges Kriegsende. Der Streik wurde von Mitgliedern der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) organisiert. Diese hatte sich ein Jahr zuvor von der SPD abgespalten und forderte mit ihrer radikalpazifistischen Haltung ein sofortiges Kriegsende.

So streikten in München Munitionsarbeiter unter der Leitung von Kurt Eisner (USPD).

Der Streik wurde erst durch den Einsatz der Polizei gewaltsam beendet. Kurt Eisner wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, und viele Arbeiter, die sich am Streik beteiligt hatten, wurden in die Armee eingezogen und zur Strafe an die Front geschickt.

Die Kriegsniederlage war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr aufzuhalten. Das Deutsche Kaiserreich stand – innen- und außenpolitisch – mit dem Rücken zur Wand. In seiner Osterbotschaft von 1918 versprach Kaiser Wilhelm II. noch demokratische Reformen. Doch es war bereits zu spät, und mit dem verlorenen Krieg stürzte auch die Monarchie.

Der Matrosenaufstand in Kiel

Obwohl die Verhandlungen für einen Waffenstillstand bereits eingeleitet waren, sollte die deutsche Marine am 24. Oktober 1918 zu einem letzten „ehrenvollen“ Gefecht auslaufen.

Damit verband die Deutsche Admiralität noch die Hoffnung auf eine Entscheidungsschlacht gegen die britische Marine. Die Matrosen aber hatten genug vom Krieg und waren nicht bereit, ihr Leben bei einer letzten aussichtslosen Seeschlacht aufs Spiel zu setzen. Der Befehl zum Auslaufen der Flotte löste zunächst vereinzelte Meutereien aus und mündete schließlich in einen weit reichenden Matrosenaufstand.

Als am 3. November 1918 in Kiel mehrere tausend Matrosen und Arbeiter für die Freilassung ihrer verhafteten Kameraden demonstrierten, schoss die Polizei in die Menge und tötete dabei 7 Personen. Der allgemeine Aufruhr konnte nicht mehr gestoppt werden. Der Protest flammte auf. Am darauf folgenden Tag brachten aufständische Matrosen, Arbeiter und Soldaten die öffentlichen und militärischen Einrichtungen der Stadt unter ihre Kontrolle.

Der Gouverneur der Marinebasis sah sich gezwungen, die inhaftierten Matrosen freizulassen. Auswärtige Truppen, die zur Niederschlagung der Bewegung anrückten, konnten von den Aufständischen abgefangen werden. Sie kehrten entweder um oder schlossen sich der Aufstandsbewegung an. Am Abend des 4. November 1918 war Kiel fest in der Hand von etwa 40.000 revoltierenden Matrosen, Arbeitern und Soldaten.

Von dort schwärmten diese in alle größeren deutschen Städte aus. Das Feuer der Revolution breitete sich in Windeseile über Deutschland aus.

Zuerst erfasste es alle größeren Küstenstädte, danach Hannover, Braunschweig, Frankfurt am Main, München und schließlich am 9. November 1918 Berlin.

„Bayern ist fortan ein Freistaat!“

In Bayern wurde die revolutionäre Umwälzung von dem einige Tage zuvor aus dem Gefängnis entlassenen Kurt Eisner angeführt. Im Anschluss an eine Massenkundgebung auf der Theresienwiese am 7. November 1918 bildete sich ein größer werdender Demonstrationszug. In einer spontanen Aktion wurden zuerst die Münchner Kasernen und dann das Stadtzentrum besetzt, ohne auf einen nennenswerten Widerstand zu stoßen.

In der Nacht zum 8. November 1918 rief Eisner in der ersten Sitzung des neu gebildeten Arbeiter- und Soldatenrates im Mathäserbräu den „Freistaat Bayern“ aus und erklärte damit das herrschende Königshaus der Wittelsbacher für abgesetzt. Eisner wurde daraufhin vom Münchner Arbeiter- und Soldatenrat zum ersten Ministerpräsidenten der neuen bayerischen Republik gewählt und bildete ein erstes Regierungskabinett, das sich aus Mitgliedern der USPD und der MSPD zusammensetzte.

In den darauf folgenden Tagen und Wochen breitete sich die Räte-Bewegung in beinahe alle Regierungsbezirke Bayerns aus und erreichte auch in der Provinz noch die kleinsten Ortschaften.

Eisner war ein pazifistischer Sozialdemokrat jüdischer Abstammung, der während des Ersten Weltkriegs innerhalb der SPD als entschiedener Krieggegner auftrat und später die USPD mitgründete.

Er hegte die Hoffnung, dass ein demokratisches Bayern zu einer Keimzelle für ein besseres Deutschland werden könnte.

Für ihn war der Sozialismus mehr eine moralische denn eine politische Forderung, da er diesen als „Selbstständigkeit mündiger Individuen“ verstand.

Der Klassenkampf war für ihn nicht das bestimmende Prinzip der Revolution, weshalb er auch die „Sozialisierung der Produktionsmittel“ nicht als vordringlichste Aufgabe der neuen Regierung erachtete.

Sein Ziel war ein geregelter Übergang zu einer neuen demokratischen Ordnung.

Die KommunistInnen sahen deshalb in ihm einen harmlosen Bürgerschreck.

Für sie war Eisner nur ein Werkzeug der Bourgeoisie.

In der Hoffnung, die Alliierten gütig zu stimmen und so deren harte Waffenstillstandsbedingungen etwas mildern zu können, anerkannte Eisner in einer öffentlichen Erklärung die Alleinschuld der deutschen Reichsregierung am Weltkrieg. Eisners Appell stieß jedoch auf taube Ohren und machte ihn unter den Deutschnationalen nur noch verhasster.

In einer antisemitischen Hetzkampagne wurde er als jüdischer „Vaterlandsverräter“ verleumdet.

Den durch die Kriegsniederlage in Bedrängnis geratenen rechtskonservativen Kräften diente Eisner als optimale Projektionsfläche für die von ihnen in Umlauf gebrachte „Dolchstoß-Legende“.

Räte oder Parlament?

Nach der Novemberrevolution von 1918 stellte sich für die deutsche Politik die Frage, welche Stellung die während der Revolution gebildeten Arbeiter- und Soldatenräte künftig im politischen Leben einnehmen sollten. Die Frage spitze sich schließlich landesweit auf die Alternative „Räte oder Parlament“ zu.

Dabei machte sich bereits die immer tiefer greifende Spaltung zwischen den Sozialdemokraten auf der einen und den Kommunisten auf der anderen Seite bemerkbar. Eisner versuchte zu vermitteln und schlug für die bayerische Republik eine Kompromisslösung vor. „Räte und Parlament“ lautete sein Vorschlag. Er vermochte jedoch keine der beiden Seiten von dem „gemischten“ System zu überzeugen.

Die KommunistInnen, welche in München zu diesem Zeitpunkt von Max Levien angeführt wurden, sowie auch die anarchistischen Intellektuellen im Umkreis von Erich Mühsam und Gustav Landauer u.a. standen dem neuen Regierungskabinett von Kurt Eisner von Anfang an skeptisch gegenüber.

Als die neue Regierung am 8. November 1918 die Bayerische Republik proklamierte, gründeten diese noch am gleichen Tag einen eigenen „Revolutionären Arbeiterrat“, dessen Mitgliederzahl kurzfristig auf etwa 50 Personen anwuchs.

Am 30. November 1918 gründete Mühsam zusätzlich eine „Vereinigung revolutionärer Internationalisten“, welche mit den Aktivitäten des Spartakusbundes sympathisierte und bestrebt war, auch in München die Revolution in Richtung Kommunismus vorwärts zu treiben.

Auf einer Versammlung am 6. Dezember 1918 kritisierte Mühsam scharf die bürgerliche Presse und polemisierte gegen den Innenminister des neuen Regierungskabinetts und Vorsitzenden der bayerischen MSPD, Erhard Auer, dem er vorwarf, mit seiner Rätefeindlichen Politik die Revolution zu sabotieren.

Nach der Versammlung besetzten mehrere hundert Personen die bürgerlichen Zeitungen Münchens, während eine kleinere Gruppe zur Privatwohnung des Innenministers weiter zog und diesen unter vorgehaltenen Pistolen zu seinem Rücktritt aufforderte.

Eisner, der davon Wind bekommen hatte, erschien sofort in Begleitung des Stadtkommandanten und des Polizeipräsidenten am Tatort und versuchte, den Konflikt zu schlichten. Er war darum bemüht, eine Eskalation der Situation zu vermeiden. Schließlich gelang es ihm, die Gruppe zum Rückzug zu bewegen.

Erhard Auer war allerdings auch Eisners ärgster Gegner innerhalb der neuen Regierung.

Auer hatte zunächst erfolglos versucht, den Januarstreik und dann die Revolution zu verhindern. Eisner verdächtigte ihn sogar, für seine Verhaftung nach dem Januarstreik verantwortlich zu sein.

Nach der Revolution im November entschied sich Auer erst dann für eine Mitarbeit in der Regierung von Eisner, als endgültig feststand, dass eine gegenrevolutionäre Aktion nicht zustande kommen wird.

Die USPD musste in ein Bündnis mit der MSPD einwilligen, da sie selber nicht in der Lage gewesen wäre, eine eigenständige Regierung zu bilden.

In seinem Amt als Innenminister versuchte Auer gezielt, den Einfluss der Räte zurückzudrängen.

Einem Skandal kam es gleich, als er am 27. Dezember 1918 zusammen mit Rudolf Buttmann, dem Führer einer Gruppe von Konservativen, und Oberst Franz Ritter von Epp, der rechtsextremen Kreisen nahe stand, öffentlich zur Gründung einer Bürgerwehr aufrief.

Der Ministerrat konnte Auer dazu bringen, den Aufruf zurückzuziehen, aber die Affäre bedeutete für die Regierung von Eisner einen tiefen Einschnitt, durch den sie bei einem großen Teil der Münchner ArbeiterInnenschaft ihre Glaubwürdigkeit endgültig verlor.

Spartakusaufstand in Berlin – Unruhen in München

Als am 5. Januar 1919 in Berlin der Polizeipräsident Emil Eichhorn (USPD) durch die Regierung von Friedrich Ebert (SPD) abgesetzt wurde, besetzen Arbeiter verschiedene Zeitungsredaktionen, darunter auch das Redaktionszentrum der sozialdemokratischen Parteizeitung „Vorwärts“, und errichteten einzelne Barrikaden in den Straßen.

Nach gescheiterten Verhandlungen und um der Ausweitung eines Generalstreiks zuvorzukommen, gab Ebert am 8. Januar dem Militär den Befehl, den so genannten Spartakusaufstand niederzuschlagen.

Zudem rückten am 10. Januar die Freikorps ins Stadtzentrum ein, die zuvor von Gustav Noske zusammengezogen wurden. Noske erhielt den Oberbefehl über die Truppen in Berlin.

Es kam zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Spartakisten und den vorrückenden Freikorps, welche auch nicht vor der Anwendung exzessiver Gewalt zurückschreckten.

Nachdem am 15. Januar die beiden wichtigsten SpartakistInnen und KPD-FührerInnen, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, von Angehörigen eines Freikorps gefangen genommen, schwer misshandelt und ermordet wurden, brach der Widerstand des Spartakusbundes in Berlin endgültig zusammen. In München kam es während des Spartakusaufstands ebenfalls zu Unruhen. Nach der offiziellen Gründung der KPD Anfang Januar 1919 entstand in München eine eigene Ortsgruppe.

Auf der ersten Versammlung der Kommunisten am 3. Januar im Münchner Löwenbräu erschienen etwa 5.000 Personen. Am 7. Januar wurden nach einer Protestkundgebung 3 Demonstranten von der Republikanischen Schutztruppe erschossen. Am 8. Januar verhängte die Regierung Eisner ein allgemeines Demonstrationsverbot.

In der Nacht auf den 10. Januar wurden 10 Männer – darunter Mühsam, Landauer, Levien u.a. – verhaftet. Am nächsten Morgen versammelten sich trotz des Verbots etwa 4.000 Menschen, um gegen die willkürlichen Verhaftungen ihrer Kameraden zu protestieren.

Die Gefangenen wurden daraufhin wieder freigelassen. Am Abend des gleichen Tages kam es jedoch erneut zu einer Schießerei mit der Republikanischen Schutztruppe, wobei weitere 6 Personen getötet wurden.

Die Situation in München war zu diesem Zeitpunkt äußerst angespannt, und es brauchte nur noch wenig, um sie vollends zum Explodieren zu bringen.

Anmerkungen

Teil 2 erscheint im November in der Graswurzelrevolution Nr. 333