transnationales

Marcos widersprechen!

Was eine Perspektive "von unten und von links", die die Zapatistas für sich beanspruchen, nicht übersehen darf

| Jens Kastner

In einer Rede vom 4. Januar 2009 geht der Sprecher der Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN), Subcomandante Marcos, auf die aktuelle Situation in Gaza ein (1). Gehalten wurde die Ansprache anlässlich des Treffens der "würdigen Wut" ("Digna Rabia"), zu dem die Zapatistas über den Jahreswechsel 2008/2009 eingeladen hatten (vgl. GWR 334).

Das an verschiedenen Orten abgehaltene und über mehrere Tage andauernde Festival zog mehrere Tausend Sozialbewegte aus ganz Lateinamerika an und diente der basisdemokratischen Vernetzung „von unten und von links“.

In diesem Rahmen bezog Marcos nun Stellung zum Krieg Israels gegen die Hamas. Er kritisiert dabei das Vorgehen der israelischen Armee als Eroberungsfeldzug, der nach allen Kriterien der Handbücher moderner Kriegsführung geführt würde. Die Garnisonen allerdings, die die israelische Armee mit aller Gewalt einnehmen wolle, seien, das bezeugten die Fernsehbilder aus Gaza, die Wohngebiete der PalästinenserInnen. Im Anschluss daran versteigt sich der Zapatista-Sprecher zu der Behauptung, der Zweck dieser Angriffe bestehe darin, diese Bevölkerung zu vernichten („…el asalto buscará aniquilar a esa población“).

Angesichts dessen sei zu erwarten, dass „das palästinensische Volk“ immer wieder zum bewaffneten Widerstand greifen werde. Und dabei würde ihm die Sympathie jener „von unten“ für ihre Sache sicher sein.

Wenn palästinensische Kinder zu Milizionären geworden seien, zum Gewehr oder zum Sprengstoffgürtel gegriffen hätten, dann würden „die da oben“ diese Gewalt wieder verurteilen und über Antizionismus und Antisemitismus reden. Niemand würde dann fragen, wer gesät und wer geerntet hat.

Rhetorisch entschuldigt sich Marcos in der Rede immer wieder für seine Ahnungslosigkeit hinsichtlich des Krieges in Gaza, um dann trotzdem, und nicht gerade vorsichtiger, klare Urteile zu fällen.

Auch wenn bis heute im Unklaren gelassen wurde, worin genau die Ziele der israelischen Armee bei ihrem Krieg in Gaza bestehen, ist die These, die israelische Regierung ziele auf die Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung, absurd. Zerstörte Wohnungen und bombardierte zivile Einrichtungen genügen wohl kaum, um sie zu belegen. Sie legitimiert vielmehr eine in der Linken Lateinamerikas nicht eben wenig verbreitete Gleichsetzung von Zionismus und Nationalsozialismus.

Erst Anfang Januar waren auf Anti-Kriegsdemos in Mexiko-Stadt Israel-Fahnen herumgetragen worden, bei denen der Davidstern durch ein Hakenkreuz ersetzt worden war.

Eine Perspektive, die sich als eine von „links und unten“ schimpft, hat dieser beschämenden und ungeheuerlichen Geschichtsvergessenheit, der Unwissenheit und Ignoranz, auf der dieser Vergleich beruht, etwas entgegenzusetzen und nicht, wie Marcos es tut, ihn auch noch zu schüren!

Während es auf einer beschreibenden Ebene möglicherweise zutreffend ist, dass der israelische Angriff auf den Gaza-Streifen die Gewaltbereitschaft unter jungen PalästinenserInnen auf Dauer eher steigern als abschaffen wird, muss doch Marcos‘ Einschätzung dieser Entwicklung sehr in Frage gestellt werden. Sicher wird es Linke und solche „von unten“ geben, die der antiisraelischen Gewalt „mit Sympathie“ begegnen werden. Aber auch diesen Leuten müsste, von einer Perspektive von „links und unten“, mit aller Deutlichkeit entgegengehalten werden, dass sie falsch liegen. Es ist kaum vorstellbar, worauf sich der offenbar in Lateinamerika (und selbst in Teilen der deutschen Linken) gepflegte Mythos gründet, die Hamas habe irgendetwas mit dem Adjektiv „links“ zu tun und ihre Praxis sei ein „Widerstand“, der irgendeine Verwandtschaft mit Praktiken aus der Geschichte der Linken aufweise.

In ihrer Charta von 1988 spricht die Hamas bekanntlich Israel das Existenzrecht ab und formuliert das Ziel eines islamischen Gottesstaates. Noch im Jahr 2000 bezeichnet sie auf ihrer Homepage den Holocaust als „zionistische Geschichtsfälschung“. In der besagten Charta macht die Hamas die Juden auch für die Französische Revolution und den Kommunismus verantwortlich, Artikel 32 fordert Muslime zum Judenmord auf. Alles nachzulesen u.a. auf Wikipedia.

(Auch wenn sich einige Hamas-Vertreter von der Charta distanziert haben und sie für die aktuelle Politik keine große Rolle mehr spielen mag, zur Anerkennung Israels war die Hamas nach ihrem Wahlsieg ebenso wenig bereit wie zur Einstellung der Raketenangriffe – zwei von drei Bedingungen (neben der Einhaltung bestehender Verträge), die das so genannte internationale Quartett (UN, EU, Russland und die USA) zur Voraussetzung für offizielle Beziehungen mit der Hamas-Regierung gemacht hatten.)

Indem er jene „Sympathie“ für ein Charakteristikum derjenigen von „links und unten“ ausgibt, bedient Marcos zudem ein allzu vereinfachendes Bild vom guten geeinten Widerstand „des Volkes“ als Reaktion auf die Machenschaften jener da oben, repräsentiert durch die Regierung der USA – Condoleezza Rice wird ganz zu Beginn der Rede mit ihrer Verteidigung der israelischen Politik zitiert – und Israels. Eine antiimperialistische Simplifizierung, die man eigentlich mit dem Aufkommen des zapatistischen Politikverständnisses überwunden glaubte.

Dass nur „die da oben“ von Antisemitismus und Zionismus reden würden, um ihre Schandtaten zu legitimieren, wie Marcos argumentiert, muss ebenfalls zurückgewiesen werden.

Wer ernsthaft die Position „links und unten“ für sich in Anspruch nimmt, muss sich den Kampf gegen Antisemitismus auf die Fahnen schreiben! Und letzteren nicht noch bedienen, indem man, wie Marcos – mit einem im Übrigen uralten antisemitischen Vorurteil -, den Eindruck erweckt, die Juden seien selbst am Antisemitismus Schuld. Wer hier was sät, darf links unten getrost auch mal im Hinblick auf die Hamas analysiert werden.

Denn nicht nur in der „Theorie“, auch in der Praxis hat die Hamas nichts, was als „links“ gelten könnte. Rund 1400 israelische ZivilistInnen sind durch Hamas-geförderte Selbstmordanschläge in den Jahren 2000 bis 2003 ums Leben gekommen, permanent wird Israel durch Raketen beschossen. Auch im eigenen Herrschaftsgebiet ist die gewaltsame Behinderung von freier Pressearbeit nach der Hamas-Machtübernahme im Gaza-Streifen 2007 ja nur die Spitze des Eisberges, Human Rights Watch und amnesty international beklagen massive Menschenrechtsverletzungen jenseits der Einschränkung der Pressefreiheit im von der Hamas verwalteten Gebiet. Mal nicht zu reden von Feminismus, individueller und kollektiver Emanzipation und anderen Konzepten, die einem oder einer links unten am Herz liegen sollten.

Der Krieg Israels im Gaza-Streifen ist ein Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung. Gerade im Sinne eines basisdemokratischen, kapitalismuskritischen, ja libertären Projekts, für das der Zapatistische Aufstand seit fünfzehn Jahren steht, muss dem Sprecher der Bewegung hier aber widersprochen werden.

Wenn auch die Zapatistas zu denjenigen lateinamerikanischen Linken gehörten, die angesichts der israelischen Angriffe auf den Gaza-Streifen ausdrücklich nicht von einem „Holocaust“ gesprochen haben.

Und wenn auch gerade der Zapatismus nicht wenige poetische Kommuniqués und überzeugende analytische Texte hervorgebracht hat, so gehört diese Rede von Subcomandante Marcos doch zum Übelsten in ihrer Selbstgefälligkeit und zum Bedenklichsten in ihrem Umgang mit antisemitischen Ressentiments und mit einer von Grund auf abzulehnenden Politik des islamistischen Terrorismus, das seit 1994 veröffentlicht wurde.

(1) Eine deutsche Übersetzung der Marcos-Rede vom 4.1.2009 findet sich unter: www.chiapas98.de/news.php?id=4335

Anmerkungen

Der Autor ist seit 1994 in der pro-zapatistischen Solidaritätsarbeit aktiv und hat John Holloways "Die zwei Zeiten der Revolution. Würde, Macht und die Politik der Zapatistas" (Verlag Turia + Kant, Wien 2006) ins Deutsche übersetzt und eingeleitet.