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Seit 30 Jahren: Für ArbeiterInnen Uninteressant (FAU)?

| Horst Blume

Nach der Bundestagswahl wird die neue Regierung uns noch viel ungehemmter als vorher wegnehmen, was sie bisher Banken und Konzernen gegeben hat. Die Drangsalierung von Erwerbslosen und abhängig Beschäftigten wird ebenfalls deutlich zunehmen.

Wie können Erfahrungen bisheriger betrieblicher Kämpfe weitergegeben und Mut, Entschlossenheit und Zuversicht den verzagten bundesdeutschen DurchschnittsarbeitnehmerInnen vermittelt werden?

Dies ist eine Mammutaufgabe, an der sich in der Vergangenheit schon unzählige sozialistische Gruppen die Zähne ausgebissen haben. Welche Impulse könnte die kleine anarchosyndikalistische Freie ArbeiterInnen Union (FAU) da geben?

Die erstaunlich vielfältigen Aktivitäten der FAU werden in dem ansprechend gestalteten Buch von verschiedenen AutorInnen detailliert und durch mehrere hundert Fotos und Abbildungen sehr anschaulich dargestellt.

Hierzu gehören zuallererst die betrieblichen und sozialen Auseinandersetzungen, in denen die FAU eine Rolle gespielt hat.

Die Mitarbeit in Libertären Zentren, Kultureinrichtungen und Zeitungen, internationaler Solidaritätsarbeit und Vernetzungsaktivitäten, Boykottkampagnen und Interventionen bei verschiedenen Demonstrationen der Linken werden ausführlich gewürdigt. Auch die Darstellung der einzelnen Etappen des Organisationsaufbaus gewährt einen interessanten Einblick in die Arbeitsweise der FAU.

Die Geschichte des Anarchosyndikalismus in Deutschland seit 1878 wird in einem eigenen Kapitel skizziert.

In einer autoritätsfixierten, mehrheitlich recht unterwürfigen ArbeiterInnen-„Bewegung“ haben es rebellische BasisgewerkschaftlerInnen zwangsläufig schwer.

Hinzu kommt, dass die FAU bei einigen Anarchos immer wieder als Ersatz für eine anarchistische Föderation herhalten musste.

Die Betriebsarbeit kam deswegen besonders in der Anfangsphase manchmal zu kurz. Die unzähligen Probleme bei der Organisierung der Gegenwehr, das wird in dem Buch an vielen Stellen deutlich, führen oft zu einer gewissen Verbissenheit der FAU-AkteurInnen während der Auseinandersetzungen.

Das Buch beschreibt oft recht deutlich, dass innerorganisatorische, kleinkarierte Erbsenzählerei und Ellenbogenmentalität zwischen verschiedenen Fraktionen und Personen nicht nur im vielgeschmähten DGB vorkommen. Insofern ist es stellenweise sehr ehrlich. Womöglich unfreiwillig, weil einigen BeitragschreiberInnen die grundsätzliche Untragbarkeit derartiger Verhaltensweisen kaum bewusst zu sein scheint.

Die FAU konnte in den bisher 32 Jahren ihrer Existenz nur bei wenigen sozialen Konflikten zeitlich und örtlich begrenzte Kontakte zu bewussteren Teilen der ArbeiterInnenschaft aufbauen. Sie war ebenfalls nicht in der Lage, in nennenswertem Umfang kritische DGB-Mitglieder oder unabhängige Basisgruppen in ihre Organisation zu integrieren. Eine Ursache war sicher auch der ruppige Umgangston im Umfeld der FAU, der in dem Buch an mehreren Stellen konkret benannt wird. Die vollmundige, besserwisserische Verbalradikalität einiger Mitglieder, die stellenweise das Buch durchzieht, kommt bei vielen Menschen nicht gut an und wirkt abstoßend.

Auffällig ist, dass die FAU kaum in den klassischen Großbetrieben (Ausnahmen gab es in Köln und Duisburg), sondern eher in Bereichen wie z.B. Biobranche, Alternativbetrieben, Uni und Gaststätten verankert war.

Die ausführliche Darstellung der Zerwürfnisse und Fehden im Bereich internationaler Beziehungen zur internationalen Dachorganisation IAA zeigt, dass sich viele innerhalb der FAU lange von dem Agieren verschiedener engstirniger RevolutionswächterInnen beeindrucken ließen und sich nur langsam undogmatischeren internationalen Kooperationsformen öffneten.

Dieses Grundübel scheint mir schon in der Gründungszeit der FAU ab 1977 angelegt zu sein. Genau in jener Zeit, in der das große Vorbild CNT in Spanien nach einem euphorischen Neuaufschwung (besser: Strohfeuer) den Großteil ihrer AnhängerInnen in kürzester Zeit wieder verlor, hingen in der BRD die anarchistischen AktivistInnen an den Lippen ihrer noch in abgehobenen Revolutionsphantasien schwelgenden CNT-GenossInnen.

Diese frühe Prägung hat ihnen den Zugang zur kritischen Gewerkschaftsbewegung am Rande oder außerhalb des DGB in Deutschland erschwert.

Das eine gute Dutzend der beschriebenen Arbeitskonflikte mit FAU-Beteiligung stellte in der bundesrepublikanischen Wirklichkeit während dieser 30 Jahre die Ausnahme dar. Zwar hatte die FAU im Wesentlichen die von Rudolf Rocker ausgearbeitete Prinzipienerklärung der alten FAUD übernommen, doch das der Erklärung zugrunde liegende selbstkritische Reflexionsvermögen blieb in der Praxis der FAU offensichtlich etwas unterentwickelt.

Die obskuren „ML“-Abspaltungen von der FAU waren im Vergleich mit dem Original nicht so sonderlich verschroben und abwegig, wie es das Buch Glauben machen will. Sie waren Fleisch vom Fleische. Eine Verwechslungsgefahr bestand tatsächlich.

Wenn die FAU heute, nach 30 Jahren nicht mehr 57 Mitglieder wie im Gründungsjahr, sondern, sagen wir mal, 257 hätte, wäre das angesichts vieler Millionen unter Druck stehender ArbeitnehmerInnen und Erwerbsloser ein Erfolg? Die im Gefolge der Hartz IV-Gesetze aufkommenden Montagsdemonstrationen eröffneten große Chancen, die nur unzureichend genutzt wurden. An dem Abflauen der Mobilisierungen waren „nicht zuletzt“ verschiedene „linke Parteien schuld“, die „die Reste der Bewegung unter Kontrolle“ bekommen wollten, steht im Text. Warum haben in vielen Städten die AktivistInnen gegen Hartz IV und Sozialraub oft lieber die WASG aufgebaut, anstatt sich der FAU anzuschließen? Diese wichtige Frage wird nicht ernsthaft erörtert.

Im Anhang befinden sich noch einige einfühlsame Portraits von ehemaligen FAUD-Mitgliedern, von denen insbesondere der vielseitig interessierte Hans Spaltenstein hervorzuheben ist, der „großsprecherischen Verbalradikalismus“ ablehnte und damit die neue FAU in Hannover mitprägte. Es geht also auch anders.

Dieses Buch lässt nach seiner Lektüre zwei grundsätzlich verschiedene Sichtweisen und Schlussfolgerungen zu. Für die einen ist es eine beachtliche Erfolgsbilanz einer kleinen Gewerkschaftsgruppierung.

Für die anderen liefert es genügend Begründungen, sich im Gewerkschaftsbereich doch (wo)anders zu organisieren.

FAU - die ersten 30 Jahre. Die Geschichte der Freien ArbeiterInnen Union von 1977 bis 2007. Herausgegeben von der Arbeitsgruppe "30 Jahre FAU", FAU-MAT, Syndikat A, Edition AV, Hamburg/Moers/Lich 2009, 253 Seiten, ISBN 978-3-86841-004-4, 14,50 Euro