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„Den Alltag widerständig gestalten“

Ein Interview mit den Autorinnen Hanna Poddig und Silvia Hable

| Interview: Franziska

Graswurzelrevolution (GWR): Ihr lebt beide ungewöhnlich und habt Bücher darüber verfasst. Wer hat euch auf die Idee gebracht?

Hanna: Ich kam nicht selber auf die Idee zu schreiben, sondern wurde vom Verlag darauf angesprochen. Zuvor bin ich in einer Dokumentation des WDR porträtiert worden. Daraufhin nahm der Rotbuch-Verlag Kontakt zu mir auf. Ich war mir am Anfang nicht so sicher, ob ich mir zutraue zu schreiben, aber der Gedanke, über ein Buch Menschen zu erreichen und ihnen politischen Aktivismus näher zu bringen, hat mich gereizt.

Silvia: Bei mir war es auch eine Dokumentation. „Ich war das perfekte Kind“ hieß das Porträt, das mich als Punkerin mit Abitur, meine Gedichte, Gedanken, mein politisches und künstlerisches Engagement beleuchtete. Die „Deutsche Verlagsanstalt“ – damals noch nicht in der Hand des Bertelsmann-Konzerns – nahm daraufhin Kontakt zu mir auf. Ich fand die Idee super, da ich den Film als zu unpolitisch empfand und im Buch noch mehr auf diesen Aspekt eingehen wollte.

GWR: Es geht ja um Dinge, die ihr erlebt habt. Würdet ihr eure Bücher als „autobiografisch“ bezeichnen?

Hanna: Ich erzähle in dem Buch von Aktionen, an denen ich beteiligt war – insofern hat das Buch autobiografische Züge. Es ist aber keine Biografie im engeren Sinne, es ist mehr so etwas wie eine Anleitung für kreativen Straßenprotest, verpackt in kurze Geschichten aus meinem Leben. Es geht in dem Buch nicht darum, wie ich aufgewachsen bin, wo ich herkomme, wer mich geprägt hat oder wo ich gewohnt habe. Darüber wollte ich nicht schreiben.

Silvia: Ich habe ein Jahr lang an einem politischen Roman geschrieben, in dem meine eigenen Erlebnisse, die meiner Freunde, aber auch viel Fantasie im Spiel waren. Ich war von der Idee, mein Leben und meine intimsten Gedanken plötzlich als Biografie „verkaufen“ zu müssen daher überhaupt nicht angetan. Letztlich habe ich Mittel und Wege gefunden, eine authentische Autobiografie zu schreiben, in der ich m.E. meiner Identität und der meiner WeggenossInnen ausreichend Privatsphäre bieten konnte.

GWR: Worum geht es in den Büchern? Wen möchtet ihr erreichen? Was möchtet ihr euren LeserInnen zeigen?

Hanna: Ich hoffe, dass Menschen ihr eigenes Verhalten kritisch reflektieren und sich nach der Lektüre weniger ohnmächtig fühlen. Ich glaube, dass es möglich ist, den eigenen Alltag widerständig zu gestalten. Und ich hoffe, dass sich mehr Menschen zutrauen, Normalitäten zu hinterfragen und aus Gewohnheiten auszubrechen. Wie das dann konkret aussieht, muss jede_r für sich entscheiden.

Silvia: Bislang politisch unbedarfte LeserInnen bekommen Infos, wie es um Flüchtlingsrechte und um die angeblich freiheitlich-demokratische Grundordnung bestellt ist. Außerdem werden gelebte Alternativen zum Bestehenden dargestellt. „Szeneangehörige“ wiederum dürften sich mit einer gehörigen Portion Ironie und Kritik an der eigenen Praxis konfrontiert sehen, sich aber auch hier und da selbst wiedererkennen. Eine Art alternative Geschichtsschreibung, die sich auch für Eltern von „rebellierenden“ Teenies eignet, genauso wie als Anregung zum widerständigen Leben und dem kritischen Hinterfragen.

GWR: Wollt ihr in Zukunft weiter schreiben? Wenn ja, über welche Themen?

Hanna: Ich habe v.a. im Winter geschrieben. Da war es kalt und eklig draußen. Das ist die Zeit im Jahr, wo Aktionen draußen weniger Spaß machen, ideal also für Schreibtischkram. Aber jetzt mache ich wieder mehr Aktionen. Ich bin und bleibe in erster Linie Aktivistin, nicht Buchautorin.

Silvia: Ich will auf jeden Fall ein weiteres Buch schreiben. Es wird sich um den Komplex Schwangerschaft, Geburt und Babyzeit in unserer Kultur drehen. Ferner wird es um Schulzwang, Antipädagogik und politische Aktivitäten mit Kindern gehen. Da ich eine 14 Monate alte Tochter habe, liegt mein Fokus gerade auf diesen Themen.

GWR: Wie geht ihr mit der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit um, die auf euch zukommt?

Hanna: Ich glaube, dass jedes Interview auch eine Chance bedeutet, für mich wichtige Inhalte und meine Art zu leben Menschen näher zu bringen, mit denen ich nicht direkt zu tun habe. Ich bemühe mich, dabei nicht so sehr von mir als Person, sondern mehr von meinen Aktionen zu reden. Das ist schwer in einer Medienlandschaft, die persönliche Storys erzählen, aber keine widerständigen Perspektiven aufzeigen möchte. Wenn ich irgendwann vor Arroganz abhebe, werden mich hoffentlich nette Leute aus meinem Umfeld kidnappen und für ein Jahr auf einem Bauwagenplatz ans Lagerfeuer setzen und zum Rumgammeln anstiften.

Silvia: Mir geht es da anders. Ich rede zwar auch von Aktionen und Projekten, aber meist mit persönlichem Bezug. Kann schon sein, dass da die Medien mehr drauf abfahren, aber solange ich meine Message rüber bekomme, gebe ich gerne auch etwas Preis von mir. Ich entscheide frei, was genau ich mit der Öffentlichkeit teilen will, auch wenn es scheint, als würde ich mit Buch, Blog (www.mutig-mutig.org) und Interviews mein ganzes Leben ausplaudern.