Zwei Jahre lang war es im kleinen Dänemark das Thema Nr. 1 gewesen (neben den Ambitionen des rechtsliberalen Ex-Premiers Anders Fogh Rasmussen auf das Amt des Nato-Generalsekretärs): der Weltklimagipfel bzw. die 15. "Conference of the Parties" des UN-Rahmenabkommens über den Klimawandel.
Das Ziel war klar vorgegeben: ein Abkommen mit verbindlichen Zielen zur Verringerung des CO2-Ausstoßes – unter Einschluss der USA. Dänemark erhielt ein eigenes Klimaministerium, deren Chefin Connie Hedegaard eigentlich eine Klimagipfelministerin war. Heerscharen von BürokratInnen arbeiteten Tag und Nacht für die Vorbereitung der größten Umweltkonferenz aller Zeiten.
Zu den akribischen Vorbereitungen der Konferenz gehörte auch die schnelle Verabschiedung eines als „lømmelpakke“ („Lümmelpaket“) bekannt gewordenen Polizeigesetzes.
Es bringt einige in den bürgerlichen Demokratien Europas bisher ungekannte Einschränkungen des Demonstrationsrechts mit sich: Bloße Teilnahme an einer gewaltfreien Sitzblockade ist seither in Dänemark mit 40 Tagen Haft bedroht.
Schon aus dem Namen dieses Gesetzes spricht eine verächtliche Haltung gegenüber politisch engagierten Menschen, wenn nicht Verachtung gegenüber dem Ideal der Demokratie selbst.
So schien es mir insbesondere als ich einen Polizeivertreter sagen hörte, der positive Effekt des Gesetzes sei, dass es sich junge Leute zweimal überlegen würden, ob sie an einer Sitzblockade teilnehmen.
Dies macht deutlich, was das eigentliche Ziel dieses im Nachkriegseuropa beispiellosen Repressionsinstruments ist: die Kriminalisierung gewaltfreier Aktion.
Nun gut, so mag da mancher fragen, ist denn das so wichtig? Ist nicht das Entscheidende die Frage, was in dem Konferenzzentrum vor sich gegangen ist und welche Ergebnisse für die Zukunft der Menschheit dort (nicht) erzielt wurden? Nun hat man als Demoteilnehmer sicher selbst eine schiefe Perspektive, doch mir scheint, dass die Repression gegenüber der Straße, der fast vollständige Ausschluss der Zivilgesellschaft in der zweiten Konferenzwoche und die arrogante Haltung gegenüber vom Verschwinden bedrohten Inselstaaten wie Tuvalu oder den Malediven ein schlüssiges Gesamtbild ergeben.
Während ich selbst anfänglich den Vorteil hatte, als Vertreter einer Kopenhagener NGO einen der begehrten Konferenzpässe zu besitzen, wurde mir nach dem Ende der ersten Woche urplötzlich mitgeteilt, dass ich in der zweiten Woche keinen Zugang mehr habe, denn die dänischen Gastgeber hatten ganz urplötzlich festgestellt, dass das „Bella Center“ doch nur ein Drittel der Teilnehmer fasse, die man akkreditiert hatte. Weltweite Umweltverbände wie „Friends of the Earth“ wurden in der zweiten Woche mit dem Tritt in den Hintern vor die Tür gesetzt.
Der Vorsitzende dieses Verbandes, selbst Nigerianer und Weggefährte von Ken Saro-Wiwa, den das damalige Militärregime 1995 für seinen Widerstand gegen Shells Ölförderung im Niger-Delta hinrichten lies, wurde nun seinerseits von bulligen Wächtern aus dem Bella Center eskortiert, weil er angeblich für die Mächtigen dieser Welt ein Sicherheitsrisiko darstelle.
Dass es tatsächlich aber die Mächtigen sind, die ein gewaltiges Sicherheitsrisiko für den Rest der Erdbevölkerung darstellen, machte der weitere Konferenzverlauf deutlich. Hier verhandelten die mächtigen Staaten der Welt, die für den überwältigenden Großteil der Treibhausgase verantwortlich sind, mit den ohnmächtigen, die praktisch unbeteiligt am globalen CO2-Ausstoß sind, die aber von Dürre, Überschwemmung oder gar dem endgültigen Verschwinden bedroht sind, um die Höhe der Abfindung für das Akzeptieren des eigenen Untergangs.
Damit Tuvalu oder die Malediven in 100 Jahren noch existieren, so geht aus den Zahlen der UN-Klimaforschungsberichte hervor, müsste der CO2-Gehalt der Atmosphäre bei 350 PPM (parts per million) CO-Äquivalent stabilisiert werden, sodass sich die Erde im Mittel nicht weiter als um 1,5 Grad Celsius erhitzt. (www.350.org)
Das von den Europäern und vielen anderen Staaten immer wieder favorisierte 450 ppm/2C-Ziel nimmt also bereits in Kauf, dass der Südpazifikstaat Tuvalu bald nur noch als die bei Fernsehstationen beliebte Top-Level-Domain .tv im Internet existieren wird. Deshalb gehörte es zu den beeindruckendsten Momenten der Konferenz, als Ian Fry, Mitglied der Delegation Tuvalus, in einem Rededuell mit der Vorsitzenden Connie Hedegaard sagte: „Ich wachte heute morgen auf und ich weinte. Das ist nicht leicht zuzugeben für einen erwachsenen Mann. Die Zukunft meines Landes liegt in Ihren Händen.“ (www.youtube.com/watch?v=oUyZOgcHn)
Wären Menschlichkeit, Verantwortung und Mitgefühl relevante Größen in der internationalen Politik, so hätte dies der Wendepunkt der Konferenz werden müssen.
Allein, dass es um solches nicht geht, hat das Geschehen in und um das Bella-Center mehr als deutlich gemacht. Nicht einmal für das unzureichende 2-Grad-Ziel reichten die Festlegungen letztendlich. Die während der Konferenz völlig unverbindlich in Aussicht gestellten Reduzierungen liefen laut eines internen UN-Papiers auf eine Erwärmung von 3,5 Grad im Erdmittel zu. Nach dem, was wir heute wissen, ist dies ein Szenario, bei dem zahlreiche „Tipping points“ erreicht werden, die ihrerseits unkontrollierbare Kettenreaktionen in Gang setzen werden, etwa ein Massensterben der Wälder Kanadas und Sibiriens. Das Überleben der Spezies homo sapiens wäre in einem solchen Szenario nicht mehr selbstverständlich.
Das Beste, was sich über die bisher weltgrößte Umweltkonferenz sagen lässt, ist, dass sich die Herrschenden aller Ländern selbst in einem Ausmaß delegitimiert haben, wie man es selten zuvor gesehen hat und dass die eigentlichen Impulse von der Straße ausgingen.
So wurde mir von Bekannten, die am Tag der Großdemonstration am 12. Dezember im Konferenzzenturm waren, berichtet, wie die Delegierten gebannt auf die Fernsehschirme blickten, die eine Demonstration von 100.000 Menschen zeigten, die sich unaufhaltsam auf das Bella-Center zuwälzte.
Vielleicht war es auch für die VertreterInnen des globalen NGO-Jetsets eine durchaus heilsame Erfahrung, einmal vermittelt zu bekommen, dass sie eben nicht an der Macht teilhaben, selbst wenn sie sich in Gestus und Habitus ihren Gegenübern bis zur Unverwechselbarkeit angenähert haben. Wenn es um die Wurst geht, dann stellt sich sehr schnell heraus, dass alle „kritischen Dialoge“ und Umarmungen eben doch nicht so gemeint waren.
Vielleicht haben wirklich mehr Menschen als zuvor verstanden, dass echte Veränderung nicht aus wie Hochsicherheitstrakte abgeschirmten Konferenzzentren kommt.