ökologie

„Wir brauchen eine Anti-Atom-Revolution“

Der Winter ist vorbei. Ein neuer Anti-Atom-Frühling ist da: 150.000 Menschen demonstrierten für den Atomausstieg

| Bernd Drücke

"Wir erleben gerade eine weltweite Renaissance der Atomindustrie. In Russland ist der Bau von 24 neuen Atomkraftwerken geplant. Russland hat kein Geld. Die neuen russischen AKWs werden deshalb mit deutschen Geldern finanziert. ... Es ist schön hier zu sein und so viele Menschen zu erleben, die solidarisch für den sofortigen und weltweiten Ausstieg aus der Atomkraft demonstrieren. Wir brauchen eine Revolution, eine globale Anti-Atom-Revolution!"

Vladimir Sliwyak, Mitglied der russischen Umweltschutzgruppe Ecodefence, begeisterte mit seinem starken Redebeitrag die Menschen auf der Anti-Atom-Demo am 24. April am Brennelementezwischenlager (BEZ) in Ahaus.

Zuletzt, am 20. Dezember 2009, waren es bei klirrender Kälte nur 350 Leute, die zur bundesweiten Anti-Atom-Demo nach Ahaus kamen (vgl. GWR 345).

Diesmal, auch dank Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen, kamen zwanzigmal so viele DemonstrantInnen in die westfälische Kleinstadt: 7.000. So viele wie seit der Anti-Castor-Demo 1998 nicht mehr. Vor dem BEZ setzten sich die AtomkraftgegnerInnen symbolisch vor die Haupteinfahrt des Zwischenlagers, um gegen die geplanten Atommülltransporte zu protestieren. Sie lauschten interessanten Redebeiträgen, beispielsweise von Kletteraktivistin Cécile Lecomte, GWR-Autor Matthias Eickhoff (SofA), Olga, einer russischen Anarchistin aus St. Petersburg und den „Katholischen Frauen Deutschlands“.

Sie hörten Livemusik unter anderem vom Anarchorapper Chaoze One und reihten sich geduldig und gut gelaunt in die Warteschlangen vor den Volxküchen und Infoständen ein.

Doch Ahaus war an diesem Tag eine vergleichsweise kleine Demo.

Aufsehen erregend!

Bundesweit haben am 24. April 2010, 24 Jahre nach dem Super-GAU von Tschernobyl, bis zu 150.000 Menschen für die Stilllegung aller Atomanlagen und gegen die von der CDU/FDP-Regierung geplante Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke demonstriert.

Rund 120.000 DemonstrantInnen bildeten eine 120 Kilometer lange Menschenkette zwischen den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel, 20.000 umzingelten das Atomkraftwerk Biblis.

„Wir sind überwältigt von diesem Erfolg. Der Protest war groß, er war vielfältig und bunt, er hat Spaß gemacht. Die hoch gesteckten Ziele, eine 120 Kilometer lange Menschenkette zu bilden und zugleich den Schrottmeiler Biblis zu umzingeln, haben wir gemeinsam erreicht. Hunderte haben sich in den vergangenen Monaten für dieses Ereignis engagiert und das Ergebnis ist eine klare politische Forderung: Atomkraft abschalten!“

So das Resümee des ehemaligen Graswurzelrevolution-Redakteurs Jochen Stay, der in den letzten Wochen gerödelt hat, um die Idee der Menschenkette in die Tat umzusetzen.

Bei den Demonstrationen am 24. April war unübersehbar, dass sich die Anti-Atom-Bewegung seit der Berliner Großdemo mit 50.000 Leuten am 5. September 2009, nochmals verbreitert hat.

Neben den unzähligen „Atomkraft? Nein danke“-Fahnen aus dem Hause „aus.gestrahlt“, waren viele schwarz-rote, attac-, Grüne-, Linkspartei- und sogar SPD-Fahnen und Luftballons zu sehen. Auch christliche und Eine-Welt-Gruppen waren präsent.

Die Anti-Atom-Bewegung hat sich verjüngt

Alle Generationen waren vertreten, aber die vielen Jugendlichen dürften den Altersdurchschnitt dieser in Würde in die Jahre gekommenen sozialen Bewegung deutlich gesenkt haben.

Erfreulich ist auch, dass das Interesse an alternativer Bewegungsliteratur offensichtlich größer

geworden ist. Den Graswurzelrevolution-HandverkäuferInnen wurde die Zeitung förmlich aus der Hand gerissen.

Viele nervt es dagegen, wenn grüne Politikerinnen wie Claudia Roth und Co. die Anti-Atom-Demonstrationen dazu missbrauchen hier ihre billige Wahlpropagandashow abzuziehen.

Wohltuend ist da die Kritik an der parteipolitischen Einflussnahme der Menschen- und Aktionskette, wie sie einen Tag danach die Bürgerinitiative Lüchow-Danneberg formuliert hat.

Es wäre völlig falsch, den massenhaften Protest dahingehend umzumünzen, dass die Hunderttausend angesichts der Pläne von Schwarz-Gelb, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern, den rot-grünen „Atomkompromiss“ verteidigen wollten. „Dieser Vertrag mit den Konzernvertretern ist uns ein Dorn im Auge, denn Rot-Grün hat seinerzeit den störungsfreien Betrieb der Atomkraftwerke garantiert und sich sogar die angebliche ‚Eignungshöffigkeit‘ von Gorleben in den Vertragstext hinein diktieren lassen. Wir bleiben als die Sofortisten treibende Kraft in der Atomausstiegsdebatte und lassen uns nicht an die Kette legen“, kommentiert die BI treffend.

Großdemonstrationen bieten auch für GraswurzelrevolutionärInnen die Möglichkeit mit parteifixierten Leuten ins Gespräch zu kommen. Und wie wollen wir die Menschen für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft begeistern, wenn nicht durch direkte Kommunikation?

Bei den Diskussionen mit Parteijugendlichen ist mir bewusst geworden, dass es nötig ist, immer

wieder auch Erinnerungsarbeit zu leisten. Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang zum Beispiel daran, dass es in den 1970er Jahren Pläne gab, bis zu 200 Atomkraftwerke in Deutschland zu bauen.

Dass davon nur ein Bruchteil durchgesetzt werden konnte, ist vor allem dem beharrlichen Widerstand der Anti-Atom-Bewegung zu verdanken, nicht den Parteien. Das Gleiche gilt für die Wiederaufbereitungsanlage (WAA), die die Atommafia zuerst in Gorleben durchsetzen wollte. Als der niedersächsische CDU-Ministerpräsident Ernst Albrecht dann einräumen musste, dass die WAA im Wendland aufgrund des massiven Widerstands der Bevölkerung nicht durchsetzbar sei, wollte der bayrische CSU-Ministerpräsident Franz-Josef Strauß die WAA in Wackersdorf bauen lassen, wo aufgrund der absoluten 60 Prozent-CSU-Mehrheit kaum Widerstand zu erwarten sei.

Frei nach Herbert Achternbusch: „60 % der Bayern sind Anarchisten. Und die wählen alle CSU.“

Tatsächlich leistete nicht zuletzt auch die örtliche Bevölkerung massiven Widerstand, die Bauern kippten immer wieder Jauche in die WAA-Bohrlöcher und der Bauzaun wurde so löchrig wie ein Schweizer Käse. Die unter anderem aufgrund des vielfältigen Protests, der Sabotage und anderer direkter gewaltfreier Aktionen gestiegenen WAA-Baukosten, veranlassten schließlich die Atomindustrie dazu, ihr größtes Bauprojekt aufzugeben.

Aus der Tatsache, dass die wichtigsten Atomstaatsprojekte in Deutschland in unionsregierten Bundesländern verhindert werden konnten, könnte der Schluss gezogen werden, dass es nicht so wichtig ist, wer die Regierung stellt. Wichtig ist der Widerstand, wichtig sind die sozialen Bewegungen, die sich gegen den Atomstaat stemmen.

Dass die Anti-Atom-Bewegung jetzt einen neuen Frühling erlebt, ist ein Hoffnungsschimmer

Und der Sommer steht vor der Tür: Am 5. Juni 2010 wird der Schwarzbau Gorleben umzingelt.

„30 Jahre nach der Räumung des legendären Hüttendorfes 1004 werden wir den widerständigen Geist aus der Flasche lassen und den Fokus als nächstes auf Gorleben und das Atommülldilemma richten. Im Herbst organisieren wir anlässlich des nächsten Castortransports nach Gorleben eine Abstimmung mit den Füßen, Atomkraftwerke gehören abgeschaltet, statt des Ausbaus in Gorleben fordern wir den Rückbau der Schachtanlage. Gorleben ist politisch vermurkst und geologisch sicher wie die Asse und Morsleben“, erklärte am 25. April Wolfgang Ehmke, ein Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg.

Der Winter ist vorbei, und „wir werden alles geben, dass der Traum Wirklichkeit wird“.