Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

am 23. Mai, unmittelbar vor Drucklegung dieser Ausgabe, verkündete die sächsische Landesregierung, sie wolle den Castor-Transport von Dresden nach Ahaus in den ersten zwei Oktoberwochen abwickeln. „Vor den Sommerferien kann kein LKW rollen, das steht fest. Die Transporte könnten also frühestens Mitte oder Ende September laufen, ich halte die ersten beiden Oktoberwochen für einen vernünftigen und wahrscheinlichen Termin“, so der sächsische Umweltminister Steffen Flath (CDU). Er erklärte die Verhandlungen mit seinem NRW-Amts-Kollegen Fritz Behrens (SPD) für gescheitert. Sachsen bereitet nun 18 einzelne Atommüll-Transporte vor, jeweils einzeln per LKW. Das Bundesland NRW will eine Klage gegen die Transportgenehmigung anstrengen.

Noch lassen sich die Castor-Transporte durch starken öffentlichen Druck, durch Protest und Widerstand von unten stoppen. Seien wir also gut organisiert für einen heißen Anti-Atom-Herbst (siehe Artikel zum Castor-Poker zwischen Dresden und Ahaus auf Seite 20).

Die (Anti-)Atompolitik steht weiterhin auf der graswurzelrevolutionären Agenda. Das Atommülllager Morsleben (S. 13) ist ebenso Thema wie die Urananreicherungsanlage (UAA) Gronau.

Das GWR-HerausgeberInnentreffen am 8. Mai stand unter dem Eindruck der gerade veröffentlichten Folter-Fotos aus dem Irak. Es gab eine intensive Diskussion, die sich zum Teil in dieser Ausgabe widerspiegelt und die auch in der im Juli erscheinenden GWR 291 Raum einnehmen soll.

Der für die GWR 290 eingeplante Leitartikel zum Thema Folter und ein Kommentar einer US-amerikanischen Feministin wurden allerdings nicht rechtzeitig fertig. Deshalb habe ich als Ergänzung zu den vorhandenen Beiträgen (Seite 6-9, 17) auf den letzten Drücker noch nebenstehenden Kommentar geschrieben: „Folter – Die grausame Seite der Macht„.

Froh bin ich, dass wir mit Sophia Arevan eine hervorragende Autorin gewinnen konnten, die exklusiv für die GWR vom Forum 2004 aus Barcelona berichtet (S. 1, 14) und für die nächsten Ausgaben weitere Artikel schreiben möchte.

Es finden sich viele weitere spannende Sachen in dieser GWR. Sie können nicht alle aufgezählt werden. Antimilitaristische Beiträge (S. 1, 4-5, 15-17) bilden einen weiteren Schwerpunkt. Es ist zu hoffen, dass die geplante EU-Verfassung, welche Sozialkahlschlag, Militarisierung und Flüchtlingsabwehr festschreibt, zunehmend als Problem erkannt wird und – seien wir realistisch, fordern wir das Unmögliche ! – verhindert werden kann. Rudi Friedrichs GWR-Beitrag und auch das von ihm mitherausgegebene Buch zum Thema sind von daher „Pflichtlektüre“ (S. 1, 15).

Aufsehen erregen und vielleicht heiße Diskussionen anregen wird Alfred Schoberts Artikel „(Nichts) Neues in der deutschen Nahost-Debatte?“ (S. 10 f.). Ich freue mich schon auf die LeserInnenbriefe.

Interessant ist für uns immer auch, wie die GWR von anderen Medien wahrgenommen wird. So findet z.B. die auflagenstarke Stadtillustrierte ULTIMO in ihrem UNI-Spezial, Sommersemester 2004, immerhin zwei (!) Jahre nach dem Kongress „30 Jahre Graswurzelrevolution“, folgende Worte:

ANARCHISTEN

Wer hätte das gedacht: das klerikale Münster ist eine Hochburg der Anarchisten! Denn hier arbeitet die ‚Graswurzelrevolution‘ an der Auflösung ‚autoritärer‘ und nationaler Strukturen (dabei sind diese vaterlandslosen Gesellen eigentlich ganz nette Kerle). Die Münsteraner staunten jedenfalls ordentlich, als der Erste Deutsche Anarchistenkongress mit über 500 internationalen Teilnehmern ausgerechnet in Münster stattfand und selbst die FAZ darüber ausführlich berichtete.“

Na, da haben die Ultimods wieder einiges durcheinander gebracht. Erstens war der GWR-Kongress 2002 nicht der „Erste Deutsche Anarchistenkongress“, zweitens kamen nur etwa 300 TeilnehmerInnen, drittens hat nicht die FAZ, sondern die Frankfurter Rundschau darüber ausführlich berichtet, und viertens: Wir sind keine netten Kerle!

Viel Spaß beim Lesen und li(e)bertäre Grüße,

Infos

Aktuelle Informationen u.a. zu den bevorstehenden Atommülltransporten:

www.nixfaehrtmehr.de
www.wigatom.de
www.castorstopp-dresden.de
www.graswurzel.net
www.bi-ahaus.de

Wer per Handy informiert werden möchte, sollte sich in den SMS-Verteiler unter sms-castor@web.de aufnehmen lassen.