Corona-Leugnung und Neue Rechte
„Das Ende der Pandemie“? Von wegen, Covid19 ist real und die weltweiten Infektionszahlen steigen
Liebe Leser*innen,
manchmal überschlagen sich politische Ereignisse und es entstehen sozialrevolutionäre Situationen. Ein solch historischer Wendepunkt findet momentan möglicherweise in Belarus statt.
Belarus
Seit Wochen demonstrieren Hunderttausende selbstorganisiert, gewaltfrei, mutig und ohne Führer gegen den weißrussischen Diktator Lukaschenko, der das zwischen der EU und Russland liegende Belarus und die 9,5 Millionen Einwohner*innen seit 1994 „mit harter Hand“ regiert. Politische Gegner*innen des Lukaschenko-Regimes werden inhaftiert, gefoltert und aus dem Land getrieben. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen und die Menschen massenhaft auf die Straße gebracht hat, war die gefälschte Wahl im August 2020, bei der nach Angaben des Staatsapparates 80% der Wähler*innen dem Despoten ihre Stimme gegeben haben.
Dazu schreibt die taz auf ihrer Titelseite vom 16. August: „Der Einzige, der ihn [Lukaschenko] jetzt noch an der Macht halten könnte, wäre Putin. Doch es gibt keinen einzigen logischen Grund, warum dieser dem weißrussischen Diktator noch einmal helfen sollte.“ (1) Das ist eine verblüffende Einschätzung. Natürlich gibt es nicht nur einen logischen Grund für Putin, seinen Pudel und Diktator-“Kollegen“ Lukaschenko zu stützen: Hegemonie über Russlands Vorhof Belarus, das wirtschaftlich und politisch eng mit dem Putin-Reich verbandelt ist.
In einem aktuellen Kommentar auf der GWR-Homepage schreibt Mathias Schmidt: „Mit seinem russischen Amtskollegen Putin teilt er [Lukaschenko] die Einschätzung, dass der Zerfall der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts sei. Doch während Putin seine Amtszeit auf ewig verlängert, dreht Lukaschenko die Zeit vollständig zurück. Er zermalmte die zarten Sprossen der Demokratie und re-sowjetisierte Belarus – natürlich mit ihm an der Spitze.“ (2)
Mehr zum Thema findet Ihr auf graswurzel.net. Einen längeren Artikel, mit solidarischem Blick auf gewaltfreie und anarchistische Bewegungen in Belarus, werden wir in der Oktoberausgabe der Graswurzelrevolution veröffentlichen.
Mali
In der taz vom 20. August bejubelten der schon oft durch Kriegspropaganda aufgefallene Dominic Johnson und seine Kollegin Katrin Gänsler den Putsch im westafrikanischen Mali. Unter dem Titel „Unterstützung für Mali ist wichtiger denn je“, fordert Gänsler, dass die EU und Deutschland „ihre militärische Zusammenarbeit mit Mali nicht aufgeben“ sollen.
Dazu möchte ich zu einem Gedankenspiel anregen. Man stelle sich vor, dass in Frankreich ein Staatsstreich rechtsgerichteter Militärs gegen die demokratisch gewählte Regierung stattfindet. Würde die taz dann ähnlich reagieren wie auf den realen Militärputsch, der im August 2020 in Mali stattfand? Um das offensichtlich neokolonialistisch, pro-militärisch und anti-demokratisch gefärbte Weltbild der taz-Autorin zu erkennen, ersetze man in ihrem eurozentristischen taz-Leitkommentar gedanklich die Worte Mali durch Frankreich und Präsident Keïta durch Präsident Macron. Gänsler: „Die Machtübernahme des Militärs mittels Putsch in Mali klingt undemokratisch, weshalb dieser auf internationaler Ebene scharf verurteilt wurde. Gerade die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas hat (…) betont, dass Präsident Ibrahim Boubacar Keïta ‚demokratisch gewählt‘ sei und man an ihm festhalte. Zu der Äußerung beigetragen hat sicher die Sorge, dass es in den ebenfalls von Gewalt und Unruhe betroffenen Nachbarstaaten mit schwachen Regierungen zu ähnlichen Entwicklungen kommt. Dass es dennoch zum Staatsstreich gekommen ist, dazu hat die Regierung selbst eifrig beigetragen, [z.B.] (…) durch Partybilder von Keïtas Sohn Karim, der Abgeordneter ist (…). Bei der Aussicht auf drei weitere Jahre im Stillstand (…) schien der Putsch der letzte Ausweg. Bereits bei Keïtas Wiederwahl 2018 war die Frustration zu spüren. Zwar wurde der Amtsinhaber mit wenig Begeisterung wiedergewählt. Doch das lag auch daran, dass die Opposition mit Soumaïla Cissé ebenfalls nur die alte, abgenutzte Politikerriege zu bieten hatte. Anstatt Mali nun alle Hilfe zu versagen, ist es wichtig, die Putschisten beim Wort zu nehmen. (…) Für die Putschisten spricht erst einmal der unblutige Staatsstreich. Bestätigen sich diese ersten Eindrücke (…), gilt auch auf militärischer Ebene, dass die Zusammenarbeit nicht eingestellt werden darf.“ (3)
Haben die vielen ganzseitigen Bundeswehranzeigen in der taz den Verstand der taz-Redaktion vernebelt? Oder warum bringt sie einen solch reaktionären Quark auf die Titelseite? Offenbar ist die taz nicht in der Lage, den neokolonialen Kriegseinsatz von 970 Bundeswehrsoldaten unter anderem zur Absicherung der Uranminen und anderer geostrategisch wichtiger Bodenschätze in Mali als Teil des Problems zu kritisieren. Die ehemals linke tageszeitung begrüßt einen Militärputsch. Unfassbar!
Für Antimilitarist*innen und Gegner*innen neoimperialer EU-Militärpolitik sind die Forderungen klar: Bundeswehr sofort raus aus Mali! Schluss mit der Unterstützung von Militärregimen und Diktaturen! Militär abschaffen!
Für die Graswurzelrevolution Nr. 452 schreibt Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung eine antimilitaristische Analyse zu den Entwicklungen in der ehemaligen französischen Kolonie.
GWR 451
Auf der Leser*innenbriefseite dieser GWR kritisiert Axel Niederbröker zu Recht, dass wir oft aus Münster berichten. Die GWR-Redaktion hat ihren Sitz in der westfälischen Provinzmetropole und ist auch lokal aktiv. Die Graswurzelrevolution ist aber ein internationales Organ sozialer Bewegungen und kein Lokalblatt. Auch wenn es uns in den Fingern juckt, versuchen wir deshalb so selten wie möglich von unseren lokalen Aktionen zu berichten. So sucht Ihr in dieser GWR etwa vergebens einen Bericht über die gelungene Demo, mit der – mit GWR-Beteiligung – am 25. Juli eine Kundgebung von Corona-Leugner*innen an der antifaschistisch-anarchistischen Paul-Wulf-Skulptur in Münster verhindert werden konnte. (4)
Die Graswurzelrevolution Nr. 451 bietet Euch stattdessen vier Schwerpunkte: Antirassismus, Antimilitarismus, Gewaltfreie Aktionen gegen in Stein gemeißelte Hasspropaganda und die katastrophalen Zustände in der Schlachthausindustrie. Auch die ökologischen Folgen der Digitalisierung, die Machenschaften der Atomindustrie im Schatten der Klima-Krise, der Kampf um linke Freiräume und vieles mehr werden beleuchtet.
Viel Spaß beim Lesen, Anarchie und Glück,
Anmerkungen:
1) https://taz.de/Wenig-Zukunft-fuer-Lukaschenko/!5702534/
2) https://www.graswurzel.net/gwr/2020/08/das-ende-des-alten-weissrussischen-mannes/
3) https://taz.de/Staatsstreich-in-Mali/!5702904&s=Unterst%C3%BCtzung+f%C3%BCr+Mali+ist/
„Das Ende der Pandemie“? Von wegen, Covid19 ist real und die weltweiten Infektionszahlen steigen
Kapitalistische Ausbeutung, Rassismus, sexualisierte Gewalt, Massenschlachten
Redebeitrag von Nele Müller auf einer Black-Lives-Matter-Kundgebung
Beschädigungen und Umwidmungen trugen zur Rehabilitierung von Deserteuren des 2. Weltkrieges bei
Jüdische Zeitschrift diskutiert neue Allianzen und "unerhörte" Positionen
Aktion Zivilien Ungehorsams gegen den Krieg, der in der altmärkischen Heide beginnt