Der Herbst fing mit historisch wichtigen Ereignissen für die sozialen Bewegungen an. Am 26. September 2021 stimmten beim Volksentscheid über 59,1 Prozent der Berliner*innen für die Enteignung und Vergesellschaftung privater Wohnungsunternehmen. Dieser Erfolg der Bürger*innen-Initiative, deren Name bereits ihr Hauptziel enthält – „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ –, wurde in der Mieter*innen-Bewegung verdientermaßen gefeiert. Die Hoffnung ist groß, dass dies in die Praxis umgesetzt wird. Werden die lokalen Mieter*innen-Initiativen in anderen deutschen Städten in die Fußstapfen Berlins treten? Die steigenden Mieten sind letztendlich auf die profitorientierte Logik der großen Immobilienfirmen zurückzuführen, die nicht nur in Berlin aktiv sind.
Die lang erwartete zapatistische „Gira por la Vida“ (dt. „Reise für das Leben“) erreichte endlich auch die BRD. 170 Delegierte der zapatistischen Bewegung touren derzeit durch Europa, um sich mit lokalen Aktivist*innen, Initiativen, Kollektiven und Organisationen zu treffen. Das Ziel ihrer Reise sind Vernetzung und Austausch mit den sozialen Bewegungen von unten. Deshalb haben nach der Ankunft in Deutschland zahlreiche Veranstaltungen, Treffen und rege Diskussionen mit lokalen Aktivist*innen stattgefunden, z. B. beim „Rebellischen Zusammentreffen“ im Wendland. Die Zapatistas beteiligten sich auch an Protesten und Blockaden – sei es bei den Aktionstagen gegen den Kohleabbau von „Alle Dörfer bleiben“ in Lützerath, sei es bei der Blockade des Waffenkonzerns Heckler & Koch in Oberndorf. Über ihre Begegnung mit der GWR bei ihrer Station in Münster gibt es einen kurzen Artikel von Bernd Drücke auf unserer Homepage. Wir hoffen, dass wir in einer der kommenden Ausgaben einen ausführlichen Bericht über die „Reise für das Leben“ veröffentlichen können.
Am 28. September fand das zweite Treffen der Friedenszeitschriften statt, an dem auch die GWR-Redaktion teilnahm. Dabei wurden praktische Erfahrungen mit Online-Ausgaben und mit verschiedenen Social Media verglichen, aber auch überlegt, wie die unterschiedlichen Schwerpunkte und Herangehensweisen der Zeitungen genutzt werden können, um gemeinsam bestimmte Themen aufzugreifen. Beim nächsten Treffen sollen die begonnenen Diskussionen fortgeführt und ein regelmäßiger Austausch etabliert werden.
Auch auf internationaler Ebene müssen die Vernetzung der Friedensbewegungen und antimilitaristischen Strukturen verstärkt und die gemeinsame Debatte intensiviert werden. Einen wichtigen Rahmen dafür bildet die War Resistersʼ International (WRI), die in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feierte und bei der die GWR auch Mitglied ist. Im November lädt die WRI zu einem mehr als zehntägigen (Online-)Kongress ein, um kollektiv neue Perspektiven zu diskutieren.
1981 riefen lateinamerikanische und karibische Feministinnen den 25. November zum Gedenktag der Opfer von Gewalt an Frauen aus. Das Datum geht auf den Fall der drei im Widerstand aktiven Schwestern Patria, Minerva und María Mirabal zurück, die am 25. November 1960 in der Dominikanischen Republik von der Militärdiktatur unter Rafael Trujillo ermordet wurden. Mit einer Resolution erklärte die UN-Generalversammlung 1999 den 25. November zum „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“. Jedes Jahr werden an diesem Tag weltweit zahlreiche (Gedenk-)Aktionen organisiert, um auf die Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen.
Aus diesen Anlass haben wir „Gewalt gegen Frauen“ zum Schwerpunkt dieser Ausgabe gemacht. Unsere Autor*innen analysieren unterschiedliche Aspekte: Gisela Notz schreibt über Gewalt gegen Frauen, deren Formen und Ursachen, aber auch über feministische Ansätze dagegen; Tinet Elmgren widmet sich im Kontext des Falls Valérie Bacot Gewalt in Beziehungen und in der Familie; Brigitte Kiechle beschreibt die Geschichte des Paragraphen 218 und die Bedeutung von Abtreibungsverboten für die Unterdrückung der Frauen; Henriette Keller konzentriert sich auf Femizide in Mexiko und den „Canción sin miedo“ (dt. „Lied ohne Furcht“), die Hymne der feministischen Protestbewegung; die Aktivistinnen von „Revolutionary Association of the Women of Afghanistan“ (RAWA) berichten über die letzten Entwicklungen in Afghanistan, über Gewalt gegen Frauen und deren Widerstand gegen die Taliban-Herrschaft.
Einer unserer Aufmacher ist der Artikel von Lou Marin, der die Realität der Kriegsführung in Afghanistan nach den Truppenabzügen beschreibt. Dabei zeigt sich die wachsende Rolle der Drohnen, die meist genauso brutal oder noch brutaler als die konventionellen Formen der Kriegsführung sind. Der zweite Aufmacher stammt vom anarchistischen „No Borders Team“ aus Polen, das über Pushbacks an der polnisch-weißrussischen Grenze berichtet.
Die anderen Artikel decken ein breites Themenspektrum ab, wie diese kleine Auswahl zeigt: Elisabeth Voß schildert verschiedene Formen des Ableismus; Maurice Schuhmann stellt die Geschichte und Bedeutung des „Hauses der Demokratie und Menschenrechte“ in Berlin dar; einen Überblick über das Gesamtwerk des anarchistischen Denkers Peter Kropotkin hat Jonathan Eibisch verfasst. Diskussionen anregen will Peter Nowaks Artikel über Andreas Malm, der in seinen Beiträgen zur Klimabewegung die Shoah relativiert, aber dafür wenig Kritik bekommt. Über die Proteste gegen die Auto
mobilindustrie in München berichtet Eichhörnchen.
Last but not least haben wir für Euch zwei Interviews: Bernd Drücke führt ein Gespräch mit der Frauenfriedensarbeiterin Ellen Diederich, die seit 1960 in der Frauen- und Friedensbewegung aktiv ist. Und Eva Lasting interviewt die Mitglieder der kämpferischen Basisgewerkschaft FAU Düsseldorf.
Wir bedanken uns bei all unseren Autor*innen für ihre Mitarbeit und wünschen viel Vergnügen beim Lesen!
Redaktion der Graswurzelrevolution
P.S.: Um all diese großartigen Artikel abdrucken zu können, ist ab jetzt die Termine-Rubrik nicht mehr in der Printausgabe, sondern ausschließlich auf der GWR-Webseite zu finden:
Auf www.graswurzel.net sind unter „Termine und Ankündigungen“ die vielen spannenden Veranstaltungen zu gewaltfreien und anarchistischen Themen noch aktueller und umfangreicher dokumentiert.
Bedeutung von Abtreibungsverboten für die Unterdrückung der Frauen
Andreas Malms Beiträge zur Klimabewegung relativieren die Shoah
Ein Gespräch mit der Frauenfriedensarbeiterin Ellen Diederich
Über Positionierungen und Leistungsfähigkeit, Sprache und Technik
Eine Wiederaneignung von Peter Kropotkins Theorie des kommunistischen Anarchismus
Aktive Solidarität mit der Klimaaktivistin „Ella“ ist weiterhin nötig