Bernd Drücke (Hg.)

Die Kriegslogik durchbrechen!

Graswurzelrevolutionäre Stimmen zum Gaza-Krieg

14,90 

NEU. Jetzt bestellen.

In diesem Sammelband kommen Menschen zu Wort, die sich für Aussöhnung und eine solidarische Gesellschaft jenseits von Nationalismus, Herrschaft und Gewalt einsetzen. Sie stellen sich sowohl gegen den Terror der islamistischen Hamas als auch gegen den der extrem rechten Netanjahu-Regierung.
Buchvorstellung in Berlin …

Beschreibung

Bernd Drücke (Hg.)

Die Kriegslogik durchbrechen!
Graswurzelrevolutionäre Stimmen zum Gaza-Krieg

Mit einem Geleitwort von Moshe Zuckermann

NEU. Jetzt bestellen.

128 S. | 24 farbige Abb. | 14,90 Euro | ISBN 978-3-939045-59-5

Dieser Sammelband soll dazu beitragen, dass politische Diskussionen in einem Klima geführt werden können, das nicht von Einschüchterung geprägt ist. Zu Wort kommen Menschen, die sich für Aussöhnung und eine solidarische Gesellschaft jenseits von Nationalismus, Herrschaft und Gewalt einsetzen. Die Aktivist*innen u.a. von New Profile, Combatants for Peace und Palestinians and Jews for Peace weigern sich, Feinde zu sein. Sie solidarisieren sich mit den Geiseln, den Angehörigen der Opfer von Gewalt in Israel und Palästina, den Geflüchteten und Menschen, die sich dem Mord auf Kommando verweigern. Sie stellen sich sowohl gegen den Terror der islamistischen Hamas als auch gegen den der extrem rechten Netanjahu-Regierung.

Das Buch dokumentiert Beiträge, die vom 7. Oktober 2023 bis zum (mittlerweile gebrochenen) Waffenstillstand am 19. Januar 2025 in der Monatszeitschrift Graswurzelrevolution (GWR) erschienen sind, sowie ein aktuelles Geleitwort von Moshe Zuckermann und einen Beitrag aus der GWR 500 vom Sommer 2025 als Nachtrag.

Aus dem Geleitwort von Moshe Zuckermann
„Es ist eine Errungenschaft dieses Bandes, dass er Autor*innen versammeln konnte, die sich ganz dezidiert weigern, vor dem Konsens auf beiden Seiten zu kapitulieren, namentlich sich nicht durch die Monstrosität des bereits Geschehenen im Hinblick auf die Zukunft einschüchtern zu lassen.“

Buchvorstellung mit Bernd Drücke

Berlin: Freitag, 12.12.2025, 20 Uhr
Buchladen Schwarze Risse, Gneisenaustraße 2a, 10961 Berlin

 

Aus dem Vorwort des Herausgebers

Eine ähnliche Botschaft gegen den Hass verbreitet die nach dem 7. Oktober 2023 entstandene Initiative „Palestinians and Jews for Peace“ aus Köln. Ihre erste Demo am 19. November 2023 mit mehr als 2.000 Menschen in Köln stand unter dem Motto „Sharing Sorrow. Bringing Hope – Leid teilen. Hoffnung bringen“. Die Demo-Organisatorinnen Kristina Bublevskaya und Zeynep Karaosman haben selbst jüdische beziehungsweise palästinensische Wurzeln. Sie fordern, dass „diese extrem brutalisierte Gewalt, dieses furchtbare Schwarz-Weiß-Denken“ endlich aufhören müsse. „Es wird nicht gesehen und gehört, dass wir beide leiden können, dass wir beide Schmerz empfinden, traurig sind und Wut empfinden. Gleichzeitig können wir aber nicht wirklich trauern, weil das nicht erlaubt wird, weil wir uns immer rechtfertigen müssen“, so Bublevskaya. Ziel sei es, den Diskurs in Deutschland zu verändern. Karaosman: „Wir sind nicht neutral. Wir haben eine Position. Wir sind auf der Seite der betroffenen Zivilistinnen und Zivilisten.“

Dieses Buch ist kein weiteres Geschichtsbuch zum Israel-Palästina-Konflikt, sondern eine Fundgrube mit Texten, die Empathie wecken und Mut für eine solidarische Gesellschaft machen sollen. Vielleicht können sie dazu beitragen, dass bei dem einen oder der anderen das Denken die Richtung wechseln kann.

Inhalt

Moshe Zuckermann: Geleitwort
Bernd Drücke: Vorwort des Herausgebers
Bernd Drücke: Nicht nur über Israel reden. Ein Interview mit Meron Mendel
Netta Ahituv, Nadin Abou Laban: „Diese Partnerschaft ist unsere Hoffnung“ – Jüdisch-arabische Solidaritätsinitiativen
Die Barbarei beenden! Erklärung der anarchosyndikalistischen CNT-AIT Paris zu Israel/Palästina
Robert Krieg: Wenn der Terror die Oberhand gewinnt
Jens Kastner: Beschämende Signale
Swetlana Nowoshenova: „Wir müssen keine Feinde sein“
Swetlana Nowoshenova: „Es hat sich für mich noch nie so beängstigend angefühlt, jüdisch zu sein“
Rana Salman: Auf Feindschaft eingeschworen – jetzt
Partner*innen für den Frieden: Die israelisch-palästinensische Graswurzelbewegung „Combatants for Peace“
Connection e.V.: Solidarität mit Tal Mitnick!
Zey Karaosman (Palestinians and Jews for Peace): Wir glauben an unser Zusammenleben
Grauer Block Basel: Der Nahost-Konflikt und die Linke hier
Bernd Drücke / Nika Hackenreiter: „Es ist wichtig, die Kriegslogik zu durchbrechen“ – Ein Gespräch mit Swetlana Nowoshenova von den Palestinians and Jews for Peace
Combatants for Peace: Von der Vision eines gerechten Friedens
Oren Ziv: Israelische Kriegsdienstverweigerin Sofia Orr im Gefängnis
Roya Soraya: „Palestinians and Jews for Peace“-Graphic Novel
Swetlana Nowoshenova: „Wir kämpfen für kollektive Befreiung, gemeinsame Solidarität und universelle Menschenrechte“
Elmar Wigand: Fabrizierter Konsens: Krieg der Narrative
Swetlana Nowoshenova: Für uns war der 7. Oktober eine Zäsur
Or (New Profile): Solidarität mit Israels Graswurzelbewegung!
Kurve Wustrow: Gewaltfreiheit verbreiten! Petition für New Profile, Zochrot und eine gerechte Lösung
Swetlana Nowoshenova: Jüdischer Selbsthass?
Thomas Billstein: Krieg im Nahen Osten. Für ein konsequentes Zwischen-den-Stühlen-Sitzen
Statt eines Nachworts: Nadine (Palestinians and Jews for Peace): Macht, Medien, Mittäterschaft. Gaza ist ein Massengrab. Und Deutschland schaut weg.

Rezensionen

 

nd, 13.10.2025

„Wir müssen keine Feinde sein“

Graswurzelrevolutionäre haben sich durch den Krieg in Gaza nicht verhärten lassen

Vor zweieinhalb Wochen, am 27. September, fand im Berliner Lustgarten die größte Demonstration für ein Ende des Gaza-Krieges statt. Die Reden, die Transparente und Plakate beinhalteten zwar eine deutliche Distanzierung von der Hamas, einige Teilnehmer allerdings beklagten, dass jüdische Menschen für die Handlungen der israelischen Regierung in Haftung genommen und in mehreren deutschen Städten angegriffen werden. Die Kritiker betonten, dass sie die Politik der ultrarechten israelischen Regierung unter Benjamin Netanjahu verurteilen, wie auch die Verbrechen der Hamas. Solche nachdenklichen Stimmen offeriert auch der just zur Frankfurter Buchmesse erschienene Band mit dem programmatischen Titel „Die Kriegslogik durchbrechen. Graswurzelrevolutionäre Ansichten und Positionen zum Gaza-Krieg“.

Graswurzelbewegung steht für politische Mobilisierung jenseits staatlicher Organisationen. „Graswurzelrevolution“ ist zudem der Name einer seit über 50 Jahren bestehenden Zeitschrift, die für Antimilitarismus, Staats- und Machtkritik steht. Die Autoren, die für diese Zeitschrift schreiben, lehnen Kriege und Gewalt jeglicher Couleur ab. Von diesem Grundsatz geleitet sind auch die in dem hier vorzustellenden Band dokumentierten Texte, die der verantwortliche Redakteur des monatlich erscheinenden Blattes, Bernd Drücke, zusammenstellte.

„Krieg, Hass, Tod und unendliche Leiderfahrungen müssen nicht das letzte Wort im israelisch-palästinensischen Konflikt bleiben“, äußert der Herausgeber des Bandes in seinem Vorwort. „Das gilt nicht nur für die geschundene Gaza-Bevölkerung, sondern auch für die jüdisch-israelische Bevölkerung“, ergänzt der in Jerusalem lebende Soziologe Moshe Zuckermann in seinem kurzen Geleitwort.

Gleich mehrmals kommt im Band Swetlana Nowoshenowa zu Wort, die verdienstvollerweise nach dem Terrorakt der Hamas vom 7. Oktober 2023 in Köln die Organisation Palestinias and Jews for Peace gegründet hat und in öffentlichen Reden in diversen deutschen Städten immer wieder betonte: „Wir müssen keine Feinde sein.“ Dafür muss sich die Friedensaktivistin immer wieder Vorwürfe anhören, sie sei eine „selbsthassende Jüdin“. Ein Schmähbegriff, der zum festen Vokabular des neuen Antisemitismus gehört und jüdische Menschen diffamieren soll, die sich gegen Kriegstrommler aller Herren Länder, Nationen und Religionen wenden.

Vorgestellt wird in diesem Band auch die Vereinigung Combatants for Peace, die 2006 von ehemaligen israelischen Soldaten und palästinensischen Kämpfern ins Leben gerufen wurde. Zu deren Mitbegründern gehörte Chen Alon, der in der Westbank und in Gaza eingesetzt war und 2003 eine Petition wider die israelische Besatzungspolitik initiiert hatte, die von über 500 Kameraden unterzeichnet worden ist. Für sein unbeirrbares Eintreten für ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinensern wurde er 2017 für den Friedensnobelpreis nominiert.

Chen Alon hat Mitstreiter auf der anderen Seite, beispielsweise den einst militanten Palästinenser Ahmed Helou, die sich ebenfalls aufopferungsvoll für ein Miteinander statt ewiges Gegeneinander in Nahost einsetzen. Dass dies möglich ist und von den jeweils einem der beiden feindlichen Lager zugerechneten Menschen auch gewünscht und ersehnt wird, verdeutlichen mehrere Beiträge. Erinnert wird unter anderem daran, dass am Tag und am Ort des kriegsauslösenden Hamas-Massakers Palästinenser und Beduinen erste Hilfe für die Verletzten leisteten.

Es ist das große Verdienst der Autorinnen und Autoren des Bandes, Leid und Schmerz auf beiden Seiten des Gaza-Krieges zu sehen, die Opfer nicht gegeneinander aufzuwiegen und das universelle Menschenrecht auf ein Leben in Freiheit und ohne Gewalt Palästinensern wie Israelis zuzugestehen. Die Texte der Graswurzelrevolutionäre, die sich nicht von der scheinbar übermächtigen Kriegslogik verhärten lassen, machen Mut.

Die Lektüre dieses Bandes sei gerade auch Politikern und Publizisten hierzulande empfohlen, die trotz anwachsender internationaler Proteste die israelische Regierung bedingungslos verteidigten und hiesige kritische und mahnende Stimmen leichtfertig und böswillig denunzierten.

Peter Nowak

 

contraste, Nr. 495, Dezember 2025

„Wenn in Israel die Wehrpflicht abgeschafft wird, weil sie nicht mehr benötigt wird. Und dass alle Menschen in Israel und Palästina in Freiheit, Frieden, Sicherheit und gleichen Rechten gemeinsam leben können“, so lautet die Utopie der jüdischen Aktivistin Swetlana Nowoshenova, die sie in einem Interview äußert. Neben diesem Interview ist sie gleich mit vier weiteren der insgesamt 25 Beiträge in diesem Sammelband vertreten. Daneben gibt es lesenswerte Beiträge zur israelisch-palästinensischen Graswurzelbewegung „Combatants for Peace“, jüdisch-arabischen Solidaritätsinitiativen oder israelischen Kriegsdienstverweiger*innen, d.h. Beiträge von Betroffenen und Kräften aus der Region.

Zudem gibt es aber auch Erklärungen der Pariser CNT-Sektion, der Kurve Wustrow oder von Jens Kastner gegen die Hamas-Solidarität von Teilen der linken Bewegung, d.h. von nicht direkt im Konflikt stehenden Protagonist*innen. In der Hinsicht gelingt es der Monatszeitung Graswurzelrevolution (GWR) unterschiedliche Perspektiven und Teilaspekte des Konflikts zu beleuchten. Das Geleitwort für den Sammelband hat Moshe Zuckermann, ein jüdischer, emeritierter Professor für Philosophie, verfasst. Es ist der einzige Exklusivbeitrag in diesem Buch. Die anderen Beiträge wurden vorher bereits in der GWR abgedruckt. Es sind dabei weniger intellektuelle Analysen des Konflikts, sondern eher Stimmen aus sozialen Bewegungen und Basisbewegungen, die hier zu Wort kommen.

Soweit so gut. Es gibt leider einen kleinen Haken – und der betrifft nicht nur das hier vorliegende Buch: Es fehlen die expliziten Stimmen von Palästinenser*innen. Wo sind die Stimmen derer, die in Palästina gegen die Hamas protestieren und die sich genauso wie die hier versammelten Israelis von ihrer Regierung lossagen und diese kritisieren? Ich glaube, dass es diese auch gibt – und dass diese es auch verdienen, gehört zu werden, weil sie bislang im öffentlichen und im Szenediskurs viel zu kurz kommen. Dessen ungeachtet ist „Die Kriegslogik durchbrechen!“ ein wichtiger Beitrag zur aktuell sehr aufgeladenen Debatte – und ein Beitrag, der sich der Freund-Feind-Logik auf nationaler Ebene verweigert und konsequent auf Seiten der Zivilbevölkerung steht.

Die Graswurzelrevolution wirkt – gerade in Zeiten von laufenden Kriegen, die bei uns im deutschsprachigen Raum auch als Stellvertreterkrieg in linken Debatten geführt werden – als eines der wenigen konsequenten pazifistischen Organe im linken Blätterwald. Für Leser*innen, die sich aus Graswurzelperspektive mit dem Konflikt und Perspektiven auf den Konflikt beschäftigen wollen, ist dieser Sammelband eine geeignete Lektüre. Regelmäßige GWR-Leser*innen kennen aber die Beiträge bereits und brauchen dieses Buch daher nicht unbedingt.

Maurice Schuhmann

 

Graswurzelrevolution Nr. 503, November 2025

Stimmen gegen die Feindbild-Logik

Der Sammelband „Die Kriegslogik durchbrechen!“ setzt Zeichen der Hoffnung

Nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 waren es hunderte arabischer Beduinen, die in spontan zusammengestellten unbewaffneten Notfallteams nach vermissten Israelis suchten. In Haifa und Jaffa bildeten sich gemischte arabisch-israelische Zivilpatrouillen, um Zusammenstöße zwischen beiden Bevölkerungsgruppen zu verhindern. In der Unerbittlichkeit, mit der zwei von genozidalen Phantasien angetriebene Akteure im Gaza-Konflikt aufeinander losgegangen sind, sind es diese Zeichen der Hoffnung, die leicht in Vergessenheit geraten. Deshalb ist die Veröffentlichung eines Buches, das genau solche Perspektiven dokumentiert, so wichtig in den Diskursen über den Nahen Osten.

Das Buch versammelt „graswurzelrevolutionäre Stimmen“, die zuerst in der anarchistisch-pazifistischen Monatszeitung „Graswurzelrevolution“ erschienen und nun vom gleichnamigen Buchverlag zwischen Buchdeckel versammelt wurden. Herausgeber ist der Redakteur der GWR, Bernd Drücke. Das bewirkt eine gewisse Fokussierung auf politische, undogmatisch-linke Initiativen in Palästina/Israel und in Deutschland. Zu Wort kommen insbesondere Vertreter*innen der Organisationen „Palestinians and Jews for Peace“, die in Deutschland aktiv ist, und „Combatants for Peace“. In letzterer organisieren sich ehemalige Ex-Soldat*innen der „Israel Defense Forces” (IDF) und ehemalige palästinensische Paramilitärs, die in Schlüsselerlebnissen lernten, ihre Gegenüber als Menschen zu sehen. Auch zwei junge Menschen, die den Kriegsdienst bei den IDF aus politischen Gründen verweigerten und dafür Haftstrafen in Kauf nahmen, kommen zu Wort.

Das Spektrum derjenigen, die sich der Logik des ethnischen Hasses widersetzen, wird in diesem Buch nicht erschöpft. Das bekannte israelisch-arabische „West-Eastern Divan Orchestra“ z. B. erfährt nur eine beiläufige Erwähnung. Die Organisation „Road to Recovery“ mit 1500 Freiwilligen, die Palästinenser*innen an Checkpoints abholen, um sie zur Behandlung in israelische Krankenhäuser zu bringen, kommt in dem Buch nicht vor. Sie hätte das Gesamtbild aber bestätigt. Auch „Road to Recovery“ litt nach dem 7. Oktober 2023 zunächst unter der „Welle der Desillusionierten“ (87), welche die Hoffnung auf Versöhnung aufgaben. Doch dann kamen viele neue Ehrenamtliche hinzu. Viele Israelis werden an ungezählten Orten aktiv, weil sie sich für ihre Regierung schämen und dem etwas entgegensetzen wollen.

Viele, aber doch nur eine kleine Minderheit. Eine linke israelisch-jüdische Perspektive, sagt Swetlana Nowoshenowa von „Palestinians and Jews for Peace“ im Interview, sei heute eine „sehr, sehr einsame Position“ (77).

Das Buch, das Texte zusammenbringt, die zwischen Herbst 2023 und Sommer 2025 entstanden (inklusive eines Interviews mit dem Autor Meron Mendel, das kurz vor dem Hamas-Überfall geführt wurde), dokumentiert auch Entwicklungsprozesse, die sich in diesen zwei Jahren abgespielt haben. Es ist einigermaßen beklemmend, wie rasch die Zahl der getöteten Menschen in Gaza von Beitrag zu Beitrag steigt. Jens Kastners Beitrag unter der Überschrift „Gegen die Hamas-Versteherei in der Linken“ spiegelt westliche Debatten unmittelbar nach dem Hamas-Überfall, wie sie auch Eva Illouz in ihrem aktuellem Buch „Der 8. Oktober“ problematisiert. Kastner lässt, ähnlich wie Illouz, die in der Tat zynische Einschätzung des Hamas-Überfalls als „Signal des palästinensischen Widerstands“ aus der linken Analyse Israels als Kolonialmacht und Apartheids-Staat folgen, die er abwegig findet (46). Der Rezensent hält beide Begriffe hingegen für brauchbare Analysekategorien: Aus der Tatsache, dass Israel 1948 nicht als Kolonialmacht entstand, folgt keineswegs, dass es sich nicht nach 1967 zu einer solchen entwickeln konnte. Und die Bezeichnung der unterschiedlichen Rechte von jüdischen und nichtjüdischen Menschen in Israel und den besetzten Gebieten als „Apartheid“ ist nicht zuletzt unter kritischen Israelis weit verbreitet, wovon es im Buch auch Beispiele gibt (84). – Aber es ist gut, dass der Band vielstimmig ist und nicht zu sehr auf die ‚Reinheit‘ der Begriffe abzielt. Auch Nowoshenowa empfiehlt, dass man im Gespräch mit Betroffenen „mal ein Auge zudrückt, wenn die Emotionen verrückt spielen“ (75 f.).

Das Tableau der Stimmen in diesem Band ist durch zwei soziologische Auffälligkeiten gekennzeichnet. Erstens: Obwohl überwiegend Organisationen zu Wort kommen, in denen jüdische und palästinensische Menschen kooperieren, überwiegen die jüdischen Stimmen. Noch auffälliger jedoch: Es überwiegen die weiblichen Stimmen. Das dürfte damit zusammenhängen, dass die Feindbild-Logik, die es zu durchbrechen gilt, eine toxisch-männliche, eine chauvinistische Logik ist. Netanjahus Regierung und die Hamas-Führung ähneln darin einander viel mehr als den jeweiligen Opfern auf ‚ihrer‘ Seite. Der „Marsch für Frieden“, den 3.000 israelische und palästinensische Frauen 2016 zum Amtssitz Netanjahus durchführten, zeigte die Alternative zu dieser Macho-Logik. Die auf israelischer Seite für den Marsch maßgebliche Organisation „Women Wage Peace“ hat heute 40.000 Mitglieder. Eine weitere Ergänzung des im besprochenen Band auftretenden Portfolios. Im Dachverband „Alliance for Middle East Peace“ (ALLMEP) sind über 170 israelische, palästinensische und beiderseitige Friedensinitiativen organisiert, die immerhin Hunderttausende von Aktivist*innen umfassen. Wir wissen viel zu wenig darüber.

Das besprochene Buch bringt hier Licht ins Dunkel. Es ist wichtig, um die Chancen auf eine Versöhnung im Palästina-Konflikt diesseits der fanatischen, kriminellen Führungen auszuloten. Aber es wirft auch ein beunruhigendes Schlaglicht auf unseren eigenen Staat. Den israelischen Friedensorganisationen „New Profile“ und „Zochrot“, die im Band ebenfalls berücksichtigt werden, hat die Bundesregierung im Juni 2024 (noch zur Zeit der Ampel!) die Unterstützung entzogen und sie damit in existenzielle Not gebracht – weil sie der „bedingungslos“ zu unterstützenden Netanjahu-Regierung ein Dorn im Auge sind. „Wieder einmal“, resümiert eine bei „New Profile“ engagierte Aktivistin, „steht Deutschland auf der falschen Seite der Geschichte“. Und die Jüdin Nowoshenowa formulierte bei einer Rede: „Wir sind es leid, dass deutsche Politiker*innen unsere Identität benutzen, um Hass gegen Palästinenser*innen, Araber*innen, Muslime und Geflüchtete zu verbreiten.“ (93 f.)

Ja, es ist beschämend; aber wie im Nahen Osten selbst stellt sich auch in Deutschland die Frage, ob dies das letzte Wort der Geschichte sein muss, ob nicht doch noch die Menschenrechte eine Chance bekommen. Das Bächlein, das dafür zum Strom werden müsste, murmelt bereits. Dies ist die Mut machende Botschaft dieses Buchs.

Rüdiger Haude

 

untergrundblättle, 7. Dezember 2025

„Wir müssen keine Feinde sein“

Ein Band dokumentiert Stimmen, die sich durch den Konflikt im Gaza nicht verhärten lassen wollen.

Am 27. September 2025 fand in Berlin die grösste Demonstration für ein Ende des Gazakriegs statt. Doch für manche jüdische Antimilitarist*innen fehlte bei den Reden, auf den Transparenten und auf den Flugblättern eine deutlichere Absage auch an die Hamas. Einige von ihnen hatten sich am Berliner Lustgarten zu einer kleinen Kundgebung versammelt. Dort konnte man Menschen hören, die darüber klagten, dass jüdische Menschen für die Politik Israels in Berlin und anderen Städten angegriffen werden. Dabei betonten diese Redner*innen, dass sie selber die Politik der ultrarechten israelischen Regierung klar verurteilten, genauso wie die Angriffe der Hamas.

Solche nachdenklichen Stimmen zwischen den Stühlen finden sich auch in dem Buch mit dem programmatischen Titel „Die Kriegslogik durchbrechen!“ „Graswurzelrevolutionäre Stimmen zum Gaza-Krieg“, wie es im Untertitel heisst, dokumentiert. Das Adjektiv hat zwei Bedeutungen. Die Metapher Graswurzelbewegung steht für eine Organisierung an der Basis jenseits von staatlichen Institutionen.

Graswurzelrevolution ist zudem der Name einer seit über 50 Jahren bestehenden Monatszeitung, die für Antimilitarismus, Staats- und Machtkritik steht. Die Autor*innen der GWR lehnen Kriege und Gewalt von allen Seiten ab. Genau von diesen Grundsätzen sind die dokumentierten Texte in dem Band geleitet, das vom verantwortlichen Redakteur der GWR Bernd Drücke herausgegeben wird. Die überwiegende Mehrzahl der Texte wurde in den letzten Jahren in der gwr veröffentlicht.

„Krieg, Hass Tod und unendliche Leiderfahrungen müssen nicht das letzte Wort im israelisch-palästinensischen Konflikt bleiben“, äussert Drücke im Vorwort eine Hoffnung. „Das gilt nicht nur für die geschundene Gaza-Bevölkerung, sondern auch für die jüdisch-israelische Bevölkerung“, ergänzt der in Jerusalem lebende Soziologe Moshe Zuckermann in seinem kurzen Geleitwort.

Gleich mehrmals kommt in dem Band Swetlana Nowoshenowa zu Wort, die die Organisation Palestinians and Jews for Peace gegründet hat und in verschiedenen Reden in den letzten Monaten unermüdlich betonte: „Wir müssen keine Feinde sein“. Sie muss sich immer wieder Vorwürfe anhören, sie wäre eine „selbsthassende Jüdin“. Mit diesem Schmähbegriff setzt sich Nowoshenowa in einem Beitrag in dem Band auseinander. Er gehört längst zum Repertoire eines neuen Antisemitismus, von dem jüdische Menschen betroffen sind, die sich gegen die Kriegstrommeln wenden.

Aber natürlich gehen auch die Islamisten der Hamas mit Einschüchterung und Gewalt gegen Palästinenser*innen vor, die aus der Kriegslogik aussteigen wollen. Wer erinnert sich noch an die Proteste von Bewohner*innen des Gaza, die gegen islamistische Rackets protestierten, die sich dagegen wehren, zu unfreiwilligen Schutzschilden für deren Angriffe auf Israel zu werden? Mehrere der Oppositionellen wurden ermordet oder mussten aus dem Land fliehen. Deswegen ist die Parole „Free Gaza from Hamas“ durchaus richtig, wenn denn auch die Solidarität mit der israelischen Opposition gefordert wird.

Zu loben ist der Mut der Combatants for Peace, die in dem Buch vorgestellt werden. Es sind Ex-Soldaten wie der ehemalige IDF-Kämpfer Chen Alon und der ehemalige militante Palästinenser Ahmed Helou, die heute für ein gemeinsames Miteinander im Nahen Osten eintreten. Natürlich kommt auch das Hamas-Pogrom vom 7. Oktober 2023 in verschiedenen Beiträgen zur Sprache. Da wird berichtet, dass auch Palästinenser*innen und Beduinen zu den Menschen gehören, die in den ersten Stunden Hilfe für die Verletzten organisierten. Es ist das grosse Verdienst der Autor*innen des Bandes, dass sie auf beiden Seiten des Konflikts Menschen sehen, die Rechte haben, die leiden, die unter Schmerzen sterben.

Gegen Hamas und Kahanismus

Es macht Mut, diese Texte von Menschen zu lesen, die sich von der scheinbar übermächtigen Kriegslogik nicht verhärten lassen. Die Lektüre sei auch allen empfohlen, die in den Konflikt vor lauter Geo- und Machtpolitik die Menschen nicht mehr sehen. Das gilt für die pro-palästinensische Seite, wo manche in dem Hamas-Pogrom vom 7. Oktober 2023 irgendetwas Fortschrittliches sehen wollen. Das gilt auch für alle, die bis heute die Kriegspolitik der israelischen Regierung bedingungslos verteidigen und sogar teilweise wegreden wollten, dass die Zivilbevölkerung des Gaza während der Kriegshandlungen an Hunger litt.

Die bedingungslosen Verteidiger*innen der israelischen Regierung lassen auch ausser Acht, dass in Jerusalem eine Regierung mit einem rechtskonservativen Premierminister und mehreren kahanistischen Ministern amtiert. Der Kahanismus ist eine israelische Spielart des Faschismus und war in Israel lange auch juristisch geächtet. Es ist kein Wunder, dass die ultrarechten Politiker*innen aus aller Welt in der aktuellen israelischen Regierung ihr Vorbild sehen. Deswegen sind sie weiterhin antisemitisch. Das bekommen auch all die Jüdinnen und Juden zu spüren, die eben die aktuelle israelische Regierung nicht bedingungslos verteidigen, sondern an jüdisch-kosmopolitische Traditionen anknüpfen. Sie stehen damit durchaus in guter Tradition.

Wurde doch auch Hannah Arendt, deren 50. Todestag aktuell erinnert wird, angegriffen, weil sie sich als liberale Kosmopolitin nicht bedingungslos zur israelischen Politik bekannte. All die Autor*innen des Buches „Die Kriegslogik durchbrechen!“ stehen ebenfalls in dieser guten Tradition einer Linken, mit der kein Staat zu machen ist und kein Krieg zu führen ist. Es gibt also viele Gründe zu hoffen, dass dieses Buch viel Verbreitung findet. Vielleicht kann es auch helfen, die innerlinke Kriegslogik zu durchbrechen, die vor allem in Deutschland beim Nahostkonflikt herrscht.

Peter Nowak