Beschreibung
Robert Krieg/Daniel Daemgen
… und über uns kein Himmel
Graphic Novel
95 Seiten
ISBN 978-3-939045-18-2
„… und über uns kein Himmel“ beruht auf einem authentischen, exemplarischen Fall. Erzählt wird die Odyssee eines Jungen, der in der Geschichte Fritz Blume heißt, durch Heime der öffentlichen Fürsorge von 1936 bis 1953. Für das nationalsozialistische Regime waren Kinder, die in Waisenhäusern aufwuchsen, „nutzlose Esser“, die von der Gesellschaft durchgefüttert werden mussten. Sie galten als „sozial minderwertig“. Wenn ein Psychiater einen Fürsorgezögling beurteilte und in einem Gutachten für geisteskrank erklärte, konnte das einem Todesurteil gleichkommen. Wie durch ein Wunder überlebte Fritz Blume die Anstalten – im Gegensatz zu den rund 200.000 Menschen, die bis 1945 der „Rassenhygiene“ und der „Vernichtung unwerten Lebens“ zum Opfer fielen. Kriegsende und Zusammenbruch des Nazi-Regimes änderten kaum etwas an den Zuständen in den Heimen und Anstalten. Die der Zwangspsychiatrisierung Ausgelieferten hatten jenseits der Mauern keine öffentlichen FürsprecherInnen. Fritz Blume gehört zu den wenigen, die sich nicht scheuten, das begangene Unrecht selbst öffentlich zu machen und Entschädigung zu fordern. Er verschaffte sich Gehör in einer Nachkriegsgesellschaft, die die Misshandlung „sozial Minderwertiger“ stillschweigend duldete.
Rezensionen
Neues Deutschland
reingelesen
ekz-Lektoratsdienst
Eine mörderische Welt
Die bedrückende Odyssee eines Jungen durch Anstalten der Nazis und der Bundesrepublik
Was ist das St. Johannes Stift gegen Auschwitz? – »Ich habe Glück gehabt«, meint Fritz Blum. Doch wenn man seine Geschichte liest, fragt man sich: Was soll das denn für ein Glück gewesen sein?
Eines der ersten Gesetze der Nazis betraf die »Verhütung erbkranken Nachwuchses«. Mehr als 400 000 Menschen wurden zwangssterilisiert, 200 000 vergast, »abgespritzt«, durch Hunger oder Arbeit »ausgemerzt«, wie es im NS-Jargon hieß. Es traf auch Kinder. Selbst in der Anstalt für »Geisteskranke« des St. Johannes Stifts in Marberg/Sauerland war Folter Programm – und wurde zynisch kommentiert. Starb ein Kind bei einer Kaltwasserbad-Tortur, hieß es, es habe ihn der »Seemannstod« ereilt.
Robert Krieg und Daniel Daemgen erzählen eine authentische Geschichte. Sie schildern die Odyssee eines Jungen durch Heime der »öffentlichen Fürsorge« von 1936 bis 1953. Die Euthanasie-Ärzte sowie die Misshandlungen und Morde im Namen der »Rassenhygiene« absegnenden Geistlichen werden auf eingeschobenen Extraseiten vorgestellt; dazu Originalakten, die deren verbrecherisches Tun dokumentieren. Die Täter wurden im Nachkriegswestdeutschland nahtlos weiter beschäftigt. Dr. Theodor Niebel, Psychiater und Leitender Arzt der »Kinderfachabteilung«, in der Fritz Blum zur zeit des Hakenkreuzes litt, wurde 1957 gar noch zum Landesmedizinalrat befördert; er blieb bis zu seiner Pensionierung 1968 unbehelligt.
Es ist kaum zu ertragen, was man in diesem Buch liest. »Niebel führte … eine Rückenmarkspunktion durch, um mein ›Gehirnwasser‹ zu untersuchen. Wochenlang lag ich mit Schwindelgefühlen und Brechreiz im Bett. Eine mörderische Welt.« Und über die »Ärzte« und Nonnen: »Als Menschen existierten wir nicht für sie. Sie haben nie ein Wort mit uns gesprochen.« Dankbar erinnert sich Fritz Blum nur an die Leiterin der Nähstube der Anstalt, auch eine sogenannte Patientin. »Von ihr erfuhr ich die Wahrheit: ›Die halten uns hier alle für Schmarotzer, die sie durchfüttern müssen. Versuch dich nützlich zu machen. Sie dürfen dich auf keinen Fall ins Erdgeschoss bringen. Da kommt kein Kind mehr lebend raus.‹« Wie durch ein Wunder überlebte Fritz Blum den »Selektions«-Wahn der Nazis. Und er gehörte zu den wenigen, die sich nicht scheuten, das in der NS-Zeit und auch danach – wenn auch nicht in dem mörderischen Ausmaß – begangene Unrecht öffentlich zu machen und Entschädigung zu fordern. Noch Mitte der 60er Jahre stieß er auf ablehnendes Schweigen. Doch schließlich verschaffte er sich Gehör in der Gesellschaft, die die Misshandlung »sozial Minderwertiger« jahrelang stillschweigend akzeptierte.
Man ist erschüttert, wenn man liest, wie er die Nonnen aufsuchte, die das ihm und Zigtausenden anderen Kindern, Frauen und Männern angetane Leid geduldet oder gar gefördert haben. Er wurde kaltherzig abgewimmelt. »Und der Anstaltspfarrer des St. Johannes Stifts August Heide, hat mich schlicht aus seiner Wohnung geworfen.« Man erfährt in diesem Buch, dass noch in den 70er Jahren in der BRD Anstaltsinsassen skrupellos ausgebeutet wurden, für einen Hungerlohn zwölf und mehr Stunden harte Arbeit leisten mussten, Beleidigungen und körperliche »Züchtigung« inklusive.
Das Buch ist als Comic angelegt. Und man fragt sich anfangs bestürzt: Ist das dem Thema angemessen? Die Gattung Comic ist jedoch schon längst nicht mehr auf Klamauk zu reduzieren. Der französische Literaturwissenschaftler Francis Lacassin erhob 1971 den Comic als »Neunte Kunst« in den Kanon der bildenden Künste. Kunst will aufklären. Und das leistet dieses Buch.
erschienen in: Neues Deutschland, 24.11.2012
…und über uns kein Himmel
Geschichte und Psychiatrie im Comic. Krasses Thema, krasses Buch. Ein Baby, das beim erweiterten Suizidversuch der Mutter im Jahr 1935 überlebt und fortan in Heimen, Pflegeanstalten und Kliniken untergebracht wird. Ein Junge, sein Name Fritz Blume.
Der Zeichenstil hat mir erst gar nicht gefallen, aber die Geschichte ist so heftig, dass die kantigen Zeichnungen irgendwie doch sehr gut dazu passen. Es hat mich sehr ergriffen. Ich habe schon einiges gelesen und gesehen über Heime in der Zeit des Nationalsozialismus. Das Thema ist ja heute nicht mehr ganz unbekannt, das Menschen sehr schnell als sogenanntes „unwertes“ Leben klassifiziert wurden, oder sagen wir lieber, diesen Stempel aufgedrückt bekamen, um dann in Erziehungsheime und Anstalten geschickt zu werden. Viele wurden getötet, gequält oder zwangssterilisiert.
Zucht und Ordnung im allerschlimmsten Sinne, macht Fritz von Anfang an durch. Mit schlimmster Brutalität, und das oft auch noch von Christen/Nonnen, die regimetreu in den Erziehungsanstalten ihre uneingeschränkte Macht und Gewalt auslebten, selbst den Kindern und auch den Kleinsten gegenüber.
Weil die Mutter sich und Ihre Kinder töten wollte, wird sie als kranke Person eingestuft und somit auch ihre Kinder als krank definiert – der Hintergrund spielte damals keine Rolle. Es gibt kein Entkommen für Fritz.
Was mir nicht bewusst war ist, dass auch in sogenannten Waisenhäusern so schlimm mit den Kindern umgegangen wurde – aber es vermischt sich später, weil Fritz als „gestört“ angesehen wird. Getötet wird er nicht, wie viele seiner Kameraden, und er überlebt alle Misshandlungen und Quälereien. „Ausmerzen durch Hunger und Arbeit hieß das Programm der Nazis“ – wenn das mal alles gewesen wäre. Aber es war viel schlimmer. Seine Arbeitskraft wird schamlos ausgenutzt und hier finden sich Methoden der weißen Folter – Folter die man den Menschen nicht ansieht. Als er etwas größer ist, kommt er zu einem Bauern, und dort vom Regen in die Traufe. Aber er begegnet hier einer Kuh, der es genauso geht wie Fritz und hier erlebt er das erstemal Zuneigung. Sehr berührend….
Als der Krieg vorbei ist – er spielt im Buch keine Rolle – geht es genauso weiter wie zuvor.
Was diese Grafik Novel sehr besonders macht, ist dass hier tatsächliche Personen vorkommen und es ein echter Lebenslauf ist. Wirklich beklemmend. Und für mich immer noch und immer wieder schockierend, wie die alten Nazis nach dem Krieg einfach weitermachen konnten. Meistens an den vorherigen Arbeitsstellen, oft gar mit Beförderung nach dem Entnazifizierungsprogramm – unfassbar. Echte Beispiele werden hier aufgeführt. Die Geschichte basiert auf autobiografischen Schriften von Fritz, der nicht schwieg.
Ärzte und Pfarrer, bis in die 1950iger, 1960iger Jahre hinein, bis zur Rente, durften Sie unbehelligt weitermachen, auch wenn sie an Menschenversuchen beteiligt waren – auch das nicht neu. Irgendwas ist da so verdammt schief gelaufen. Und wenn man sich dann vorstellt, welche Nachfolger von ihnen ausgebildet wurden, dann weiß man, wie weit der Nationalsozialismus mit seinen kruden Ansichten in das Leben heute hineinreicht. So war es nicht nur in der Medizin und Pflege/Erziehung der Fall sondern durchaus auch gern in Behörden oder den Schulen. Das hat starke Auswirkungen, vor allem wenn wir auf das Menschenbild schauen, welches die Nationalsozialisten verbreitet haben und welches heute in unseren Systemen immer noch stark zu erkennen ist. Es geht immer um gesellschaftliche Normen, damals und heute. Auch nach dem Krieg verschwanden immer wieder nicht passende junge Menschen in Heimen – die DDR hat da auch noch eine ganz eigene Geschichte zu erzählen. Die Opfer kämpfen heute noch um Wiedergutmachung..
Die Geschichte von Fritz geht weiter, leider endet sie abrupt und man erfährt nicht so richtig, was aus ihm geworden ist, aber es gelang ihm wohl, sich ein Leben aufzubauen.
Die Konzentrationslager wurden befreit. Viele Kliniken und Heime, blieben noch Jahre nach Kriegsende, so wie sie waren. Keiner kam und befreite die gequälten Seelen. Unfassbar traurig.
Der Geschichte geht eine kurze Einleitung zum Thema voraus und folgt ein langes und interessantes Nachwort, welches den Bogen bis heute schlägt; allerdings hätte ich mir hier weniger Fachtermini und eine einfachere Sprache gewünscht, um für jeden Leser verständlich zu sein.
Wenn wir denken das ist heute vorbei, so liegen wir falsch. Vieles erlebt ein Comeback. Es kommen wieder mehr bestimmte starke Medikamente zum Einsatz und für unpassende Kinder gibt es heute die Diagnosen wie ADHS. Viele Kinder werden mit dem gefährlichen Ritalin behandelt, welches oft heftige Nebenwirkungen hat.
Das ganze geht aber noch viel weiter mit der modernen Forschung – welches Menschenbild haben wir, und was liegt dem Zugrunde, sehr schön zusammengefasst und sehr lehrreich im Nachwort zur Sprache gebracht.
Ein wichtiges Buch!
madameflamusse
erschienen auf: reingelesen.wordpress.com
… und über uns kein Himmel
Beim erweiterten Selbstmord der Mutter wird der Säugling Fritz Blume (Jahrgang 1935) zwar gerettet, doch von nun an beginnt seine Odyssee durch verschiedene Fürsorge-Heime in Westfalen, die mit brutalen und bisweilen sadistischen Methoden die „sozial minderwertigen“ Kinder erziehen, bis er schließlich in eine psychiatrische Anstalt zwangseingewiesen wird. Die authentische und bedrückende Biografie erzählt im Stil einer Graphic Novel mit wenigen Worten und klaren Bildern den Leidensweg eines Kindes in kirchlich geführten Heimen, über deren erschütternde Zustände erst heute die Fakten ans Licht kommen. Zwischen den Kapiteln finden sich Hintergrundinformationen zu Personen und Fakten der Handlung. Angesichts der bleibenden Aktualität des Themas ab mittleren Bibliotheken möglich – die Ausführung als Graphic Novel erreicht auch jüngere Leser.
Maria Stegers
erschienen in: ekz-Lektoratsdienst
„Film & Graphic Novel“
Veranstaltungsformat „Film & Graphic Novel“ buchen
Als „lebensunwert“ stigmatisiert und zur Vernichtung freigegeben: Der Film „Lebensunwert: Der Weg des Paul Brune“ und die Graphic Novel „… und über uns kein Himmel“ zeichnen an einem biografischen Beispiel in erschütternder Eindringlichkeit die Geschichte der NS-Psychiatrie, aber auch deren dunkle Kontinuitäten bis fast in die Gegenwart hinein, nach. Die Graphic Novel ist geeignet, auch jüngeren Menschen dieses schwer zu erzählende Kapitel deutscher Geschichte zu erschließen.
Der Filmemacher Robert Krieg und der Zeichner Daniel Daemgen können für das erprobte Veranstaltungsformat „Film & Graphic Novel“ angefragt werden. Nach der Vorführung des Films „Lebensunwert“ (Länge 45 Min.) geben sie eine Einführung in die Graphic Novel anhand einiger exemplarischer Szenen. Im Anschluss daran berichten sie über die Entstehungsgeschichte der beiden Werke und die Unterschiedlichkeit in der Herangehensweise an das Thema.
Für Anfragen steht Robert Krieg gern zur Verfügung: info@krieg-nolte.de