Alle Menschen sind geborene AnarchistInnen
1. Eine Geschichte blutiger Katastrophen, ein Fortschritt, der über
Leichen geht, eine Zukunft, in der das lebenswerte Leben, vielleicht
das Leben überhaupt, gefährdet erscheint - dies sind die
Konsequenzen einer Gesellschaftsordnung, in der die Individuen als
bloße Mittel behandelt werden, die den Nationalstaaten und
der Kapitalverwertung zur Verfügung stehen.
Immer wieder haben Menschen, die ihre Lage erkannt haben, gegen
diese Entwicklung gekämpft: für die Befreiung von Herrschaft.
Denn allem gegenteiligen Schein zum Trotz sind die Menschen geborene
AnarchistInnen, denen Unterordnung und Ungerechtigkeiten zuwider
sind.
Die Ursachen der Herrschaft
2. Aber der Wille zu leben und frei zu sein, organisiert sich als
Wille zur Macht, solange kein anderer Weg erkennbar und realitätstüchtig
gezeigt wird: der/dem Einzelnen und menschlichen Gruppen muß
es um ihre Selbsterhaltung gehen - und sei es auf Kosten der Vernunft.
Und sei es auf Kosten anderer. Und sei es auf Kosten der Natur.
Immer noch besser, zu befehlen, als zu gehorchen. Im Ernstfall:
besser zu töten, als getötet zu werden. Und schließlich
hat die Herrschaft etwas zu bieten; sie ist keineswegs bloßer
Zwang. Wer einen bescheidenen Anteil an ihr hat, die/der kann sich
noch anderen überlegen fühlen, hat größere
Freiheitsspielräume als die Menschen, die den Machtzentren
fern und feindlich gegenüberstehen. Zunächst scheint der
Widerstand nur in Verschrobenheiten, Sekten, Elend, Gefängnisse,
Einsamkeit zu führen. Bei allem Widerwillen gegen Gewalt und
Unterordnung: Das Ziel der Anarchie ist geschichtlich relativ jung
und natürlich immer neu in Frage gestellt. Eine Gesellschaft,
die nicht mehr Befehlende und Gehorchende kennt, erscheint den meisten
Menschen als Illusion, als Wunschtraum, hoffnungslos unrealistisch.
Der Zwangsapparat Staat
3. Der festgefügte und effektive Zwangsapparat Staat hat das
autoritäre Prinzip festgeschrieben, systematisiert und sämtliche
Lebensbereiche zum Gegenstand seiner Eingriffe gemacht, was paradoxerweise
noch an der Gewährung sogenannter "staatsfreier Räume"
deutlich wird. Bereiche, in denen der Staat auf eine Regelung von
erlaubtem und verbotenem Verhalten verzichtet. Bereiche, die der
individuellen Selbstbestimmung freigehalten werden. So sehr alle
Staatstätigkeit natürlich von gesellschaftlichen Prozessen
abhängig ist, wird der Staat als über der Gesellschaft
stehende, rationale, planende, schlichtende und ordnende Instanz
gesehen, die zum Wohle aller eingreift.
Da der Staat mehr und mehr gesellschaftliche Schutzfunktionen
übernommen hat, erscheint er als einziger Garant von Schranken
gegen eine schrankenlose Willkür privater und partikularer
Gewalten, als Schützer der Schwachen, der Natur ... - gerade
gegen den ökonomischen Expansionismus und die autoritäre
Politik, die er tatsächlich verkörpert und gegen Opposition
sichert, im Interesse von herrschenden Minderheiten.
Dabei soll nicht geleugnet werden, daß das staatliche
Gewaltmonopol tatsächlich partikulare Gewalten entmachtet
und einen Schutz vor Willkür bietet. Gleichzeitig wird damit
aber eine Macht geschaffen, die um vieles effektiver, und daher
auch potentiell barbarischer ist, als jeder feudale Despot, der
nicht zu bürokratisch- industriellen Formen der Massenvernichtung
fähig war.
Verinnerlichung der Grundsätze des Staates
4. Nicht nur die militärisch-bürokratische Übermacht
läßt Widerstand oft zwecklos erscheinen. Gerade in den
westlichen Industriestaaten organisiert sich Herrschaft über
den positiven Bezug der Beherrschten auf das System. Staatliche
Strategien sind dort im wesentlichen nicht auf repressive Unterdrückung
angelegt, sondern auf Integration: Identitätsbildung über
Teilnahme am Konsum, Aufspaltung von Interessenlagen und Vereinzelung
in der Gesellschaft, Normierung von Bedürfnissen und deren
bürokratische Verwaltung, sowie das Versprechen auf demokratische
Beteiligung führen zu Verinnerlichung der Notwendigkeit des
Staates und der Grundsätze, die seine Funktion garantieren
(Gehorsam; Delegation von Verantwortung; Bereitschaft, ExpertInnen
zu vertrauen). Die Solidarisierung der Betroffenen wird verhindert,
die Fähigkeit zur Selbstorganisation und zur direkten Aktion
bei den Beherrschten oft so stark eingeschränkt, daß
sie real immer wieder ihre Angewiesenheit auf den Staat, auf die
Verantwortlichen, SpezialistInnen usw. erfahren.
Die Ziele der AnarchistInnen
5. Im Gegensatz zu anderen Oppositionsströmungen stört
es die AnarchistInnen nicht, daß sie keinen Anteil am geschäftigen
Treiben der offiziellen Gesellschaft und des Staates haben. Damit
verzichten sie auf taktisch günstige Positionen, auf Legitimation,
aber sie wissen warum: das Ziel, von einem radikalisierten Freiheitsbegriff
ausgehend, die Herrschaft anzugreifen, soll nicht unklar werden.
Schließlich sind die Erfahrungen mit Reformbewegungen, die
schließlich nicht etwa ihre Ziele verwirklichen konnten, sondern
sich in die angeblich bekämpften Strukturen als GegnerInnen
integrierten und im entscheidenden Moment halfen, die Ziele des
Staates auch gegen Opposition durchzusetzen, Warnung genug gegenüber
der Annahme, man könne jede Struktur benutzen, um ganz andere
Ziele zu verfolgen.
Ziel der AnarchistInnen ist es, die Trennung in Befehlende und
Gehorchende überhaupt zu beenden. Die AnarchistInnen wollen
Eigentumsmonopole und Nationalstaaten durch die Selbstorganisation
der Gesellschaft und föderalistische Organisationen ersetzen.
Sie erkennen keine nationalen, religiösen oder sexistischen
Vorrechte und keine Gesellschaftsstrukturen, die sich mit der
Überlegenheit aufgrund von Rasse, Nation, Religion, Geschlecht
usw. legitimieren, an.
Kritik des autoritären Sozialismus
6. Von den autoritären SozialistInnen unterscheidet die AnarchistInnen,
daß sie nicht in der Eroberung der Staatsgewalt die entscheidende
Voraussetzung für die Vergesellschaftung der Produktionsmittel
und die Aufhebung der Klassen sehen. Vielmehr soll der Staat als
Monopol der Gewalt, der zentralisierten Verfügung über
gesellschaftliche Mittel, zu denen er dreist auch die Menschen macht,
durch eine libertäre Demokratie (im Gegensatz zur bürgerlichen
Formaldemokratie) ersetzt werden, die die Menschenrechte achtet
und unveräußerliche Minderheitenrechte garantiert. Um
die Ziele der libertären Bewegung gegen Staat und Kapital durchzusetzen
und errungene Positionen zu verteidigen, ist natürlich "Macht"
erforderlich. Die Formen, in denen diese Macht ausgeübt wird,
dürfen keinesfalls diktatorisch sein, sie sollen zu keiner
Verfestigung einer neuen Herrschaft führen, sie sollen auf
physische Gewalt weitgehend verzichten.
Jede Trennung in Befehlende und Gehorchende (also jede staatliche
Funktion) muß notwendig zu einer neuen Klassenteilung führen,
also ungleiche Verfügung über Produktionsmittel und
Aneignung der Produkte zur Folge haben. Deshalb tendiert der autoritäre
Scheinsozialismus immer dazu, neue politische und ökonomische
Ungleichheiten zu schaffen und sogar in diktatorischen Formen
festzuschreiben.
Organisationsformen und Kampfmittel als Ausdruck wirklich verfolgter
Ziele
7. Auch wenn kurzfristig - für die direkte Durchsetzung bestimmter
Ziele - autoritäre (auf einer oben-unten- Arbeitsteilung beruhende)
Organisations- und Kampfformen Vorteile bieten und effektiv erscheinen,
so kann doch nur vom Ziel her die wirkliche Effektivität der
Mittel beurteilt werden. Organisations- und Kampfformen sind nicht
zufällig oder beliebig, sondern sie sind Ausdruck der wirklich
verfolgten Ziele, die von den proklamierten stark abweichen können.
Sie nehmen oft keimförmig vorweg, was unter günstigen,
verstärkenden Bedingungen dann breit entfaltet wird - im guten
wie im Bösen. Basisdemokratische und föderalistische Organisationsformen,
die die Verantwortung der Einzelnen und Gruppen nicht einschränken
und etwa einer Mehrheit unterordnen, können die Tendenzen der
Professionalisierung, der Führerherrschaft, der Bürokratisierung
und der Anpassung an vorgegebene Strukturen, denen Gruppen immer
unterliegen, kontrollieren und eindämmen. Es bedarf wirklicher
Anstrengungen, wenn verhindert werden soll, daß in den eigenen
Reihen sich Hierarchien reproduzieren. Ganz "spontan" werden bestimmte
Aufgaben immer wieder bestimmten Personen zugeordnet, die darin
erfahren und befähigt sind. Ganz "spontan" ergeben sich Männerarbeiten
und Frauenarbeiten.
Wenn wir von unseren Organisationen nicht verlangen, Positionen
zu erobern und sie mit eigenen Leuten zu besetzen, die dann den
Apparat in den Dienst anderer Politik stellen, sondern unser Ziel
ist, solche Positionen unmöglich zu machen, den Apparat leerlaufen
zu lassen und seine Wirksamkeit zu behindern, so ist uns der Effektivitätsmaßstab
nicht unbedingt vorgegeben: um eine Volkszählung zu verhindern,
braucht man/frau nicht den Apparat, der sie durchführen kann.
Die soziale Revolution
8. So wie die Selbstorganisation nur durch Selbstorganisation gelernt
werden kann, wird die Fähigkeit, mit der Gewalt des Staates
fertig zu werden, nur durch massenhafte direkte gewaltfreie Aktionen
erworben. Da militärische Kampfformen immer auch eine militärisch-hierarchische
Organisationsform bedingen, wenn sie nicht bloße Gesten, sondern
wirksam sein wollen, bedeutet die Bürgerkriegskonzeption der
Revolution immer die Errichtung eines Apparates, der mit den Zielen
der Emanzipationsbewegung regelmäßig in Konflikt gerät
und sie vom Ziel der Herrschaftslosigkeit abdrängt. Der Einsatz
von Waffengewalt prägt Denken und Verhalten in autoritärer
Weise: Vernichtung des Feindes ist das Ziel. Die Gewöhnung
daran, sich durch physische Gewalt durchzusetzen, ist mit Moral
und Menschenbild des Anarchismus unvereinbar. Ohne Selbstwiderspruch
kann die Taktik der AnarchistInnen deshalb nur die direkte gewaltfreie
Aktion sein. Auch in zugespitzten Situationen, wenn die Herrschenden
mit Kriegsrecht oder Putsch drohen, auch gegen Interventionen, auch
wenn es zu einer entscheidenden Konfrontation zwischen libertären
Bewegungen und dem Staat kommt, ist die spezifische Waffe der AnarchistInnen
massenhafter ziviler Ungehorsam (Boykottaktionen, massenhafter Bruch
von Gesetzen, Sabotage, Massenstreiks bis zum Generalstreik, Kriegsdienstverweigerung)
mit dem Ziel der Zersetzung der Machtzentren, insbesondere der bewaffneten
Streitkräfte. Gegen eine genügend breite Massenbewegung,
die durch gesellschaftliche und ökonomische Gegenmacht Druck
ausübt und repressive Maßnahmen unterläuft, kann
das herrschende Übergewicht der Waffen nicht zur Geltung kommen.
Es gibt Situationen, in denen Repression nicht mehr zu Resignation,
sondern zu unversöhnlichem Aufbegehren führt.
Wenn die herrschende Macht erschüttert ist, und die Unterdrückten
nicht mehr weiterleben wollen wie bisher, oder sie sehen, wie
ihre Lage unhaltbar wird, und sie Hoffnung schöpfen, sich
zu befreien, so beginnt die Phase der sozialen Revolution, die
bis zur Beseitigung des Staates und der sozialen Stabilisierung
der Anarchie dauert. Damit die alte Ordnung sich nicht wieder
sammelt, reorganisiert, den revolutionären Elan sich abnutzen
läßt und schließlich, von Schwächen, Übergriffen,
Konflikten profitierend siegt, müssen gesellschaftliche Voraussetzungen
gegeben sein, die nicht erst in der Phase der Zuspitzung entstehen
können.
Die gesellschaftliche Kultur, die libertäre Bewegung, die
Institutionen der Selbstorganisation müssen gefestigt sein
und genug freiheitliche Impulse gegeben haben, die die Revolution
dann freisetzt. Revolution ist keine Schöpfung aus dem Nichts,
selbst wenn sie den Menschen erlaubt, über sich hinauszuwachsen.
Strategie des gewaltfreien Anarchismus heute
9. Wir leben heute in den westlichen Industriestaaten nicht in einer
revolutionären Situation. Heute sind es kleine Minderheiten,
die diese Ziele im Kopf haben, die in vielen Situationen mit ihrer
Schwäche konfrontiert werden, ihrer Ohnmacht, Handlungsunfähigkeit,
mit Verfolgung und Diskriminierung. Diese Minderheiten müssen
begreifen, daß sie nicht auf Mehrheiten und auf BündnispartnerInnen
starren dürfen. Minderheiten können eine Macht sein, wenn
sie illusionslos und solidarisch mit Gleichgesinnten anfangen, sich
zu verteidigen. Ihre Handlungen werden Nachahmung finden, ihre Fehler
korrigiert werden, ihre Ziele werden (auch ihnen selbst) deutlicher
werden. Eine anarchistische Minderheit bleibt unbedeutend, wenn
sie Kompromisse mit autoritären Strömungen macht oder
sich deren Themen und Kampagnen aufzwingen läßt. Dann
würde sie mit Sicherheit im Abseits bleiben. Andererseits droht
die sektiererische Selbstgenügsamkeit, die ohne Verbindung
mit den sozialen Bewegungen bleibt. Die Spannungen, die entstehen,
wenn man sich an Massenbewegungen beteiligt, deren Programme, Aktionsformen,
Lebensweisen jedoch nicht übernimmt, sondern schriftlich, mündlich
und durch Tat kritisiert, lassen sich nicht durch Formeln auflösen,
sie müssen ertragen werden. Ziel muß es sein, eine gewaltfrei-anarchistische
Massenminorität entstehen zu lassen, die in der Lage ist, zunächst
einzelne Pläne der Herrschenden zu durchkreuzen (besonders
jede Planung, die Kriegsführungsfähigkeit zum Ziel hat)
und die eine stabile Kommunikationsstruktur, eingeübte Formen
der Entscheidungsfindung und eine attraktive Gegenkultur aufbaut.
Sie muß stark genug werden, um gesellschaftliche Entwicklungen
insgesamt zu beeinflussen. Dazu gehört, daß die zunächst
passiven Mehrheiten nicht reaktionär werden dürfen, aus
Furcht vor Existenzunsicherheit, sondern daß sie die anarchistische
Minderheit neutral oder mit Sympathie betrachtet, die gegen Kriegsführungspläne,
die Umweltzerstörung, die alltäglichen Erniedrigungen
zu handeln beginnt.
Aufbrechende Krisen und gesellschaftliche Widerstandsbewegungen
versucht der Staat nicht nur durch Repression, sondern auch durch
Reformen zu neutralisieren: Damit sich möglichst wenig ändert,
muß sich etwas ändern. Ist die Opposition dann ermattet
oder gespalten in die, die weitergehen wollen und die, die mit
dem Erreichten zufrieden sind, kann ja zurückgenommen werden,
was zu weit geht. Oft sind Reformen auch unvermeidlich, um Kosten
und Probleme der staatlichen Verwaltung oder der Kapitalreproduktion
zu bewältigen. Es kann sinnvoll sein, die Widersprüche
solcher Prozesse auszunutzen, um die freiheitlichen Tendenzen
zu stärken, Teilziele der revolutionären Bewegung zu
verwirklichen, die nur mit großem Aufwand wieder zerstört
werden können. Aber wir fordern nicht Reformen vom Staat
und wollen nicht staatliche Macht benutzen, um unsere Ziele durchzusetzen.
Die politischen Organisationsformen der Herrschenden (Bürokratie,
Parlament, Partei) sind keine Formen der Freiheit und widersprechen
den Inhalten, für die wir uns einsetzen. Eine Kritik revolutionärer
Konzeptionen unterstellt, sie würden konkrete Verbesserungen
für die jetzt lebenden Menschen gering achten und stattdessen
nur auf eine Endschlacht orientieren, auf ständige Polarisierung,
Zuspitzung, Machtauseinandersetzung. Das ist falsch. Der Anarchismus
als revolutionäre Theorie und Bewegung hat auch in der Vergangenheit
langfristig gesellschaftliche Entwicklungen in freiheitlicher
Richtung gefördert und die Revolution selbst als lang andauernden
Prozeß verstanden, in dem Phasen der Aufklärung, der
Experimente, der Organisation und Phasen der Kämpfe aufeinander
folgen; in dem Erfahrungen verarbeitet werden. Die Frage ist weniger,
ob wir uns an Tageskämpfen beteiligen, als
wie. Heute ist für die Regeneration einer
abgestorbenen Gesellschaft, die sich in konkurrierende, vereinzelte
Individuen und deren staatlich-kapitalistische Verwaltung auflöst,
eine Aktivität notwendig, die erst Grundlagen für erfolgreiche
Kämpfe schafft: Entwicklung von Selbstbewußtsein und
Solidarität, von sozialer Phantasie, Klarheit der Ziele.
Gesellschaftliche Entwicklungen, die die Entwicklung der Kinder,
die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, die Fähigkeiten,
sich in andere Lebensweisen einzufühlen, den Horizont der
Werte und die Lebenziele der Einzelnen beeinflussen, können
von der anarchistischen Bewegung mitgestaltet werden. Freiheit,
Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit als Leitmotive sollen die kapitalistisch-staatliche
Unkultur in ihrer Rechtfertigung untergraben und Experimente mit
freiheitlichen Lebensformen fördern: Kommunen, freie Schulen,
Genossenschaftsprojekte, nicht-hierarchische Organisationen, selbstverwaltete
Betriebe, konstruktive Arbeit für eine ökologische,
dezentralisierte Produktion. Allgemeines Kriterium ist: den Staat
zurückzudrängen, Selbstorganisation zu unterstützen.
Zur direkten Aktion gehört auch, im eigenen Alltag das
abzustellen, was den erkannten Idealen widerspricht. Sich von
Zwängen zu befreien, die straflos abgelegt werden können
- das wird auch die Ausgangspunkte für unvermeidliche Konflikte
mit den Mächten der Autorität verbessern. Jeden Tag
eine böse Tat - in der Sicht derer, die den jetzigen Zustand
der Welt für den besten aller möglichen halten!
Die große Hoffnung und der eigentliche Sinn der AnarchistInnen
ist es, mit der sozialen Revolution alle autoritären Konzeptionen
zum Scheitern zu bringen und eine freie, grenzlos sich föderalistisch
vereinende Welt aufzubauen, in der Hunger, Folter, Krieg, Vergiftung
der Umwelt und Unterdrückung der Menschen der Vergangenheit
angehören. Diese Welt wäre keine konfliktfreie Idylle,
und sie wäre keine totalitäre Einheit, sondern sie würde
Gegensätze tolerieren und in gewaltlosen Formen austragen.
Sie würde viele Experimente zulassen und müßte
einen ständigen Abwehrkampf dagegen führen, daß
wieder Hierarchie, Regierung, Ausbeutung entsteht. Sie würde
an den jahrtausendealten Unterbauten der modernen Nationalstaaten,
an patriarchalischer Herrschaft und rassistischer Ausschließung
noch starke Feinde haben, die nicht verschwinden, nur weil der
Staat sie nicht mehr schützt oder Konzerne nicht mehr von
ihnen profitieren.
Nur eine starke gewaltfrei-anarchistische Bewegung wird in der
Lage sein, solche Forderungen aufzuwerfen. Bei Bündnissen
mit bürgerlichen und autoritär-sozialistischen Gruppen
besteht die Gefahr, daß dadurch die anarchistische Bewegung
instrumentalisiert und von ihren Zielen abgedrängt wird.
Organisationsstrukturen und Politikverständnis solcher Gruppen
befinden sich in prinzipiellem Widerspruch zu unseren Konzeptionen.
Historische Erfahrungen in Rußland nach 1917 und Spanien
nach 1936 haben gezeigt, daß herrschaftliche Strukturen
von autoritären Gruppen reorganisiert werden.
Herrschaftslosigkeit oder Barbarei!
In einer Zeit, in der die jeweils neueste Katastrophe die vorigen
vergessen läßt, aber die Stimmung immer mehr die einer
Vorkriegszeit ist, wird die Wahl deutlich: Wahnsinn und apokalyptische
Vernichtungsorgien, wenn sich die kapitalistisch-etatistischen Prinzipien
grenzenlos entfalten. Oder Sieg der transnationalistischen Gegenkultur,
die den Herrschenden in bestimmten Bereichen die Zusammenarbeit
verweigert und sich mit den Unterdrückten in anderen Ländern
solidarisiert. Wenn sich mehr Verbundenheit mit den Opfern herrschender
Politik auf einem anderen Kontinent als mit der herrschenden Klasse
des eigenen Landes organisieren ließe, so wären dies
Vorboten der Anarchie, die Schrift an der Wand für Kapital
und Staat und ihre AnbeterInnen.
Der feministische Angriff auf das Patriarchat und die ökologische
Kritik an der Übertragung der Herrschaftsverhältnisse
auf die Natur und der Behandlung nicht-menschlichen Lebens als
bloßen Rohstoff sind Bereiche, in denen die antiautoritäre
Bewegung heute weiter geht als ihre VorgängerInnen. Daß
uralte Gewohnheitsrechte der Ausbeutung angegriffen werden, ist
ein Zeichen der Hoffnung.
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