Graswurzelrevolution
Dafür stehe ich: Bernd Drücke. Ein Portrait des GWR-Redakteurs
Bernd Drücke kam zum BürgerInnenkonvent nach Stuttgart, um über Konsensfindung, Basisdemokratie und Selbstorganisation zu sprechen. Wir nutzten die Gelegenheit, ihn zu seinen Überzeugungen zu befragen.
Stuttgart. "Man muss sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen", zitiert Bernd Drücke den französischen Philosophen und Schriftsteller Albert Camus. Für den Anarchisten aus Münster gehört der Weg zum Ziel, ist der gelebte Alltag Teil der Revolution. Er beurteilt sein politisches Wirken in den letzten, eigentlich von so vielen Niederlagen in sozialen Kämpfen geprägten Jahrzehnten durchaus als erfolgreich: "Es kommt nicht nur darauf an, was man erreicht."
Und zumindest auf lokaler Ebene ging es tatsächlich voran. So gelang es, mitten im teuren Spekulationsgebiet von Münster ein selbst verwaltetes Wohnprojekt für sechzig Menschen zu erhalten, an dem Drücke beteiligt ist. Und dann ist da noch die Zeitschrift Graswurzelrevolution, deren Redakteur der 48-Jährige seit 1998 ist und die ihre Wirkung entfaltet. Seit 1972 erscheint die Monatszeitung für eine gewaltlose und herrschaftsfreie Gesellschaft. Der Verfassungsschutz stuft sie als linksextremistisch ein.
Drücke engagierte sich schon als Jugendlicher in Unna in der Friedensbewegung und war Schülersprecher. 1984 gründete er seine erste Schülerzeitung mit Namen "Splash". Nichts Großes, winkt er heute ab, doch immerhin so politisch und pazifistisch, dass einige Eltern ihren Kindern verboten, sie zu kaufen. Persönliche Gründe, Zufall - so erklärt er sich, dass einige seiner Generation aufbegehrten, während andere konservativ oder unpolitisch blieben.
"Ich bin das schwarz-rote Schaf der Familie", sagt Drücke, ein sanfter und eher intellektueller Typ, und lächelt. Seine Eltern und Geschwister sind Gärtner, er schlug als einziger aus der Art. Eigentlich steuerte er auf eine wissenschaftliche Karriere als Soziologe zu, doch sie endete 2003 mit einem Berufsverbot, auch wenn das heute nicht mehr so heißt. Wie stark sich jemand radikalisiert, vermutet Drücke, komme auf seine persönlichen Erfahrungen an. Wer bei Demonstrationen Polizeigewalt erlebt, verliert schnell seine Illusionen über Staat und Demokratie. Dann sei es wichtig, nicht in ein schwarzes Loch zu fallen.
Als Bernd Drücke zum Studieren nach Münster zog, fand er schnell Anschluss an die libertäre Szene. Wegen eines Aufrufs zum Volkszählungsboykott musste er vor Gericht. Er erlebte Repression, aber auch Solidarität: "Es ist wichtig, dass man nicht allein dasteht und aufgefangen wird."
Der Anarchist bekennt sich zur Gewaltfreiheit. Dennoch betrachtet er sich nicht als wehrlos. "Ich würde niemals einen Stein auf jemanden werfen oder einen Menschen verletzen", stellt Drücke klar. Doch Sabotageaktionen bewertet er nicht als Gewalt. Das Wort kommt vom französischen Sabot, Holzschuh. Es erinnert daran, dass französische Arbeiter während der industriellen Revolution bei Protestaktionen ihre Holzschuhe in Maschinen warfen, um deren Mechanismus zu zerstören.
Drücke bekennt sich zu zivilem Ungehorsam, Blockaden oder Sabotageaktionen. Als Beispiel beschreibt er, wie in Mecklenburg-Vorpommern ein gentechnisches Versuchsfeld besetzt wurde. Aktivisten schleuderten in einer spektakulären, von den Medien dokumentierten Aktion ganz normale Biokartoffeln auf das Feld und zerstörten so die Versuchsanordnung. Drücke findet "eine solche Aktion extrem effektiv und sympathisch". Der Konzern Monsanto wurde als Täter öffentlich angeprangert und war blamiert. Ähnlich laufe es, wenn Atomtransporte behindert werden. Der Graswurzel-Redakteur ist bei solchen Anlässen mit Presseausweis als Berichterstatter vor Ort - auch, um den Aktivisten einen gewissen Schutz vor Polizeiübergriffen zu bieten. Antimilitarismus und Antifaschismus sind weitere Bereiche, in denen er sich engagiert.
Im Mai 1989 beteiligte er sich an seiner ersten Hausbesetzung. Zu seiner eigenen gelebten Utopie gehört jenes alternative Wohnprojekt in der Altstadt von Münster. 1991 wurde das Gelände teilbesetzt. Die 60 Menschen, die in den Häusern wohnten, bildeten im Grund eine Zwangsgemeinschaft. Unter ihnen waren nicht nur politisch Interessierte, doch sie hatten nur die Alternative, sich entweder gegen ihren Vermieter zusammenzuschließen oder auszuziehen.
Der Eigentümer versuchte, die Hausbewohner als Chaoten hinzustellen. Doch als sie beim Räumungsprozess mit Kind und Kegel im Gericht erschienen, fand sie eine Richterin offenbar sympathisch und gab ihnen Recht. Nach langem Hin und Her konnten die Besetzer den Zustand legalisieren, zumal sich die Mehrheitsverhältnisse im Rathaus änderten. Sie zogen für anderthalb Jahre in ein Schulhaus und renovierten am Wochenende die Häuser. Dafür erhielten sie zwei Millionen Mark vom Land Nordrhein-Westfalen. Es gibt auch ein Blockheizkraftwerk, und das Projekt bekam einen Preis für ökologisches und selbst verwaltetes Bauen.
Inzwischen leben mehrere Generationen in verschiedenen Wohnformen in den Häusern. Noch immer werden alle Entscheidungen basisdemokratisch und einvernehmlich getroffen. Drücke spricht von gelebter Nachbarschaft. Ob so etwas geht, ist nach seiner Erfahrung eine Frage der Hierarchie. Entscheidungen im Konsens gibt es nur unter Gleichen. Und zwischen Herrschern und Beherrschten, etwa an einem normalen Arbeitsplatz, kann es keine Gleichheit geben. Auch bei der Zeitschrift Graswurzelrevolution lösen die vierzig Beteiligten Meinungsverschiedenheiten im Konsens.
Obwohl ihm seine Arbeit Freude macht, bedauert es Drücke, nicht mehr an der Universität unterrichten zu dürfen. Er hatte mit "summa cum laude" über anarchistische Presse promoviert - ein Prädikat, das ihm normalerweise eine wissenschaftliche Karriere eröffnet hätte. Doch sein letztes Seminar hielt er 2003 zum Afghanistan-Krieg: "Terror, Krieg und Medien." Vorausgegangen war ein Konflikt mit dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei, der noch 1998 gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr agitierte, dann jedoch einen Sinneswandel vollzog. Weil Drücke einen scharfen Kommentar veröffentlichte, in dem stand, dass Nachtwei beim Großen Zapfenstreich in Münster gesehen worden war, stellte ihn der Grüne als Lügner hin, der wissenschaftliche und politische Arbeit nicht auseinander halte. Zwar konnte Drücke nachweisen, im Recht gewesen zu sein, doch die Behauptung war in der Welt. Hinzu kam, dass ein Generationswechsel in der Professorenschaft konservativere Kräfte ans Ruder brachte. Drei linke Wissenschaftler wurden damals von der Uni entfernt, erinnert sich Drücke: "Schade, es hatte mir großen Spaß gemacht."
Zur Person
Bernd Drücke
an Heiligabend 1965 in Unna geboren
ab 1986 Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Pädagogik
in Münster
1998 Promotion, bis 2003 Lehrbeauftragter an der Universität
Münster
seit 1998 Koordinationsredakteur der "Graswurzelrevolution"
Der Autor und freiberufliche Journalist hat zwei Kinder und lebt
in einem alternativen Wohnprojekt in Münster
Anne Hilger
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