Graswurzelrevolution: Trau einer über Dreißig
Ihre Bleiwüsten sind berühmt-berüchtigt und wer sie liest braucht schon mal ein Fremdwörterlexikon. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb, ist die "Graswurzelrevolution", die im Juni ihren 30. Geburtstag feiert, Kult. Seit 1972 informiert das anarchistische Monatsblatt über linke Politik im In- und Ausland. Gerrit Hoekman hat den verantwortlichen Redakteur Bernd Drücke in seinem kleinen Büro am Breul besucht und ihm die Glückwünsche der "draußen!" überbracht.
Die "draußen!" feierte vor kurzem ihren achten Geburtstag. Damit ist sie eines der ältesten Straßenmagazine Deutschlands. Was aber sind acht Jahre im Vergleich zu den 30, die es nun die "Graswurzelrevolution" schon gibt. Zumal in der linken Szene, wo den meisten Druckerzeugnissen kein langes Leben beschieden ist. 3500 Hefte verkauft die Zeitung jeden Monat, die meisten Leser haben ein Abonnement.
"Es ist schon ein Wunder, dass die Graswurzelrevolution noch existiert", sagt Bernd Drücke, einer von zwei hauptamtlichen Redakteuren der Zeitung. Die insgesamt rund 30-köpfige Redaktion ist über die gesamte Republik verstreut. Alle sechs bis acht Wochen trifft man sich, um die Artikel zu besprechen. Der Rest läuft übers Internet. "Wir entscheiden im Konsens, was reinkommt", erklärt Drücke das basisdemokratische Konzept der Zeitung. Das erfordert oft Stehvermögen in langen Diskussionen. Ist auch nur ein Redaktionsmitglied dagegen, bleibt der Beitrag draußen. Oder man stellt im Heft salomonisch Pro und Contra gegenüber.
Aber auch wenn die Graswurzelrevolution hier und da auf Ausgleich bedacht ist: Getreu dem Namen bleiben ihre Ansichten doch radikal. Die Zeitung nimmt kein Blatt vor den Mund. Das jedoch begeistert nicht alle: Der Verfassungsschutz interessiert sich seit geraumer Zeit für den Inhalt. In der Vergangenheit gab es schon eine ganze Reihe von Verfahren gegen die Redaktion. Einige Male beschlagnahmten die Staatsschützer die komplette Auflage, das letzte Mal während des Golfkriegs. Und während des Kosovokriegs 1999 wurde gegen Bernd Drücke ermittelt, weil er in der Graswurzelrevolution deutsche Soldaten frech zur Fahnenflucht aufgerufen hatte.
Monatelang war auch Drückes Fehde mit dem grünen Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei in aller linker Munde. Der Graswurzel-Redakteur hatte dem langjährigen Friedenskämpfer Nachtwei seine vermeintliche Wandlung zum Falken vorgeworfen. In der "Münster-Taz", dem inzwischen eingestellten Lokalteil der links-alternativen "tageszeitung" aus Berlin, fiel daraufhin die geballte Münsteraner Grünenprominenz in Leserbriefen über Drücke her. Dem Doktor der Soziologie, der an der Wilhelms-Universität Seminare hält, wurde ehrrührig seine wissenschaftlichen Fähigkeiten abgesprochen. Ohne Erfolg: Nachtwei musste schließlich einen Teil der Vorwürfe als richtig einräumen.
"Bis zur sozialen Revolution", will die Graswurzelrevolution noch weitermachen. Das kann dauern, die Freunde unbequemer Gedanken dürfen sich also freuen: "Die nächsten 30 Jahre schaffen wir locker", prophezeit Bernd Drücke. Vielleicht hat sich die Welt bis dahin so verändert, dass Drücke und seine Mitstreiter dann in den wohlverdienten Ruhestand treten können. Und die dann jungspuntige, 38-jährige "draußen!" wird in einem Interview mit dem greisen Bernd Drücke auf sechs Jahrzehnte anarchistischer Presse zurückblicken. Herzlichen Glückwunsch, Kolleginnen und Kollegen.
Vom 21. bis 23. Juni feiert die Graswurzelrevolution ihren 30sten Geburtstag in der ESG, Breul 43. Informationen: Redaktion Graswurzelrevolution, Tel.: 0251/4829057, Internet: www.graswurzel.net
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