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"Sehr sinnvoll"

Interview mit der Graswurzelrevolution-Redaktion, 27.2.2003

Hier ein Interview vom 27.02.2003 mit der Redaktion der Zeitung Graswurzelrevolution. Das Interview wurde per email geführt. Hier noch mal ein Dankeschön an die Leute der Redaktion für das folgende Interview.

www.schwarzefahne.de: Stellt euch und eure Arbeit doch bitte in knapper Form, für alle die die Graswurzelrevolution (GWR) noch nicht kennen, vor:

Redaktion Graswurzelrevolution: Graswurzelrevolution bezeichnet eine tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung, in der durch Macht von unten alle Formen von Gewalt und Herrschaft abgeschafft werden sollen. Wir kämpfen für eine Welt, in der die Menschen nicht länger wegen ihres Geschlechtes oder ihrer geschlechtlichen Orientierung, ihrer Sprache, Herkunft, Überzeugung, wegen einer Behinderung, aufgrund rassistischer oder antisemitischer Vorurteile diskriminiert und benachteiligt werden. Wir streben an, dass Hierarchie und Kapitalismus durch eine selbstorganisierte, sozialistische Wirtschaftsordnung und der Staat durch eine föderalistische, basisdemokratische Gesellschaft ersetzt werden. Schwerpunkte unserer Arbeit lagen bisher in den Bereichen Antimilitarismus und Ökologie. Unsere Ziele sollen - soweit es geht - in unseren Kampf- und Organisationsformen vorweggenommen und zur Anwendung gebracht werden. Um Herrschafts- und Gewaltstrukturen zurückzudrängen und zu zerstören, setzen wir gewaltfreie Aktionsformen ein. In diesem Sinne bemüht sich die anarchistische Zeitung Graswurzelrevolution Theorie und Praxis der gewaltfreien Revolution zu verbreitern und weiterzuentwickeln.

Wie lange gibt es die GWR und durch was und wen ist sie entstanden? (irgendwelche besonderen Ereignisse oder Anlässe? / Sind ehemalige "Gründungsmitglieder" heute noch aktiv an der Arbeit beteiligt?)

Die Nullnummer der Graswurzelrevolution erschien im Sommer 1972 in Augsburg. Zuvor gab es schon ähnliche Zeitungen, z.B. die von 1965 bis 1966 13mal in Hannover herausgekommene "Direkte Aktion", "Blätter für Gewaltfreiheit und Anarchismus", sowie die (von 1936 bis heute) in London von den 1921 gegründeten War Resisters' International (WRI) herausgegebene "Peace News" und die in den 60ern in der französischen Schweiz erschienene gewaltfrei-anarchistische "Anarchisme et Nonviolence" (Lausanne). Es gibt im GWR-HerausgeberInnenkreis und im Umfeld der Redaktion noch immer einige MitarbeiterInnen aus den Gründungsjahren. Wolfgang Zucht, der mit Helga Weber-Zucht den gewaltfrei-libertären Verlag "Weber Zucht und Co." in Kassel betreibt und im GWR-HerausgeberInnenkreis mitmacht, war schon Redakteur der Vorgängerzeitunng "Direkte Aktion" (das ist nicht die heute noch erscheinende anarcho-syndikalische "da").
Zur Geschichte der Graswurzelrevolution findet sich einiges in der Dissertation von Bernd Drücke: Zwischen Schreibtisch und Straßenschalacht? Anarchismus und libertäre Presse in Ost- und Westdeutschland, Verlag Klemm & Oelschläger, Ulm 1998
sowie auf unserer Homepage unter www.graswurzel.net/ueberuns/index.html

Mit welchen Erwartungen und Zielen begann man mit der Arbeit an der ersten GWR?

Ziel war es, eine überregionale Zeitung zu schaffen, die dazu beitragen sollte, dass "die pazifistische Bewegung libertär-sozialistisch und die linkssozialistische Bewegung in ihren Kampfformen gewaltfrei" werde. Erklärtes Ziel war und ist eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft. Siehe dazu: www.graswurzel.net/230/geschichte.shtml

Wieviele Mitarbeiter sind heute an der GWR tätig? (sind alles feste Mitarbeiter oder auch "freie Journalisten")

Es gibt in Deutschland ungefähr 100 Gruppen und Projekte, die sich zur Graswurzelbewegung zählen oder ihr nahe stehen. Siehe Kontaktliste auf Seite 19 in jeder GWR-Ausgabe sowie: www.graswurzel.net/vernetzung/kontakte.shtml
International ist die GWR assoziiertes Mitglied der War Resisters' International, einer antimilitaristischen Internationale, der etwa 90 Gruppen in 45 Ländern angehören. In vielen Ländern gibt es "Schwesterzeitungen" und befreundete Gruppen/AutorInnen/"KorrespondentInnen". Organisiert wird das Projekt GWR von einem HerausgeberInnenkreis. Dieser setzt sich aus rund 20 bis 30 AktivistInnen aus verschiedenen Städten zusammen. Der heterogene HerausgeberInnenkreis trifft sich alle zwei Monate an wechselnden Orten, damit auch Leute aus den lokalen Gruppen, die sonst nicht an den Treffen teilnehmen, reinschnuppern können. Alle Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Auch die hauptamtlichen MitarbeiterInnen werden im Konsens gewählt. Zur Zeit gibt es einen hauptamtlichen Koordinationsredakteur in Münster (seit November 1998 ist das der libertäre Soziologe Bernd Drücke) und eine Graswurzelrevolutionärin in Nettersheim, die sich hauptamtlich um den Vertrieb kümmert. Im türkischen Izmir arbeitet der Graswurzelrevolutionär und Kriegsdienstverweigerer Osman Murat Ülke (Ossi) hauptamtlich als Koordinationsredakteur der türkisch-deutschen "Otkökü" (Graswurzel), die unregelmäßig der GWR beigelegt und separat verteilt wird. Zu Otkökü siehe: www.graswurzel.net/news/otkoku-dipl.shtml
Zudem gibt es neben der Monatszeitung GWR auch noch den in Bremen und Heidelberg sitzenden Buchverlag Graswurzelrevolution, der Bücher herausgibt, z.B.: "Das andere Indien. Anarchismus, Frauenbewegung, Gewaltfreiheit, Ökologie", "Ursprung der Revolte. Albert Camus und der Anarchismus", "Die Wüste lebt. Jenseits von Kapital und Staat", "Der 11.9. und die neuen Kriege",... Unser Verlagsprogramm findet sich unter: www.graswurzel.net/verlag/index.html

In welcher Auflage erscheint die GWR? Wie ist die Nachfrage der GWR in den letzten Jahren zu beurteilen? Ist die Anzahl der Leser gesunken?

Wir haben einen stabilen Abostamm. ¾ der Auflage geht an AbonnentInnen, ¼ wird im Handverkauf bei Aktionen, in Bahnhofskiosken, in Buch- und Infoläden unter die Leute gebracht. Die Auflage liegt seit Jahren zwischen 3.500 und 6.000 monatlich. Im Oktober erscheinen außerdem alljährlich zur Frankfurter Buchmesse die "Libertären Buchseiten" mit einer Auflage von 5.000. Die von uns unregelmäßig herausgegebene türkisch-deutsche Otkökü (Graswurzel) hat eine Auflage von 6.000. Zudem gibt es GWR-Sonderhefte z.B. zu "Parlamentarismuskritrik", "Gewaltfreier Anarchismus", "Antimilitarismus", "75 Jahre WRI", "Alternative Ökonomie",... die mit Auflagen von 7.000 bis 10.000 erschienen sind. GWR-Aktionszeitungen z.B. zum Wahlboykott oder gegen die Jugoslawien-, Afghanistan- und Golfkriege erreichen höhere Auflagen. So haben wir z.B. von der "NO WAR!"-Aktionszeitung, die wir Anfang Februar 2003 herausgegeben haben, bis Ende Februar schon 55.000 Exemplare unter die Leute gebracht.

Wie ist die Arbeit organisiert? hierarchisch? Wie lange ist man bis zur Fertigstellung einer Ausgabe beschäftigt?

Die Arbeit ist basisdemokratisch organisiert. Alle Artikel werden vorab (über E-Mail) an alle MitherausgeberInnen verteilt und gelesen. Wenn auch nur einE MitherausgeberIn Bedenken gegen einen Beitrag hat, wird diskutiert. Manchmal erscheinen dann Artikel nicht oder konträre Positionen werden als Diskussion gegenübergestellt. Die GWR erscheint (mit mindestens 20 Tageszeitungsseiten Umfang) monatlich mit einer Sommerpause im Juli/August. Nach Rücksprache mit den MitherausgeberInnen und AutorInnen, erstellt der Koordinationsredakteur eine Zweimonatsplanung, die dann während der Treffen diskutiert und überarbeitet wird. Im Verlauf der ein- bis zweitägigen HerausgeberInnentreffen werden die letzten Ausgaben diskutiert und alle wichtigen Entscheidungen, die das Projekt betreffen, gefällt. Das Layout, Lektorat, die Druckdateien usw. werden vom Koordinationsredakteur in Münster gemacht, gedruckt wird in Frankfurt/M.

Unterstützt ihr andere aktive Gruppierungen?

Na klar. Anarchistische, gewaltfreie, antisexistsiche, feministische, antirassistische, antimilitaristische, Antifa-, Anti-Atom-, Anti-Gentech-, Öko-,... Gruppen nutzen die GWR als Sprachrohr und als Diskussionsorgan. So trägt die Zeitung auch ein bisschen zur Vernetzung der sozialen Bewegungen bei.

Auf welche Bereiche legt ihr in den Ausgaben der GWR besonderen Wert?

Siehe oben. Im Moment haben wir angesichts des drohenden Krieges einen antimilitaristischen Schwerpunkt. Das heißt aber nicht, dass wir die anderen Themen vernachlässigen. Wir denken, dass es notwenig ist, gegen den Krieg zu mobilisieren und dazu beizutragen, dass sich die zum Teil regierungsnahe Friedensbewegung politisiert, radikalisiert und vom staatsgläubigen Hoffen auf Rot-Grün wegkommt.

Auch ihr werdet in verschiedenen Bereichen verschiedene Meinungen haben. Wie bringt man diese unter einen Hut, sodass jeder mit den Artikeln in der GWR zufrieden ist? Bzw. steht jeder von euch voll und ganz hinter den Artikeln?

Eine Einheitsmeinung gibt es bei uns nicht und natürlich ist nicht jedeR mit jedem Artikel zufrieden. Das wäre ja auch langweilig und würde eher für Sektierertum sprechen. Kontroversen werden als Belebung empfunden und sind erwünscht. Ein Beispiel dafür ist die Diskussion um einen palästinensischen Staat. Dazu hatten wir zwei konträre Texte in der GWR Nr. 268.

Wie beurteilt ihr den derzeitigen Irak-Konflikt?

Jeder Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit und wir versuchen gegen jeden Krieg zu agieren, durch Hintergrundanalysen, Aufklärung, durch direkte gewaltfreie Aktionen, durch Unterstützung von Deserteuren, GraswurzelrevolutionärInnen und (totalen) Kriegsdienstverweigerern weltweit,...

Wie beurteilt ihr den derzeitigen Zustand der deutschen Linke?

Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten. "Die Linke", das ist ein ziemlich schwammiger, aus dem Parlamentarismus kommender Begriff. Rechts saß die Regierung, links die parlamentarische Opposition, draußen die AnarchistInnen. Als "links" verstehen sich sowohl stalinistische MLPDler als auch antideutsche Bahamiten. Mit denen können wir nicht viel anfangen. "Anarchistisch", "gewaltfrei-libertär", "libertär-sozialistisch", "antisexistisch", "antimilitaristisch", das sind Begriffe, die uns eher weiterbringen und vielsagender sind.

Wie beurteilt ihr den Zustand der internationalen Linken?

Es gibt Hoffnungsschimmer. Erfreulich ist z.B., dass am 15. Februar 2003 weltweit 15 Millionen Menschen gegen den Krieg auf die Straße gegangen sind. "Anti-Globalisierungsbewegung" und "Anti-Kriegsbewegung" z.B. sind für sich gesehen noch nicht unbedingt sozialrevolutionär. Reformistische und andere Gruselpositionen innerhalb dieser Bewegungen sind nicht zu übersehen. Aber in diesen "Milieus" kann eine Basis für eine Radikalisierung gesehen werden. Wichtig ist eine "Globalisierung des Widerstands von unten". Als Graswurzelrevolution sind wir international mit gleichgesinnten Gruppen und Bewegungen vernetzt und versuchen diesen Gruppen hier Gehör zu verschaffen. Während des NATO-Angriffskriegs 1999 in Jugoslawien haben wir z.B. libertäre Gruppen aus Belgrad, sowie die antimilitaristischen "Frauen in Schwarz", die sowohl das Milosevic-Regime als auch die NATO ablehn(t)en in der GWR zu Wort kommen lassen. Bei uns werden Positionen von unten vertreten, die mensch in den "bürgerlichen" Medien vergebens sucht.

Wie ist eure Meinung zur Globalisierungskritikern alla Attac - Verkürzte Kapitalimuskritik?

Attac ist eine staatsfixierte Organisation. Wer - wie Attac - glaubt, durch Einführung einer Tobinsteuer ließe sich der Kapitalismus in die Knie zwingen, ist naiv. Der Kapitalismus muss nicht reformiert, sondern abgeschafft werden. Trotzdem sind natürlich auch bei Attac fitte Leute, die es gilt mit unseren libertären Inhalten zu erreichen. Zu dem Thema finden sich in der GWR einige spannende Diskussionsbeiträge, z.B.: www.graswurzel.net/267/attac.shtml

Haben anarchistische und libertäre Ideen an Aktualität verloren?

Nein.

Für wie sinnvoll haltet ihr die Arbeit der GWR oder anderer "revolutionärer Propaganda"?

Für sehr sinnvoll.

Anmerkung schwarze-fahne: Die Zeitung selbst können wir euch nur wärmstens empfehlen!

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